Eishockey:Ovationen für den Bilanzbuchhalter

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Parieren wie die Profis: Notfalltorwart Scott Foster vereitelt einen Angriff von Winnipegs Paul Stastny. (Foto: Kamil Krzaczynski/AP)

Weil sich beide Goalies der Chicago Blackhawks verletzten, muss der sogenannte "Notfalltorhüter" einspringen. Der Hobby-Torwart Scott Foster erlebt den Abend seines Sportlerlebens.

Von Johannes Kirchmeier, Chicago/München

Er hat wie immer seinen Job gemacht, im Zehn-Finger-System die Abrechnungen herunter getippt, die Bilanz erstellt. Scott Foster ist ein ruhiger Kerl, einer von unzähligen Familienvätern im Großraum Chicago, die jeden Tag zuverlässig ihren Dienst tun. Das war natürlich auch am Gründonnerstag der Fall, ein ganz normaler Tag, wie ihn Foster seit Jahren erlebt. Am Abend, nachdem er seinen Computer heruntergefahren hatte, sollte er dann noch zu den Blackhawks gehen, dem örtlichen NHL-Klub. Auch das ist nichts Außergewöhnliches, Foster ist großer Eishockeyfan, er gönnte sich sein kleines Ostergeschenk. Doch es sollte ein Abend werden, den der 36 Jahre alte Bilanzbuchhalter Scott Foster noch nie erlebt hat. Ein Abend, den normalerweise keiner der Arbeitnehmer am Michigansee je erleben wird.

Scott Foster zog sich an diesem Abend den Fanghandschuh über seine linke Hand, packte sich mit der rechten den Torwartschläger. Er stand an diesem Abend 14 Minuten im Tor der Blackhawks und hielt das 6:2 des Stanley-Cup-Siegers von 2015 gegen die Winnipeg Jets fest. Aus dem Bilanzbuchhalter und Hobby-Torwart wurde für einen Abend ein Eishockey-Held in der stärksten Liga der Welt: Foster parierte alle sieben Schüsse und wurde als Spieler des Spiels ausgezeichnet. "Daran werde ich mich noch ganz lange erinnern", sagte der zweimalige Vater Foster hinterher. "Das ist auch etwas, das ich meinen Kindern erzählen kann."

Nirgendwo ist Sport solch ein Geschäft wie in Nordamerika. Der deutsche Eishockey-Nationaltorhüter Philipp Grubauer nannte es mal einen "Viehhandel". Die Klubs haben die Hoheit, sie können ihre Protagonisten fast beliebig hin und her verschieben. Nach diesem denkwürdigen Abend für Foster bleibt aber auch die Erkenntnis: Nirgendwo kann ein normaler Eishockeyfan seinen großen Traum so schnell verwirklichen wie in Nordamerika - dank Regel 5.3. im "NHL Rule Book". Sie vermag es, Buchhalter zu Torhütern zu befördern.

"Man glaubt eigentlich nicht daran, dass man zum Einsatz kommt", sagt er

Die Regel erlaubt, dass die Klubs sogenannte "Emergency Goalies" einsetzen dürfen. Der Notfalltorwart ist ein Zuschauer mit Eishockey-Erfahrung. Anders als in Europa, wo im schlimmsten Fall ein Spieler zwischen die Pfosten muss, sitzt der Emergency Torwart in der NHL auf der Tribüne und springt dann ein, wenn die beiden Torhüter ausfallen, die auf dem Spielberichtsbogen stehen. Foster war in dieser Saison für rund ein Dutzend Spiele zum Notfalltorwart ernannt worden, aber seine üblichen Aufgaben bestanden darin, im Presseraum zu sitzen und sich kostenlos zu verköstigen, wie er hinterher mit einem Schmunzeln sagte. "Man glaubt eigentlich nicht daran, dass man zum Einsatz kommt."

Nur dieses Mal verletzte sich Stammtorwart Anton Forsberg bereits vor der Partie, nach knapp 46 Minuten Spielzeit dann Ersatzmann Collin Delia. Ein "Schock" für Foster, "und dann, glaube ich, hat man einfach einen Blackout." Von 2002 bis 2006 spielte er für das Team der Western-Michigan-Universität, inzwischen aber nur noch in einer Hobbyliga. Er weiß natürlich, wo er hingreifen muss, wenn ihm ein Puck entgegenfliegt. Aber mit seinen Rettungsaktionen gegen die Paradesturmreihe von Winnipeg rechneten die wenigsten: Kurz vor Schluss legte der Finne Patrik Laine wieder einmal die Scheibe quer, der Amerikaner Paul Stastny, früher mal beim EHC München, zog ab - eigentlich fällt dann fast immer ein Tor. Aber diesmal nicht: Foster flitzte in die rechte Ecke und hielt. Und es gab Standing Ovations für den Notfalltorwart.

Foster stellte sogar den eigentlich als Helden des Abends vorgesehenen Brent Seabrook in den Schatten. Der Blackhawks-Verteidiger absolvierte sein 1000. NHL-Spiel und lobte Kurzzeit-Mitspieler Foster: "Er war großartig. Die Jungs haben alles getan, um ihn zu unterstützen und er hat ein paar starke Saves gemacht." Foster selbst wollte sich nicht zu lange mit seinem gelungenen NHL-Debüt aufhalten: "Morgen stehe ich wieder auf und mache wieder meinen Job", sagte er. Im Hauptberuf ist er ja ein ganz normaler Bilanzbuchhalter im Großraum Chicago. Seit Donnerstag hat er nur einen äußerst ungewöhnlichen Nebenjob.

© SZ vom 01.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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