Eishockey:Modell Klinsmann

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Marco Sturm, hier bei seinem Abschiedsspiel 2014 in Landshut, soll für emotionale Impulse sorgen. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Als Eishockeyspieler hat Marco Sturm sehr viel Erfahrung - als Profi-Trainer verfügt er über gar keine. Dennoch übernimmt der 36 Jahre alte, ehemalige NHL-Akteur nun die deutsche Nationalmannschaft und soll das Gefühl zurückbringen.

Von Johannes Schnitzler, München

Wie immer bei offiziellen Anlässen trug Franz Reindl ein angemessen dunkles Sakko mit DEB-Nadel am Revers. Und um einen offiziellen Anlass handelte es sich ohne Zweifel: Nichts weniger als "die strukturelle Neuausrichtung der Nationalmannschaft" war Gegenstand der Zusammenkunft am Freitag in der Münchner Zentrale des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB). Einigermaßen überraschend trug der Hausherr aber keinen Zylinder. Dabei hatte sich die Neuausrichtung des Nationalteams, die DEB-Präsident Reindl seit seiner Amtsübernahme vor einem Jahr mit Sturmhaube und Spitzhacke vorangetrieben hat, zuletzt zur Hängepartie ausgewachsen. Statt eines weißen Kaninchens zauberte er am Freitag dann aber Marco Sturm hervor. Und nun erst offenbarte der Magier Reindl seinen größten Trick: Sturm, der vor zwei Jahren seine Profikarriere beendet hat, wird nicht nur General Manager, wie es seit Tagen kolportiert wurde. Sondern auch gleich Bundestrainer. Der Vertrag gilt bis 2017 und verlängert sich bei erfolgreicher Olympia-Qualifikation bis 2018. Staunen im Publikum.

Sturm, 36, hat 1006 Mal in der NHL gespielt. Er hat mehr Erfahrung in der besten Liga der Welt gesammelt als jeder andere Deutsche. Er hat an vier Weltmeisterschaften und drei Olympischen Spielen teilgenommen. Er hat die nötige Lizenz. Erfahrung als Profi-Trainer hat er nicht.

Er sei "sehr stolz, dass der DEB mir diese große Verantwortung überträgt", sagt Sturm. "Eishockey ist etwas, wo ich mich auskenne und das ich vermisst habe." Um das Stellenprofil präzise auszuformulieren, war anscheinend noch keine Zeit. Reindl sagte: "Wir freuen uns, eine sehr junge, international renommierte Persönlichkeit gefunden zu haben." Sturms Erfahrungsdefizit an der Bande sei kein Problem: "Marco wird sich seinen Trainerstab selbst zusammenstellen und insbesondere renommierte DEL-Trainer einbinden." Reindl erhofft sich von dem 54-maligen Nationalspieler in erster Linie einen "emotionalen Impuls" - das Modell Klinsmann.

Schon bei der WM im Mai hatte Reindl gesagt: "Wir brauchen eine engere emotionale Bindung an die Nationalmannschaft." Emotionen lassen sich am besten mit Erfolgen schüren, doch davon hatte der DEB in jüngster Vergangenheit nicht viele: Olympia 2014 verpasst, zuletzt dreimal am WM-Viertelfinale gescheitert - die Bilanz, die für Pat Cortina nach drei Jahren das Ende seiner Amtszeit bedeutete. Der letzte große Freudentag datiert aus dem Jahr 2010, als das DEB-Team unter Uwe Krupp ins Halbfinale der Heim-WM einzog, eben jenem Krupp, den nicht nur Reindl als 1A-Lösung für die nächsten Jahre auserkoren hatte, mindestens aber bis zur nächsten Heim-WM 2017, von der auch wirtschaftlich viel abhängt. Aber Krupps Arbeitgeber Eisbären Berlin gab ihn nicht frei für ein Hauptamt beim DEB. Und gegen die Doppelfunktion, also einen Bundestrainer im Nebenberuf, legte die Deutsche Eishockey-Liga (DEL) ihr Veto ein. Andere Kandidaten wie Pavel Gross (Wolfsburg), Christof Kreutzer (Düsseldorf), Peter Draisaitl (HK Hradec Kralove/Tschechien) oder Harold Kreis (EV Zug) standen ebenfalls bei Klubs unter Vertrag. Die All-in-one-Lösung heißt nun also: Marco Sturm.

Sturm soll die Corporate Identity schärfen, bei der Liga, vor allem aber bei den in Nordamerika beschäftigten Spieler. Vor der jüngsten WM hatten mehr als 20 Profis abgesagt. Sturm soll dafür sorgen, dass sich das nicht wiederholt. "Er ist sehr eng an den Spielern", sagt Reindl. Wie eng Wohl und Wehe im deutschen Eishockey verknüpft sind, auch das zeigt die Personalie Sturm: Dessen Bestellung fiel am Freitag zusammen mit der Nachricht, dass sein Heimatverein EV Landshut, der Klub von Erich Kühnhackl und Alois Schloder, keine Lizenz für die zweite Liga bekommt.

Für die Weltmeisterschaft 2017, noch mehr aber für das olympische Qualifikationsturnier im Jahr davor braucht der DEB seine besten Spieler. Marco Sturms Aufgabe wird sein, sie alle unter einen Zylinder zu bringen.

© SZ vom 11.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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