Eishockey-WM:Immer wieder Österreich

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"Der beste Job im Eishockey." Pat Cortina würde gerne Bundestrainer bleiben - es sieht aber nicht danach aus. (Foto: Filip Singer/dpa)

Erneut hat eine Auswahl des Deutschen Eishockeybundes bei einer Weltmeisterschaft tapfer gekämpft - und mit einer Niederlage den Verbleib im Turnier gesichert.

Von Johannes Schnitzler, Prag

Abstieg? Wirklich? Pat Cortina machte sehr, sehr große Augen. Dann blickte er fragend nach rechts zum Pressesprecher des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB): "Wir können noch absteigen?" Ja, die Option bestand nach dem 2:4 gegen Gastgeber Tschechien, das die Deutschen die Teilnahme am WM-Viertelfinale gekostet hatte. Um ganz sicher zu sein, brauchte Cortinas Team am Montag einen Punkt im letzten Gruppenspiel gegen Aufsteiger Österreich, der seinerseits einen Sieg dringend nötig hatte. Ausgerechnet Österreich. Vor zwei Jahren zerstörten die Österreicher in Bietigheim die Hoffnungen der Deutschen auf Olympia. Deutschland brauchte drei Punkte. Deutschland gewann auch - aber erst nach Verlängerung, nach der es für einen Sieg nur zwei Punkte gibt. Die Minuten von der Schlusssirene bis zum 3:2 durch Patrick Reimer waren die wohl quälendsten der jüngeren Vergangenheit für ein deutsches Team: zu wissen, dass man zwar noch gewinnen kann, aber doch verloren hat. Die Zeitungen schrieben vom "Eis-Córdoba". Auch 2009, beim bislang letzten sportlichen Abstieg der Deutschen, gewann Österreich, 1:0. Deutschland blieb nur deshalb in der A-Gruppe, weil es für 2010 als WM-Ausrichter gesetzt war. "Der eine oder andere hat noch eine Rechnung mit den Österreichern offen", sagte Kapitän Michael Wolf. Wolf, ein gebürtiger Österreicher, glich am Montag das 0:1 durch Thomas Raffl aus (45.), ehe Rotter Österreich wieder in Führung brachte (55.). Reimer vertrieb zwei Minuten vor Schluss mit dem 2:2 die bösen Geister: Verlängerung - der Punkt war da. Am Ende verlor Cortinas Team ein verkrampftes Spiel nach Penaltyschießen 2:3 (0:0, 0:1, 2:1), die fünfte Niederlage im siebten Spiel.

"Das war nicht das Ende, das wir schreiben wollten", sagte Cortina, bat aber um Verständnis: "Der Tank war leer." "Keiner will nächstes Jahr zweitklassig spielen", hatte Stürmer Daniel Pietta vor dieser WM gesagt. Es war auch die Antwort auf die Frage, warum er trotz 23 Absagen zugesagt hatte. "Stolz", "Ehre", das waren die Begriffe, und sie fielen auch am Sonntag, als Cortina seine erste Turnierbilanz zog. Bis auf das 0:10 gegen Kanada, das er am liebsten "zum Fenster hinauswerfen" würde, habe sich sein Team in jedem Spiel verbessert. Auch gegen die Tschechen war das zu sehen. Pietta erzielte ein erstklassiges Tor zum 1:0, und als die Heimmannschaft ausgeglichen hatte, brachte Wolf die Deutschen nach sehenswertem Konter über Tobias Rieder abermals in Führung. Dann aber machten sie laut Cortina "ein paar individuelle Fehler zur falschen Zeit". Jakub Voracek, NHL-Profi bei den Philadelphia Flyers, und vor allem Jaromir Jagr, 43, der mit seinem Treffer zum 4:2 den Rekord für den ältesten Torschützen bei einer WM weiter erhöhte, zeigten ihr außergewöhnliches Talent. "Das sind unglaubliche Spieler", sagte Wolf. Jagrs Vorlage zum 3:2 bezeichnete er als "Weltklasse". Cortina sagte am Montag, er sei "sehr stolz" auf sein Team. Aber er hat keine Spieler von vergleichbarer Qualität. Zumindest nicht genug, um 60 Minuten mit einer Weltklassemannschaft mitzuhalten. "Wir hatten bis auf dieses eine richtig schlechte Spiel gegen Kanada immer die Chance zu gewinnen", sagte Wolf, 34, mit vier Turniertoren wieder einmal gefährlichster deutscher Angreifer. Seine Turnierbilanz fiel gleichwohl "durchwachsen" aus: "Wir sind hier mit einer sehr jungen Mannschaft. Vielleicht hat uns ein bisschen die Cleverness gefehlt." Rieder, 22, der einzige NHL-Profi im Kader, klagte: "Wir haben einfach zu viele Chancen hergegeben." Das Spiel gegen Tschechien war symptomatisch gewesen für den gesamten WM-Auftritt der Deutschen. Sie halten mit - doch irgendwann können sie nicht mehr. Cortina sagt: "Wir haben nicht nur gekämpft", eine Eigenschaft, die der Kanadier für "typisch deutsch" hält, "wir haben nicht nur verteidigt. Wir haben Eishockey gespielt." Aber es reicht nicht für die Großen. "Sobald wir gedanklich einen Fehler machen, zahlen wir die Rechnung." Die deutsche Mannschaft oder besser: die Mannschaft, die Cortina zur Verfügung hatte, balanciert auf dem schmalen Grat zwischen Viertelfinale und Abstieg. Ob er manchmal an die vielen Absagen gedacht habe? "Absolut nicht", sagte Cortina. Die Rechnung bezahlt er vermutlich trotzdem: Cortinas Vertrag läuft nach der WM aus. "Es ging vor diesem Turnier nicht um meine Zukunft, und es geht jetzt nicht um mich", sagte der 50-Jährige tapfer: "Es geht um das Team." Dass er gerne Bundestrainer bleiben würde, hat er in Prag am Montag nochmals zum Ausdruck gebracht. Das Amt sei "der beste Job im Eishockey", sagte er, vielleicht etwas zu überschwänglich. DEB-Präsident Franz Reindl kündigte an, eine Entscheidung werde "zügig" nach der WM fallen, "vielleicht schon nächste Woche". Klingt, als dürfe sich bald ein anderer über den besten Job im Eishockey freuen.

© SZ vom 12.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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