Eishockey:Gebrochener Unterkiefer? "Ein guter Einstand"

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"Du musst für dein Team einstehen": Steve Pinizzotto vom EHC München im Kampf mit Sean O'Connor von den Straubing Tigers. (Foto: imago/GEPA pictures)
  • "Du baust dir einen Feind auf und kämpfst gegen ihn, bis es vorbei ist" - so stellt sich der Bad Boy des EHC München die Finalserie gegen Wolfsburg vor
  • Faustkämpfe gehören für Steve Pinizzotto zum Eishockey dazu. Doch er kann auch Tore schießen.
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Interview von Johannes Schnitzler

Am Mittwoch war die Eishockey-Saison für Konrad Abeltshauser vorbei. Der Verteidiger hat sich vor der an diesem Freitag (19.30 Uhr, Olympia-Eisstadion) beginnenden Finalserie gegen Wolfsburg verletzt. Abeltshausers Ausfall ist nicht nur für den EHC München ein Verlust. Sondern auch für Steve Pinizzotto: Beide sind für die Musik in der Münchner Kabine zuständig. "Dance-Pop, R 'n' B, solche Sachen", sagt Pinizzotto. Nichts Aggressives, "nicht dieses Headbanger-Zeug". Das überrascht. Der 31-Jährige Deutsch-Kanadier mit NHL-Erfahrung (37 Spiele, zwei Tore) gilt als der Bad Boy der Liga. Pinizzotto hat die meisten Strafminuten in der DEL. Aber er hat auch 15 Tore erzielt. "Ich sehe ihn nicht als Tough Guy", sagt Teamkollege Jason Jaffray. "Es gibt keinen Tough Guy in dieser Liga, der einen Hattrick erzielen kann." Pinizzotto ist genau das gelungen, Anfang Januar beim 4:2 gegen Nürnberg. Ein Gespräch über Provokationen, Opferbereitschaft und die Wahl der richtigen Waffen.

SZ: Steve, zunächst: Wie viel verdienen Sie eigentlich?

Steve Pinizzotto: Oh, ja, ha ha. Ich weiß nicht, ob ich darüber sprechen will.

Im Viertelfinale haben Sie die Straubinger Spieler damit provoziert, dass Sie der bestbezahlte DEL-Profi seien.

Wissen Sie, so was kommt vor, wenn die Intensität hoch ist. Trash-Talking gehört zum Spiel.

Haben Sie schon mal von Sun Tzu gehört?

Wer?

Sun Tzu, ein General im alten China, circa 500 v. Chr. Er hat ein Buch über Militärtaktik geschrieben, das auch heute noch als Standard gilt: "Die Kunst des Krieges".

Aha.

Einige seiner Grundsätze lauten: "Stell dich dem Kampf. Schlag schnell zu und so hart du kannst. Nütze alle Mittel, um deinen Gegner zu schlagen." Kommt Ihnen davon etwas bekannt vor?

Krieg ist kein Spaß. Aber ich glaube, man kann das durchaus auf Eishockey übersetzen. Eine Playoff-Serie über sieben Spiele ist eine Schlacht. Du baust dir einen Feind auf und kämpfst gegen ihn, bis es vorbei ist. Insofern passen die Zitate ganz gut.

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Sun Tzu sagt auch: "Der klügste Krieger ist derjenige, der nie kämpfen muss."

Ja, das ist auch gut. Wenn dir einer blöd kommt, kannst du das auch einfach wegwischen. Du musst nicht mit ihm kämpfen. Aber . . . ich mag es nun mal. Ich muss kein Buch lesen, um das zu wissen.

Ihre beiden älteren Brüder sind ebenfalls Eishockeyprofis. Aber Sie sind derjenige mit den meisten Strafminuten. Waren Sie ein schwieriges Kind?

Ich bin als jüngster von drei Brüdern aufgewachsen. Unser mittlerer Bruder Marc ist ähnlich wie ich. Unser älterer Bruder, Jason, ist mehr der Torjäger. Als wir klein waren, haben sie es mir ordentlich gegeben. Aber wenn ich heute zurückschaue, kann ich ihnen nicht genug danken. Sie haben mir gezeigt, wie man sich schützt.

Sie waren im Kindergarten vermutlich nicht sonderlich beliebt?

Ich war kein Schläger, keiner, der andere schikaniert. Aber ich musste in der Schule manchmal nachsitzen. Sie wissen ja, wie es in der Schule so läuft.

Sie haben Baseball gespielt und Basketball, bevor Sie sich für Eishockey entschieden. Und Sie haben auch geboxt?

Ja, ich habe ein bisschen was gemacht. Einer meiner Kumpel zu Hause kämpft in der UFC (Ultimate Fighting Championship, eine Mixed-Martial-Arts-Serie, Anm. d. Red.). Wir haben zusammen im Hinterhof trainiert. Ich wollte mich auf die NHL vorbereiten. Ich wusste, ich würde dort kämpfen müssen. Und ich wollte mich verteidigen können.

Als Sie nach München kamen, wurden Sie vorgestellt als "der neue Sheriff in der Stadt" - einer wie Wyatt Earp: erst schießen, dann fragen.

Das Körperspiel ist nun mal meine Sache. Die Zuschauer sehen es gern, wenn man einen harten Check fährt. Ich habe auch früher schon so gespielt. Ich denke, die Fans hier mögen meine Art zu spielen.

In Ihrem ersten Heimspiel mit dem EHC München gegen die Adler Mannheim haben Sie Denis Reul - 1,94 Meter, 103 Kilo - den Unterkiefer gebrochen. Wollten Sie gleich mal Ihr Revier markieren?

Das ist eine schwierige Frage. Wenn du kämpfst, bist du völlig im Augenblick.

Haben Sie es jemals bedauert, ihn oder einen anderen verletzt zu haben?

Ich habe meinen Check zu Ende gefahren, und dann hat er angefangen. Ich habe erst mal nur instinktiv versucht, mich zu schützen. Bei einem Kerl wie ihm musst du schon Glück haben. Ich habe auch einige Schläge eingesteckt. Es hätte auch mein Kiefer sein können. Ich will nicht sagen, dass es so das Beste war. Aber ich denke, die Fans fanden es ziemlich gut. Es war ein ganz guter Einstand für mich.

Also gehören Faustkämpfe zum Spiel?

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Die Handball-Nationalmannschaft und die Kölner Haie wollen zeitgleich ihre Spiele in der Kölner Arena austragen - was nun?

Ich denke, ja. Sicher. Wenn Emotionen im Spiel sind, musst du deine Kollegen schützen. Es gehört dazu. Ja.

Im Viertelfinale hatten Sie einen Faustkampf gegen Straubings Sean O'Connor . Würden Sie mir zustimmen, wenn ich sagen würde: Unentschieden?

Ja, schon. Wir waren beide müde. Er ist ein großer Kerl. Aber er hat mir nicht viel getan. Er ist nur ein bisschen um mich herumgefahren. Wir haben das Spiel 5:0 gewonnen, das war riesig. Aber ich mag es nicht, in einer wichtigen Phase des Spiels herumzusitzen und den anderen zuzuschauen. Deshalb würde ich heute sagen, dass ich die Situation smarter lösen müsste.

Am Ende waren Sie der Gewinner. Straubing hat sich nur auf Sie konzentriert.

So kann man es auch sehen. Meine Reihe mit Keith Aucoin und Jérôme Samson hat gut funktioniert. Aber wenn es hilft, dass sich die anderen so auf mich fokussieren, bitte. Es war ein guter Weg, die Serie zu gewinnen und sie auszuschalten.

Wann wissen Sie, dass der Zeitpunkt für einen Kampf gekommen ist?

Uh, schwierig zu erklären. Man spielt in so einer Serie oder in einer Saison x-mal gegen dieselben Typen, da entwickelt sich eine Rivalität. Und jedes Mal, wenn du raus aufs Eis gehst, hast du deinen Kopf oben und schaust: Wer ist auf dem Eis? Und dann musst du für dein Team einstehen.

Sean O'Connor ist Epileptiker . . .

Tatsächlich? Das wusste ich nicht.

. . . in der NHL gab es bereits Tote. Rick Rypien und Wade Belak nahmen sich das Leben, weil sie in ihrer Karriere zu viele Schläge einstecken mussten und in der Folge unter Depressionen litten. Haben Sie keine Angst vor bleibenden Schäden?

Ah, an so was will ich gar nicht denken. Das hängt auch von der Rolle ab. In der NHL gibt es diese Schwergewichtstypen. Die haben mit dem Spiel eigentlich gar nichts zu tun. Die denken nur daran, gegen wen sie beim nächsten Mal kämpfen. Und sie wissen, worauf sie sich einlassen. Die stecken dann eben ein paar Kopftreffer ein. Aber dafür bin ich nicht hierher gekommen. Ich will nicht so oft kämpfen. Ich will spielen.

Fühlen Sie sich unterschätzt, wenn man Sie auf Faustkämpfe reduziert?

Wenn mich jemand kämpfen sehen will, muss er nur meinen Namen im Internet eingeben. Aber wie gesagt, ich will nicht mehr so viel kämpfen. Ich möchte in anderer Hinsicht ein Vorbild sein.

So ganz scheint das noch nicht zu klappen. Im Viertelfinale gab es ein Duell zwischen den beiden Torhütern, David Leggio und Straubings Matt Climie. Es war der erste Goalie-Fight in der DEL seit zwölf Jahren. War das Ihr schlechter Einfluss?

Ja, lasst die Torhüter kämpfen! Nein, im Ernst, noch mal: Es ist ein hoch emotionales Spiel. Beide waren gereizt und wollten ihrem Team helfen. Das passiert, wenn die Emotionen hochkochen.

Ist Kämpfen für Sie ein Zeichen von Opferbereitschaft?

Genau das. Aber schauen Sie sich das Video an: Sie sind beide hingeplumpst. Das war lustig. Jedenfalls habe ich noch nie gesehen, dass beide Torhüter nach einem Goalie-Fight weiterspielen dürfen. Na ja.

Ihr Trainer Don Jackson sagt, jeder Spieler hat seinen Anteil am Finaleinzug. Aber Sie haben statistisch gesehen den größten Anteil. Sie haben zwar die meisten Strafminuten der ganzen Liga, 195. Aber Sie sind in den Playoffs der Topscorer Ihres Teams: zwei Tore, acht Vorlagen. Sie haben offensichtlich mehr Waffen als Ihre Fäuste, um einen Kampf zu gewinnen.

Ich bin so aufgewachsen. Ich musste einen Weg finden, um nicht nur kämpfen zu müssen. Jetzt führe ich teamintern die Plus/Minus-Statistik an, ich führe bei den Vorlagen, bei den Scorerpunkten. Das kommt auch davon, wenn die Coaches dir vertrauen. Aber wenn man sich an Meistermannschaften erinnert, geht es nicht darum, wer die meisten Punkte gemacht hat. Man erinnert sich daran, wer Meister war. Dieses Finale ist das Größte, was dieser Klub bisher erreicht hat. Es geht jetzt nur um die Mannschaft. Und ich werde alles dafür tun, dass sie gewinnt.

Sie kämpfen gewissermaßen um Ihren Platz in der Geschichte.

Wir werden sehen, was passiert. Aber ich will nicht auf der Strafbank rumsitzen und das Team runterziehen.

Man nennt sie den Sheriff, aber den DEL-Strafenrekord hält ein Mann mit dem passenden Namen Marshall. 2006/07 hat er für die Kölner Haie in einer Saison 295 Strafminuten erhalten - 100 mehr als Sie.

Hm. 25 Minuten pro Spiel, mindestens vier Spiele . . . (lacht)

Irgendeine Botschaft an Wolfsburg?

Sie sollen aufpassen.

© SZ vom 15.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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