Eishockey:Kanada ist wieder da

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Nach einem Jahr ohne Teilnehmer starten wieder fünf von sieben kanadischen Teams in die Playoffs der NHL. Gute Chancen räumen die Experten den Edmonton Oilers ein.

Von Johannes Kirchmeier

Sie haben eine neue Eishalle gebaut in Edmonton, das schon. Aber ansonsten hat sich auf den ersten Blick nicht viel verändert. Eigentlich scheint noch fast alles so zu sein wie vor einem Jahr in Edmonton in der kanadischen Provinz Alberta, der Erdölstadt, dem nördlichsten Standort der nordamerikanischen Eishockey-Profiliga NHL. Es spielt immer noch das Eishockeyteam Oilers in der Stadt, die Mannschaft setzt sich auch nahezu genauso zusammen wie vor einem Jahr, sie ist nur auf zwei, drei Positionen umgebaut.

Und doch wirkt es so, als habe sich die ganze Selbstverständlichkeit der Ölarbeiterstadt in 365 Tagen vollends gewandelt: Denn die Oilers, die schon durch ihren Namen wie kein anderes Team in der Liga mit dem Heimatort verwachsen sind, siegen wieder. Das damals zweitschwächste Team der Liga ist zur Spitzenmannschaft heran gewachsen, nicht wenige trauen ihr in diesem Jahr sogar zu, in den in der Nacht zu Donnerstag startenden Playoffs weit vorzudringen. "Jeder in der Stadt ist aufgeregt", sagt der deutsche Profi Leon Draisaitls. "Wir freuen uns auf die Playoffs. Es wird eine spaßige Serie werden." Die zähen Ölarbeiter jubeln wieder mit ihren Eishockeyspielern im früher so erfolgreichen Team, mit dem Wayne Gretzky, 56, einst vier Meistertitel feierte.

Deutscher Kanadier gegen kanadischen Amerikaner: Edmonton Oiler Leon Draisaitl (li.) lässt im Spiel gegen die Los Angeles Kings Gegenspieler Drew Doughty hinter sich. (Foto: Sean M. Haffey/AFP)

Heute verhelfen ihm vor allem die Jungen Draisaitl, 21, und Kapitän Connor McDavid, 20, zu Siegen. Draisaitl luchste in dieser Saison dem Bundestrainer Marco Sturm den deutschen Punkterekord ab und beendete die Hauptrunde mit 77 Punkten als achtbester Scorer der Liga. Sein letztes Tor legte ihm der schnelle kanadische Mittelstürmer Connor McDavid auf. "Wir haben beide versucht, so viel Spaß zu haben, wie wir konnten und waren dabei auch noch erfolgreich", sagte McDavid danach. Die Vorlage war, fast etwas kitschig, sein 100. Punkt. Als drittjüngster Spieler - nach Nationalmannschaftskollege Sidney Crosby von Meister Pittsburgh und Gretzky - gewann McDavid damit die Art Ross Trophy für den besten Punktesammler der Liga: "Er hat genug getan, um nun auch die Trophäe für den MVP zu bekommen", kommentierte daher das Edmonton Journal.

Die Geschichte von McDavid und den Oilers steht stellvertretend für die Entwicklung des kanadischen Eishockeys. Denn was in so einem Jahr eigentlich alles passieren kann, das merken sie gerade in ganz Kanada. Vor 365 Tagen ging die Welt gefühlt unter in jenem Land, das das Eishockey erfand. Erstmals seit 46 Jahren endete die Saison für alle kanadischen Klubs vor den Playoffs. Mit anderen Worten: Die besten 16 Teams der NHL kamen allesamt aus den im Eishockey deutlich traditionsärmeren USA. Edmonton beendete die Saison als Vorletzter, Toronto als Letzter. Nun spielen beide wieder mit in den Playoffs, wie Calgary, Montréal und Ottawa. Kanada ist wieder da. Was natürlich nicht nur fürs Eishockey gilt. Auch in der Politik merken die Kanadier nach dem vergangenen Jahr, dass ihre Premierministerwahl, der liberale Justin Trudeau, gar nicht schlecht gewesen ist, da im Süden Donald Trump regiert.

Dass sie im Eishockey wieder um den großen Titel mitspielen, verdanken die Kanadier vor allem dem nordamerikanischen Sportsystem: Denn das gewährte den schwächeren Klubs aus Kanada das Vorrecht, bei der jährlichen Talentbörse als erste Teams zuzugreifen. Viele vordere Erstrundenpicks wie Draisaitl und McDavid in den vergangenen Jahren spülten gerade die Oilers wieder zurück in ihre ersten Playoffs seit elf Jahren und glichen so den Nachteil des schwachen kanadischen Dollars gegenüber dem US-Dollar aus. Dieser Nachteil bleibt jedoch auch künftig bestehen, was in Edmonton wohl bald Begehrlichkeiten wecken wird und auch dazu führt, dass die derzeit favorisierten Teams doch dem Amtssitz von Trump näher liegen: Titelverteidiger Pittsburgh mit Stürmer Tom Kühnhackl und Washington, das beste Team der Hauptrunde, mit dem deutschen Ersatztorwart Philipp Grubauer gelten als heißeste Stanley-Cup-Kandidaten.

Die Kanadier sind jedoch lange schon nicht mehr so aussichtsreich in die Entscheidung gestartet wie dieses Jahr. Wem das nicht Motivation genug sein sollte: Kanadas letzter Stanley-Cup-Sieger war Rekordmeister Montréal - vor 24 Jahren. Es wäre also wieder mal Zeit.

© SZ vom 12.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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