DEL-Playoffs:Aufreibender Abend

Nürnberg Ice Tigers - Grizzlys Wolfsburg

Der helle Wahnsinn: Nürnbergs Matt Murley (2. von links) jubelt, als er den Puck zum 4:4-Ausgleichstreffer ins Wolfsburger Tor bugsiert hat.

(Foto: Daniel Karmann/dpa)

Die Nürnberg Ice Tigers drehen nach einem 0:3-Rückstand noch das Spiel gegen Wolfsburg.

Von Christian Bernhard

Tyler Haskins wusste, wo die Scheibe war, er stand ja direkt daneben. Und selbst wenn er die Augen geschlossen hätte: Die emotionale Jubelwelle, die in diesem Moment durch die Nürnberger Eishalle schwappte, hätte ihm klar gemacht, dass sie zum fünften Mal an diesem Abend im Wolfsburger Tor gelandet war. David Steckel hätte es sich also rational betrachtet sparen können, den direkt am Tor stehenden Haskins leicht anzustupsen und ihn mit der linken Hand darauf hinzuweisen, dass die Scheibe im Tor liegt - der Stürmer der Nürnberg Ice Tigers konnte und wollte es sich aber nicht verkneifen.

Haskins, Kapitän der Grizzlys Wolfsburg, ist der personifizierte Nürnberger Eishockey-Schreck. 2013 und 2014 hatten die vom US-Amerikaner angeführten Niedersachsen die Nürnberg Ice Tigers von den Playoffs in den Urlaub geschickt, auch am Dienstagabend deutete bis gegen 21 Uhr alles darauf hin, dass die Grizzlys erneut die Nürnberger Saison in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) beenden würden. Drei Spiele lang hatte Wolfsburg die Ice Tigers mit einer unangenehmen und äußerst effektiven Spielweise genervt und bezwungen. Als die Grizzlys, die ihre vorangegangenen sieben Playoff-Spiele alle gewonnen hatten, nun im vierten Spiel 3:0 führten, dürfte dem ein oder anderen Nürnberger bereits die Enttäuschung durch den Kopf gegangen sein. Doch es kam anders: Die Ice Tigers gewannen noch 5:4 und verkürzten in der Best-of-seven-Serie auf 1:3.

Nürnbergs Verteidiger Sasa Martinovic, der den entscheidenden Treffer der erfolgreichen Aufholjagd erzielt hatte, attestierte seiner Mannschaft anschließend eine "abartige Klasse". Auch Ice-Tigers-Angreifer Patrick Buzas zeigte sich nach der Partie begeistert von den Kollegen und diktierte in die Notizblöcke: "Wir haben vor dem Spiel an uns geglaubt, wir haben nach dem 0:3 an uns geglaubt, wir haben das ganze Spiel an uns geglaubt. Deshalb haben wir heute gewonnen." Dabei waren die Ice Tigers nach dem dritten Gegentor und knapp 30 Minuten aus sportlicher Sicht tot gewesen. Es brauchte etwas Besonderes, eine mitreißende Aktion, um ihnen wieder Leben einzuhauchen. Und Nürnbergs Kapitän Patrick Reimer hatte just das auf Lager.

Trainer Wilson glaubt: "Wir haben mehr verdient, als wir bisher in dieser Serie bekommen haben."

In Unterzahl sprintete er im eigenen Drittel los, schüttelte gleich drei Wolfsburger Verfolger ab und brachte die Scheibe zum 1:3 im Gäste-Tor unter (31.). "Reimis super Einzelaktion hat uns ins Spiel zurückgebracht", sagte Buzas. "Das war der Stein, der alles ins Rollen gebracht hat." Es folgten zwei Treffer von Matt Murley (38./45.) sowie jene von Kurtis Foster (42.) und Martinovic (52.).

Ice-Tigers-Trainer Rob Wilson hob den Charakter der Mannschaft hervor ("Diese Jungs haben viel davon") und erzählte, dass er seinen Spielern in der Spielunterbrechung nach dem 0:3 eingetrichtert habe, sie sollten weiter so kämpfen wie bisher, dann werde es sich zum Guten wenden. "Ich habe Martin (Jiranek, Nürnbergs Sportdirektor, Anm. d. Red.) gesagt: ,Das ist noch lange nicht vorbei.' Wir haben uns mehr verdient, als wir bisher in der Serie bekommen haben." Während er die nervenaufreibende Partie Revue passieren ließ, verlor er kurzzeitig seine Stimme: Das emotionale Spiel war auch an ihm nicht spurlos vorbeigegangen. Abgekämpft, aber glücklich erklärte er: "Jetzt sind wir in der Serie drin." Und Jiranek schob hinterher, er glaube, dass "wir besser als der Gegner sind".

So emotional der Abend auch war, so nüchtern bleiben die Fakten: Schon am Freitag (19.30 Uhr) müssen die Nürnberg Ice Tigers auswärts den nächsten Wolfsburger Matchball abwehren. Wie das gehen kann, haben sie am Dienstag gezeigt, Wilson will im "Schlüsselspiel dieser Serie" (Jiranek) deshalb nichts ändern. "Wir werden einfach weiter kämpfen", sagte er.

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