Eishockey-WM:Noch jemand da?

23 deutsche Spieler haben für die Eishockey-WM abgesagt. Das Team kämpft wohl gegen den Abstieg - und Bundestrainer Cortina um seinen Job.

Von Johannes Schnitzler, Prag

Die jüngsten Nachrichten vom Markt der Eishockey-Promis waren nicht gut für Pat Cortina. Sidney Crosby hat zugesagt für die 79. Eishockey-WM in Prag und Ostrava, Jewgeni Malkin auch und, natürlich, Jaromir Jagr. Crosby soll Kanada zum ersten Triumph seit 2007 führen, Malkin Russland zum 28. Titel, und Jagr die Tschechische Republik zum Heimsieg im Finale am 17. Mai. Die Pittsburgh Penguins überweisen Crosby pro Jahr zwölf Millionen US-Dollar, Malkin, ebenfalls Angestellter in Pittsburgh, bekommt 9,5 Millionen, Jagr kassiert im Rentnerparadies Florida immerhin noch dreieinhalb. Er ist 43 und hat es nicht mehr ganz so nötig wie die jüngeren Kollegen. Außerdem gehört Jagr zum "Triple Gold Club", jenem Kreis von nur 25 Spielern auf der Welt, die mindestens einmal den Stanley Cup (Meisterschaft der US-Profiliga NHL), den WM-Titel und Olympia-Gold gewonnen haben. Crosby, 27, würde diesem exklusiven Zirkel zu gerne beitreten. Der WM-Titel fehlt ihm noch.

Kanada und Crosby sind am Sonntag der zweite Vorrunden-Gegner der Deutschen in Prag, in einer Woche trifft das Team von Bundestrainer Pat Cortina auf Gastgeber Tschechien und Jagr. Malkin und die Russen bleiben ihm in der Gruppenphase erspart. Cortina hat keinen Crosby oder Malkin in seinem Team, und auch keinen Jagr. Er hat nicht einmal Dennis Seidenberg bekommen. Seidenberg spielt in der NHL für die Boston Bruins und verdient dort genauso viel wie Jagr, 2011 hat er den Stanley Cup gewonnen. Aber Seidenberg wird im Juli 34, und mit 82 Punktspielen hat der Verteidiger in dieser Saison die drittmeisten aller NHL-Profis in den Knochen, so viele wie noch nie. Seidenberg überlegte lange. Dann sagte er ab. Das Handgelenk. Sein Bruder Yannic bleibt der einzige Seidenberg bei diesem Turnier, und Tobias Rieder, Rookie in Arizona, der einzige Nordamerika-Legionär, den Cortina in seinem WM-Kader hat. Cortina gurrte, er charmierte, aber er wollte nicht noch zusätzlich Druck ausüben. Druck hat sein Team schon genug. Und Pat Cortina hat davon mehr als genug.

Pat Cortina, 50, Bundestrainer

"Vielleicht ist das mein letzter Monat als Bundestrainer. Aber wenn ich mir darüber zu viele Gedanken mache, bereue ich das vielleicht hinterher."

Der Vertrag des Bundestrainers mit dem Deutschen Eishockey-Bund (DEB) läuft nach der WM aus. Seit Monaten wird offen über seine Nachfolge spekuliert, trotz vieler anderslautender Beteuerungen fällt immer wieder der Name Uwe Krupp. "Schön, dass so viel spekuliert wird", sagt DEB-Präsident Franz Reindl: "Das zeigt, dass Interesse vorhanden ist." Es war allerdings Reindl selbst, der Cortina mehrere Ultimaten gesetzt hat. Es wäre "für ihn besser, wenn er bei der WM Achter, Siebter oder Sechster wird", sagte Reindl vor dem Deutschland Cup - ein kaum zu erfüllendes Ziel: In einem WM-Viertelfinale stand Deutschland zuletzt 2011. Dann kam die U20-WM, Reindl sagte: "Mit diesem Team ist das Viertelfinale drin." Die U20 stieg ab. Mit Cortina als Coach. Inzwischen ist auch die U18 nur noch zweitklassig, wenngleich Cortina daran schuldlos sein dürfte - er war beim Turnier in der Schweiz nur Zuschauer.

Die Gesamtbilanz, die Reindl nach drei Jahren unter Cortinas Ägide eröffnen will, sieht für den Trainer wenig schmeichelhaft aus: Platz neun bei der WM 2013, Olympia 2014 verpasst, zum ersten Mal überhaupt. Und im vergangenen Jahr: WM-Platz 14. Das deutsche Eishockey ist in der Weltrangliste von Rang elf auf 13 abgerutscht, hinter Auftaktgegner Frankreich. Um wenigstens das Heimrecht für die Olympia-Qualifikation zu sichern, müsste Cortinas Team bei dieser WM Frankreich und Weißrussland im Ranking überholen. Utopisch, wenn man um die Personalnot weiß: Christian Ehrhoff, Teamkollege von Crosby in Pittsburgh - verletzt. Felix Schütz, einziger Deutscher in der osteuropäischen KHL - nach Knieverletzung rekonvaleszent. Alexander Barta (München) - zurückgetreten. Insgesamt 23 (!) Absagen hat Cortina vor diesem Turnier erhalten: ein komplettes Team mit vier Blöcken und drei Torhütern. Nach dem DEL-Finale zwischen Mannheim und Ingolstadt mussten auch die Mannheimer Akdag, Reul und Mauer verletzt passen, der Ingolstädter Köppchen rückte nach. Erstaunlich, dass es noch deutsche Profis gibt, die Cortina nicht eingeladen hat.

Pat Cortina

Bescheidene Bilanz nach drei Jahren als Bundestrainer: Der Kanadier Pat Cortina steht bei der WM in Tschechien unter Beobachtung.

(Foto: Caroline Seidel/dpa)

Cortina hat gelernt, mit dem Druck umzugehen, die Situation ist ja nicht neu für ihn. "Vielleicht ist das mein letzter Monat als Bundestrainer", sagt der 50-Jährige. "Aber wenn ich mir darüber zu viele Gedanken mache, bedauere ich das vielleicht hinterher. Ich versuche die Zeit zu genießen, jeden Tag, so gut es geht." In dieser Situation noch Druck auf die Spieler auszuüben, hält er für sinnlos. Das Auftaktspiel gegen Frankreich am Samstag etwa sei kein Schlüsselspiel, betont Cortina: "Wir können gegen Frankreich gewinnen und danach sechsmal verlieren. Wir können auch gegen Frankreich verlieren und dann sechsmal gewinnen. Alles ist möglich." Nur eins sei sicher: "Wenn wir nicht top sind, werden wir jedes Spiel verlieren." Top ist aber halt immer relativ, ohne einen Crosby, Malkin oder Jagr.

Reindl ist anderer Meinung, was das Duell mit Frankreich, dem Co-Gastgeber für die WM 2017, angeht ("absolutes Schlüsselspiel"). Aber auch der Präsident klingt angesichts der Vorzeichen moderater. "Pat ist ein international erfahrener Coach, man sieht, er hat einen Plan. Aber es ist alles nicht so leicht." Er "hasse" es, über Spieler zu reden, die nicht dabei seien: "Von denen hat noch keiner ein Tor geschossen." Zielvorgaben macht er aber keine mehr. "Es ist, wie es ist", sagt Reindl. Selbst im schlimmsten Fall gehe die Welt nicht unter: "Wenn wir absteigen, dann werden wir uns wieder hochkämpfen. Aber ich bin voller Überzeugung, dass wir damit nichts zu tun haben." Als Ausrichter wäre Deutschland für die WM 2017 gesetzt, Cortina aber hätte mit dem Projekt Wiederaufnahme in den Klub der besten 16 Eishockey- Nationen definitiv nichts mehr zu tun.

Den letzten Test haben die Deutschen gewonnen, 4:3 gegen Slowenien, immerhin. Das kleine Slowenien, 14. der Weltrangliste, hat zwar nur 150 Profis, war aber bei Olympia am Start. Und es hat einen NHL-Star, Anze Kopitar, dem die Los Angeles Kings jährlich die Kleinigkeit von 7,5 Millionen Dollar überweisen. Kopitar spielt bei dieser WM, natürlich. Sloweniens Probleme hätte Pat Cortina auch gerne.

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