Eishockey:Schneller, jünger, weiter

Latvia v Germany - 2018 IIHF Ice Hockey World Championship

Bittere Erfahrung: Die deutsche Eishockey-Auswahl versucht die Niederlage gegen Lettland zu verarbeiten. Von links: Marcel Noebels, Kapitän Dennis Seidenberg, Torhüter Niklas Treutle, Oliver Mebus und Marc Michaelis.

(Foto: Martin Rose/Getty)

Die DHB-Auswahl, eben noch Olympia-Zweiter, hakt das verpasste WM-Viertelfinale schnell ab. Jetzt zählt nur die Neu-Entwicklung des Teams.

Von Johannes Schnitzler, Herning

Am Samstagnachmittag verwandelte sich das Medienzentrum in Herning in ein Rechenzentrum. Falls Kanada Finnland schlagen sollte und Deutschland am Sonntag die Finnen bezwingen sowie am Dienstag auch den Kanadiern Punkte abknöpfen würde, und die Finnen gegen die USA nicht gewönnen, dann hätte die Mannschaft des Deutschen Eishockey-Bundes - vorausgesetzt, der Mond stünde im dritten Haus und die Zusatzzahl wäre eine 7 - doch noch eine Chance auf das Viertelfinale. Oder war die Zusatzzahl die 17? Noch mal von vorne.

Am Samstag, 22.30 Uhr, hatte sich die Rechnerei erledigt. Finnland schlug Kanada 5:1 und nahm dem DEB-Team die letzte vertretbare Aussicht auf die K.-o.-Runde bei dieser 82. Weltmeisterschaft. "Das tut weh", sagte Bundestrainer Marco Sturm nach dem 1:3 gegen Lettland. "Das war mit Abstand unser bestes Spiel." Das war die gute Nachricht. Die schlechte war, dass die Steigerung nach dem 2:3 zum Auftakt gegen Dänemark und dem 4:5 gegen Norwegen zu spät kommt. Daran ändert auch das 3:2 (0:1, 2:0, 0:1) nach Verlängerung durch Tore von Frederik Tiffels, Björn Krupp und Markus Eisenschmid am Sonntag gegen Finnland nichts, der erste WM-Sieg gegen den zweimaligen Weltmeister seit 1993.

Er macht es umso bitterer. Noch am Samstag begann die Aufarbeitung eines Turniers, das womöglich mehr über die Zukunft der Mannschaft aussagt als die jüngste Vergangenheit mit dem Gewinn der Silbermedaille bei den Olympischen Spielen. "Das können wir langsam mal vergessen", sagte Verteidiger Yannic Seidenberg. Ein olympischer Zyklus beschreibt den Zeitraum zwischen zwei Spielen, üblicherweise vier Jahre. Der jüngste Zyklus der deutschen Mannschaft dauerte fünf Jahre. Er begann 2013, als sie gegen Österreich ihr "Córdoba auf Eis" erlebte: Acht Spieler, die damals in Bietigheim in der Qualifikation für Sotschi scheiterten, standen fünf Jahre später im olympischen Finale von Pyeongchang, weitere zwei gehören nun dem WM-Kader an. Zehn Spieler, zwei komplette Blöcke, die fünf Jahre lang dieselbe verpasste Chance antrieb.

Nicht einmal drei Monate nach den Spielen in Südkorea stehen Marco Sturm zwar noch zehn Spieler aus dem Olympia-Kader zur Verfügung - nur noch zehn, muss man allerdings sagen. 15 fehlen, dazu kamen Absagen aus der National Hockey League. Es sei "Quatsch", immer nur von denen zu reden, die nicht da seien, sagte Sturm. Er räumte aber ein, dass nach dem DEL-Finale zwischen München und Berlin "doch mehr Nationalspieler weggefallen sind als geplant". Die Folge: zu wenig Vorbereitungszeit, zu wenig Routine im Kader. Die Mannschaft, die nach Pyeongchang aufbrach, um deutsche Sportgeschichte zu schreiben, habe "Jahre gebraucht", bis sie die Einheit wurde, die sie war, sagte Sturm. Dieses Team "war einmalig". Dieses Team werde es "sicher nicht mehr geben".

Für den Pragmatiker Sturm bedeutet das nicht das Ende aller Zeiten. Es sei klar gewesen, dass nach Olympia ein Umbruch erfolge. "Darum war das meine Entscheidung, okay, dann starten wir den Neuaufbau lieber jetzt als später." Sturm berief acht WM-Debütanten, darunter den nur Fachkreisen geläufigen College-Spieler Marc Michaelis, Manuel Wiederer und Markus Eisenschmid, alle 22, sowie Frederik Tiffels, der zwar 2017 schon dabei war, aber wie die anderen in den unteren Ligen Nordamerikas auf seinen Durchbruch hofft. Gegen Lettland zeigten sie, was Sturm von ihnen erwartete: Geschwindigkeit. "Heute geht alles über Speed", sagt Marcel Noebels, 26, der mit Tiffels und Michaelis eine Reihe bildet, "das ist der nordamerikanische Style". Sie zeigten aber auch, was ihnen fehlt, etwa als Michaelis den Zeitpunkt für das Abspiel auf Noebels verpasste. Es wäre das 1:0 gewesen. Im Gegenzug trafen die Letten zum 0:1.

Viele Talente bekamen bei der WM eine Chance - und wünschen sich dies auch in der Liga

Kapitän Dennis Seidenberg, 36, mit mehr als 900 NHL-Spielen einer der wenigen Veteranen im Team, sagt: "Nur durch Fehler wird man besser." Der Auftritt der Mannschaft sei "okay" gewesen: "Nur die Konstanz war nicht so da." Um die Olympia-Euphorie zu erhalten, "müsstest du schon im Halbfinale stehen", sagt Marco Sturm, "da brauchen wir uns nicht anzulügen". Deutschland sei immer noch eine kleine Eishockey-Nation. "Ich hoffe, dass wir uns bei Olympia ins Herz der Leute gespielt haben", sagt Verteidiger Moritz Müller. Er bitte aber um "Verständnis dafür, dass wir nicht jedes Mal den großen Wurf landen können." Es sei trotzdem richtig, "den Jungs die Chance zu geben, hier reinzuwachsen". Von der Liga würde er sich denselben Mut zur Konsequenz wünschen: "Der Trend ist, dass viele sehr junge Spieler nach Nordamerika gehen, weil sie in der DEL nicht die Perspektive bekommen, in den Klubs in wichtige Rollen hineinzukommen. Das ist schade." Noebels sagt: "Man sieht auch hier, dass gute Jungs nachkommen. Klar wird immer mal einer fehlen. Aber wir brauchen keine Angst zu haben."

Marco Sturm will seinen Weg beibehalten: "Die Jungs, die hier sind, haben mich angerufen. Nur solche Spieler brauche ich. Wenn einer nicht weiß, ob er spielen soll, soll er lieber zu Hause bleiben." Moritz Müller gab gleich mal seine Bewerbung ab: "Aus der Nationalmannschaft tritt man nicht zurück. Entweder man wird nicht mehr eingeladen. Oder man kommt." Die neue Zeitrechnung nach der WM hat bereits begonnen.

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