Eishockey:Eishockey in der DDR: "Das waren Hassspiele!"

Eishockey im Dresdner Fußballstadion

30.000 Zuschauer sollen am Samstag die Partie zwischen den Dresdner Eislöwen und den Lausitzer Füchsen sehen.

(Foto: dpa)
  • Das erste Winter-Derby der zweiten Eishockey-Bundesliga findet im umfunktionierten Fußballstadion von Dynamo Dresden statt.
  • Der Osten hat eine lange, aber kleine Tradition im Eishockey: Nur zwei Klubs traten in der DDR-Liga an.
  • Die beiden Mannschaften traten oft zehn bis 15 Mal in der Saison gegeneinander an - und spielten wahre Hasspartien.

Von Cornelius Pollmer, Dresden und Johannes Schnitzler, Bad Tölz

Der Ruhm von Dieter Frenzel reicht locker noch für ein Winken. Es sind die wilden Einkaufstage zwischen Weihnachten und Silvester, wie Lemminge mit Tüten schieben sich Menschen durch die Altmarkt-Galerie, einen zu großen Shopping-Irrgarten im Zentrum von Dresden. Ab und zu blickt einer der Lemminge auf, sieht Frenzel, lächelt. Grüß dich, Dieter, und alles Gute fürs neue Jahr! Wer Frenzel dann selbst begrüßt, weiß, wie sich der Handschlag eines Eishockeyprofis auch mit 60 noch anfühlt.

Der 296-malige Nationalspieler, 1,80 Meter groß, Kampfgewicht 92 Kilo, steht hinter der Theke seines Schuhgeschäfts. In der DDR trug Frenzel Kufen unter klobigen Stiefeln, in den Regalen von Grazie Schuhe liegen italienische Kunstwerke, die aussehen wie handgeschnitzt, aus Schlangenleder, Aal und Stachelrochen. Der Service? Französisch, englisch, russisch. Frenzel ist ja gewissermaßen in der Welt zur Schule gegangen.

Als der Osten Deutschlands noch gesondert im Medaillenspiegel ausgewiesen wurde, war Dieter Frenzel ein Leistungsträger, als Sportler und damit auch: als Devisenbeschaffer. Die politische Leitung der DDR traute ihren Eishockey-Arbeitern allerdings keine Medaillen zu, deswegen schaffte sie es 1970 über Nacht ab - der sogenannte Leistungssportbeschluss. Ein olympisches Eishockey-Turnier dauert zwei Wochen, und am Ende geht nur eine Medaille in die Wertung ein. Individualsportarten wie Schwimmen, Leichtathletik oder Eisschnelllauf boten da, auch wissenschaftlich, ganz andere Möglichkeiten.

Die DDR hatte eine Liga mit nur zwei Vereinen

Sport-Staatssekretär Rudolf Hellmann stellte den Genossen damals eine simple Rechenaufgabe: "Wir brauchen zum Aufbau der sozialistischen Wirtschaft jede Mark. Um Eishockey zu betreiben, benötigt man jährlich die Finanzen von etwa zwei Hochseefisch-verarbeitenden Kühlschiffen. Also, liebe Sportler, was brauchen wir dringender: Eishockey oder Kühlschiffe?" Vielleicht hätte das Politbüro Eishockey ganz abgeschafft. Aber der Stasi-Häuptling und Eishockey-Freund Erich Mielke rettete zwei Profi-Standorte. Von 1970 an spielte also Dynamo Berlin gegen Dynamo Weißwasser um den Titel in der "kleinsten Liga der Welt", zehn, zwölf, 15 Mal pro Saison.

Mit Verlaub: War das nicht brutal langweilig, immer und immer wieder gegen denselben Gegner? Nee, sagt Dieter Frenzel. Die Duelle "hatten immer Brisanz: Provinz gegen Hauptstadt."

Gut 500 Kilometer südlich von Dresden erinnert sich Peter Slapke an die Zeit. Seit mehr als 20 Jahren lebt er bei Bad Tölz, weil erst die eine Tochter, dann die andere, wie Slapke es ausdrückt, "in den Wirrungen der Wende hergemacht" hat. Slapke, 66, hat 219-mal für die DDR gespielt, oft Seite an Seite mit Frenzel. In der Liga stand der gebürtige Weißwasseraner auf der anderen Seite. In der Lausitz kamen 11 000 Zuschauer zu den Spielen, manche Zeitzeugen berichten von bis zu 15 000.

"Alle schwärmen, wie schön es damals war"

"Da gab es schon Hassspiele", sagt Slapke. "In den ersten Jahren flogen Flaschen und Steine, das ging zur Sache bis zur Platzsperre. Wir hatten ja immer das Gefühl, dass Berlin bevorzugt wird." Bis 1970 waren die Hauptstädter dem Berliner TSC, Weißwasser oder Crimmitschau hinterhergehinkt. Dann teilte Mielke seinem Lieblingsklub die besten Spieler zu. "Die ganz Guten wie Rainer Patschinski (Vater des ehemaligen St. Pauli-Profis Nico Patschinski, d. Red.) vom TSC oder Bernd Karrenbauer (Rostock) gingen nach Berlin, die weniger Guten kamen zu uns", sagt Slapke.

Selbst in der Nationalmannschaft prügelten sich die Rivalen

Die Monotonie in der Liga sei ihnen aber "gar nicht so bewusst" gewesen. "Wir haben viele Spiele nebenbei gemacht, mit der Nationalmannschaft, im Europapokal. Fünfzig, sechzig Partien pro Saison." Und sie seien viel auf Reisen gewesen: "Zwei Mal pro Jahr ins kapitalistische Ausland, fünf Mal in sozialistische Länder." Vom Leistungssportbeschluss erfuhren die Nationalspieler auf der Rückreise von der WM 1970 in Schweden. "Wir waren geschockt. Wir wussten erst mal gar nicht, wie uns geschieht", erzählt Slapke.

Die Rivalitäten zwischen den beiden Klubs nahmen bei der Nationalmannschaft nicht ab. Dort spielten ungefähr "zwei Drittel aus der Meistermannschaft, also vom Vorletzten, und ein Drittel vom Zweiten", sagt Dieter Frenzel: "Das ging bis zu Schlägereien, is' ja ooch klar." Wenn die alten Recken heute beieinander säßen, sagt Slapke und schmunzelt, "dann schwärmen alle, die sich früher die Fresse poliert haben, wie schön es damals war."

Spiel vor 30 000 Zuschauern

Dieser Samstag böte nun wieder einmal Gelegenheit für einen gemeinsamen Nostalgieabend. Um 16.15 Uhr empfangen die Dresdner Eislöwen die Lausitzer Füchse aus Weißwasser zum ersten "Winter Derby" der zweiten Liga unter freiem Himmel. Gespielt wird im Fußballstadion von, na klar, Dynamo Dresden, vor mehr als 30 000 Zuschauern, der vierthöchsten in Europa je bei einem Ligaspiel erreichten Besucherzahl. Zuvor gibt es ein "Spiel der Legenden" zwischen zwei Veteranenteams aus Ost und West, Karat-Gitarrist Bernd Römer intoniert die (bundesdeutsche) Nationalhymne. Der MDR überträgt drei Stunden lang live. "Was ich weiß, ist, dass es nur noch so Sichtbehinderten-Karten gibt, fast unter der Eisfläche", sagt Dieter Frenzel. Trotz allem also: Eishockey im Osten lebt.

Slapkes und Frenzels Wege trennten sich nach der Wende. Slapke, der seine Karriere 1980 hatte beenden müssen und anschließend als Trainer in Weißwasser arbeitete, zog in den Süden. Mangels sportlicher Angebote verdingte er sich zunächst als Bierfahrer. Er sagt: "Da habe ich schon geschluckt." Er meint es im übertragenen Sinn.

Heute kennt die Spieler in Weißwasser kaum noch jemand

Später gelang ihm eine zweite internationale Laufbahn als Schiedsrichter: Zwischen 1993 und 2002 pfiff Slapke jedes Jahr bei einer WM. Zuletzt half er für ein halbes Jahr als Co-Trainer beim Drittligisten Tölzer Löwen aus. Frenzel hängte nach seinem letzten Kurzengagement als Coach in Hannover Schlittschuhe und Trillerpfeife an den Nagel. Danach sagte er zu seiner Frau: Komm, lass uns noch mal was anderes machen. Seit 13 Jahren leben sie nun in Dresden und verkaufen Schuhe.

Für das Winter-Derby hat Frenzel das Team der Ost-Legenden zusammengestellt, er wird neben alten Fahrensmännern wie Guido Hiller, Friedhelm Bögelsack oder Reinhard Fengler selbst auf dem Eis stehen. "Das Wichtigste ist aber das Danach." Auch Slapke, der ehemalige Nationalspieler und beste deutsche Schiedsrichter, wäre gern dabei gewesen. Aber er erhielt keine Einladung. "So ist das", sagt Slapke und klingt bitterer, als er das eigentlich will. Wenn er heute nach Weißwasser komme, "kennt mich da keiner mehr".

Den Schiedsrichter gibt nun übrigens Sven Felski, der ehemalige Kapitän der Eisbären, Nachfolger von Dynamo. Berlin, natürlich.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: