Eishockey:Jedem steht der Wahnsinn in den Augen

Die Fischtown Pinguins haben es mit dem kleinsten Etat der Liga und der größten Begeisterung in die Playoffs geschafft.

Von Jörg Marwedel, Bremerhaven/Hamburg

Am Tag danach haben die Fischtown Pinguins es begriffen. "Kein Traum, es ist wahr: Wir spielen wirklich in unserer ersten DEL-Saison direkt mal in den Playoffs mit!", ließ der Neuling in der höchsten deutschen Eishockey-Liga über Facebook wissen und erntete sofort mehr als 23 000 "Gefällt-mir"- Buttons. Auch die 2:3-Niederlage im letzten Hauptrunden-Heimspiel am Sonntag in der mit 4647 Zuschauern mal wieder ausverkauften Eisarena am Wilhelm-Kaisen-Platz gegen den deutschen Meister EHC München änderte daran nichts mehr. Stattdessen gab es Lob vom Meistertrainer Don Jackson. Der Amerikaner hatte ein Spiel "auf Playoff-Niveau" gesehen, was auch am starken Gegner gelegen habe. Und das war keineswegs eine "Fake news".

Die Bremerhavener sind erst das zweite Team in der DEL-Historie, das sich als Neuling für die Endrunde qualifiziert hat. Nur die Münchner, die jetzt die Hauptrunde als Tabellenerster abschlossen, haben es schon einmal vorgemacht. Gegner des Tabellenzehnten in den Vor-Playoffs ist der ERC Ingolstadt. Die erste Partie steigt am Mittwoch um 19.30 Uhr in Ingolstadt. Zwei Siege reichen zum Einzug ins Viertelfinale.

Es ist wohl wirklich die Überraschung der auf ihren Höhepunkt zustrebenden Saison. Mit nicht einmal vier Millionen Euro stehen die Seestädter, die zum Bundesland Bremen gehören, am Ende der Etat-Tabelle. Eishockey-Nationalspieler Thomas Greilinger, der Torjäger der Ingolstädter, gibt zu, er habe zu Beginn der Spielzeit "kaum einen Spieler von ihnen gekannt". Und auch Alfred Prey, ein gebürtiger Oberbayer, der seit 25 Jahren in Bremerhaven das "Mädchen für alles" ist, prognostizierte im September: "Was für andere das Erreichen der Playoffs ist, wäre für uns der vorletzte Platz." Auf jeden Fall gab es außerhalb Bremerhavens kaum jemanden, der den Pinguins zugetraut hatte, auf dieser Stufe mitzuspielen. Man war in der Branche eher traurig, die hoch gehandelten, aber pleite gegangenen Hamburg Freezers ersetzen zu müssen.

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Rückhalt der Pinguine: Torhüter Jerry Kuhn.

(Foto: Zink/imago)

Doch was mit wenig Geld zu bewerkstelligen ist, führten Geschäftsführer Hauke Hasselbring, Teammanager Prey und vor allem Trainer Thomas Popiesch vor. Sie hatten bei den 18 neu verpflichteten Profis ein extrem gutes Gespür für deren Arbeits-Ethos und den menschlichen Aspekt, wie Prey sagt. Schon früh merkte Popiesch, 51, dass das Team, das die drei zusammengestellt hatten, "extrem diszipliniert" arbeitete. So ganz nach dem Motto, das in der Kabine an der Wand steht: "Spiel hart oder fahr nach Hause!"

Inzwischen sind Namen wie der aus St. Louis geholte Jack Combs (27 Tore und 45 Scorer-Punkte) ebenso bekannt wie der aus Minnesota abgeworbene Assist-Spezialist Rob Bordson (30 Vorlagen), der Kanadier Jeremy Welsh, der zuletzt gegen die Münchner beide Tore erzielte, der vom finnischen Champions-League-Finalisten Oulu Kärpät gekommene Verteidiger Atte Pentikäinen und vor allem Kapitän Mike Moore, der aus Calgary kam. Deshalb sagt Popiesch: "Unsere Mannschaft ist zwar DEL-unerfahren, aber nicht unerfahren im Eishockey." Immerhin ließen sie den achtmaligen deutschen Meister Düsseldorfer EG hinter sich. Auch Popiesch hat eine besondere Geschichte hinter sich. Der damals sehr talentierte Spieler des BFC Dynamo Berlin kam als Republikflüchtling der DDR in den Stasi-Knast Bautzen.

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Was die Eishockey-Verrücktheit angeht, ist man in der Stadt, deren Arbeitslosenquote mit 13,8 Prozent im Januar mehr als doppelt so hoch liegt wie der Bundesdurchschnitt, dagegen im oberen Drittel der Liga. Die heimische Eisarena war bislang zu 96 Prozent ausgelastet. Zum Auswärtsspiel nach Köln begleiteten jüngst 1500 Fans die Mannschaft, die Profis fuhren auf dem Rückweg mit im Sonderzug. "Wir leben gerade unseren Traum", sagt Thomas Popiesch, einer von nur drei deutschen Trainern in der DEL. "Jedem Zuschauer ist der Wahnsinn in die Augen geschrieben", schmunzelt Alfred Prey. Dabei ist er selbst, wie Geschäftsführer Hasselbring glaubt, der "eishockeyverrückteste".

Zumindest im Moment haben die Cracks auf Kufen die sportliche Konkurrenz in der Stadt hinter sich gelassen. Der Basketballklub Eisbären kommt ihnen mit Rang 13 in der Bundesliga noch am nächsten. Die anderen sind weit abgeschlagen. Die Fußballer des OSC Bremerhaven, die mal in der 2. Bundesliga spielten, belegen den vorletzten Platz in der Bremen-Liga. Und auch um die Tänzer, die früher einige Weltmeister stellten, ist es ruhig geworden. Bremerhaven ist jetzt eine Eishockeystadt geworden.

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