Eishockey:Kanadischer Virus

Lesezeit: 3 min

Kein DEL-Klub setzt so auf Nordamerikaner mit deutschem Pass wie die Iserlohn Roosters.

Von Ulrich Hartmann, Iserlohn

Ein See wie der Seilersee mit seinen 13 Hektar wäre in Kanada nicht der Rede wert. In Kanada gibt es sehr große, sehr schöne und sehr viele Seen. 31 752 mit mindestens drei Quadratkilometern wurden mal offiziell gezählt. Viele dieser Seen sind im Winter zugefroren. Darauf spielen die Menschen dann Eishockey. Auch das ist ein Grund dafür, dass Kanada als Mutterland des Eishockeys gilt.

Der Seilersee in Iserlohn ist selten zugefroren. Hätten kanadische Soldaten hier, am nordwestlichen Rand des Sauerlands, nicht einst das rasante Kufenspiel etabliert, dann wäre Iserlohn heute keine Eishockeystadt, dann spielten die Iserlohn Roosters nicht seit 15 Jahren in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL), dann wären in diesem Winter nicht 17 in Kanada geborene Profis in Iserlohn beschäftigt. Der Virus wurde hier von Kanadiern eingeimpft. Jetzt lassen ihn wieder Kanadier gedeihen. 17 der in dieser Saison bislang eingesetzten 25 Iserlohner Spieler sind in Kanada geboren. Eigentlich darf jedes DEL-Team höchstens neun ausländische Profis beschäftigen, doch des Rätsels Lösung in diesem besonderen Fall ist: Neun dieser 17 Spieler haben deutsche Vorfahren und deshalb einen deutschen Pass. Also fallen sie nicht ins Ausländerkontingent.

Die Feiertagspartie der Iserlohn Roosters gegen die Krefeld Pinguine in der Eissporthalle am Seilersee ist am Samstag mal wieder nicht im kanadischen Fernsehen gezeigt worden. Dabei wäre sie für die Menschen dort drüben durchaus von Interesse gewesen. Zum spektakulären Iserlohner 6:2-Sieg trugen in Bradley Ross aus Edmonton, Chad Bassen aus Strathmore, Luigo Caporosso aus Toronto, Brooks Macek aus Winnipeg und Nicholas Petersen aus Wakefield fünf gebürtige Kanadier fünf der sechs Treffer bei. Das Tor der Roosters hielt Chet Pickard aus dem Ostküstenstädtchen Moncton weitgehend schadlos. "Wir haben genau das Eishockey gespielt, das wir spielen wollen: einfach, schnell und schnörkellos", sagte hinterher der Trainer Jari Pasanen, 51, ein Finne. Er liebt den kanadischen Touch des Iserlohner Spiels. 74 der 95 Saisontreffer haben die gebürtigen Kanadier geschossen.

Treffsicherer Sturm: Nicholas Petersen (Nummer 8) gehört zu den gebürtigen Kanadiern, die ihrem Klub Iserlohn zu einem beachtlichen dritten Platz verholfen haben. (Foto: Zink/Imago)

Einst war das kanadische Ahornblatt sogar Bestandteil des Wappens vom vormaligen Eishockeyklub ECD Iserlohn. Aber die Kanada-starke Attitüde des Klubs hat mit den soldatischen Wurzeln des Spiels im Sauerland nichts mehr zu tun - sagt der langjährige Roosters-Manager Karsten Mende. Dass knapp drei Viertel der aktiven Belegschaft kanadischer Herkunft sind, hat mehrere ineinander verwobene Gründe: Erstens fehlt den Roosters mit ihrem geschätzten Etat von knapp sechs Millionen Euro das Kapital, im teuren Kampf um die begrenzt verfügbaren guten deutschen Spieler erfolgreich mitzumischen. Zweitens dürfen sie aber wie jeder DEL-Klub nur maximal neun ausländische Spieler lizenzieren. Drittens ist Mende folglich jedes Jahr aufs Neue auf der Suche nach internationalen Spielern mit deutschen Vorfahren. Und viertens ist er diesbezüglich in Nordamerika besonders gut vernetzt. "Ahnenforschung ist jetzt nicht unbedingt mein Thema", sagt er lächelnd, "aber ein bisschen kenne ich mich schon damit aus; man fuchst sich in dieses komplexe Thema rein und weiß irgendwann, wer sich um einen deutschen Pass bewerben kann."

Wenn man Mende auf die hohe Quote an kanadischen Spielern mit deutschem Pass bei den Roosters anspricht, dann wirkt es, als glaube er sich rechtfertigen zu müssen. Das liegt wohl daran, dass er das Gefühl hat, die Liga beobachte diese Entwicklung in Iserlohn skeptisch. "Es kommt einem schon Kritik zu Ohren", sagt er, "einige Mitbewerber sehen das wohl nicht so positiv." Aber er wähnt sich im Recht. "Es ist legitim", sagt Mende. "Viele dieser Jungs sind deutsch von Geburt an", und es sei auch nicht so, dass er Spielern den deutschen Pass besorge. "Das machen die schon selbst." Mende fühlt sich mit seinem Klub auch als Opfer der Umstände. "Das ist eben unser Weg, mit unserem schmalen Budget", sagt er fast entschuldigend, "es gibt nicht genügend gute deutsche Spieler, und die guten Jungs gehen zu den Topklubs."

Der momentane Erfolg bestätigt den Iserlohner Weg. Nach gut der Hälfte der regulären Saison stehen die Roosters auf dem dritten Platz. Diesen Montag gastieren sie in Straubing. Am Mittwoch kommt es zum Spitzenspiel in Berlin. Der Klub, der in 15 DEL-Spielzeiten bloß dreimal die Playoffs erreicht hat, träumt davon, zum dritten Mal nacheinander ins Viertelfinale einzuziehen. Das Publikum goutiert das ansehnliche Spiel seiner früher allzu mittelmäßigen Roosters und belohnt die Spieler mit großer und einträglicher Heimspiel-Präsenz. Der hohe Kanadier-Anteil bei nur vier in Deutschland geborenen Spielern stört die Fans in ihrem Enthusiasmus keineswegs. "Wir haben für den Rest der Saison nur noch ein paar Sitzplatzkarten übrig", antwortet Mende, wenn man ihn fragt, wie das Publikum die Personalpolitik des Klubs bewertet.

Die Konkurrenz vernimmt den Iserlohner Aufschwung mit Verwunderung "Wenn so ein kleiner Verein wie wir mit solch bescheidenen Mitteln so einen Erfolg hat, dann schafft das sicher auch Neider", glaubt Mende. Nun ist Neid in der Branche schwer nachweisbar, aber das Interesse der Konkurrenz an den Iserlohner Spielern ist verbürgt. Nick Petersen soll bereits bei den Eisbären Berlin im Wort stehen und wäre vermutlich nicht der Einzige, der das Sauerland nach der Saison verlässt. "Warum sollte es diesmal anders sein als in den vergangenen Jahren?", sagt Mende und stellt sich vorsorglich schon mal auf eine ganze Reihe schlagkräftiger Weggänge ein. Zur Vorsorge reist er immer mal wieder nach Kanada - als Eishockey-Späher und Ahnenforscher.

© SZ vom 28.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: