Eishockey:Die nächste Narbe

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"Natürlich hängt da mein Herz dran": 1983 bejubelt Alois Schloder (r.) mit Helmut Steiger den Meistertitel. Heute schreibt er an der Vereinschronik. (Foto: imago)

Nachdem dem EV Landshut die Zweitliga-Lizenz entzogen wurde, steht der traditionsreiche Verein wieder einmal vor einem Neuanfang - es droht sogar die Bezirksklasse.

Von Benedikt Warmbrunn

Auch am Donnerstag hat sich Alois Schloder um die Geschichtsbücher gekümmert, er ist in die Druckerei gefahren, hat mit den Druckern geredet, und am Ende hatte er ein gutes Gefühl. Schloder schreibt gerade an einer Chronik: der Chronik des EV Landshut. Der Chronik von seinem Verein. 50 Seiten mit 70 Fotos hat er schon, angefangen mit der Geschichte des Eislaufens, wie die Dichter im 17. Jahrhundert darüber schrieben, wie 1869 erstmals in einem Tagebuch über das Eislaufen in Landshut berichtet wurde, wie 1948 schließlich der EVL gegründet wurde. Zurzeit schreibt Schloder über die Saison 1957/58, spätestens zum 70. Geburtstag des Vereins soll die Chronik fertig sein.

"Und jetzt", sagt Schloder, "ist eben noch ein Kapitel dazugekommen."

Schloder ist in Landshut geboren im August 1947, ein dreiviertel Jahr älter also als der EV Landshut, der einzige Verein, für den er Eishockey gespielt hat, 23 Jahre lang. Schloder ist mit dem Verein zweimal deutscher Meister geworden, er hat ihn später in die Deutsche Eishockey-Liga (DEL) begleitet. Auch in schweren Zeiten ist er treu geblieben ist, um den Jahrtausendwechsel herum, als die DEL-Lizenz verkauft wurde und der Klub in der Oberliga neu anfangen musste. Zuletzt hat der EVL zweimal das Halbfinale in der DEL2 erreicht, immerhin. Trotzdem hatte Schloder im vergangenen Vierteljahr kein gutes Gefühl für die Zukunft des Vereins, an dessen Chronik er gerade schreibt. Er ahnte schon lange, was am Donnerstagabend bestätigt wurde: Da entzog die DEL2 Landshut die Lizenz. "Man fragt sich aber schon", sagt Schloder, "wie es so weit kommen konnte."

Offiziell teilt die DEL2 nur mit, dass Landshut gewisse Regeln nicht eingehalten habe, auf Nachfrage sagt Geschäftsführer Rene Rodurisch, dass die "Gesamtkapitalsituation nicht positiv bescheinigt werden konnte". Zu weiteren Details schweigt er. Landshuts Geschäftsführer Christian Donbeck verweist auf eine Mitteilung, in der der Verein rechtliche Schritte ankündigt. Es ist der letzte, verzweifelte Versuch, einen der traditionsreichsten Standorte der Eishockey-Republik zu retten.

Schloder, der Spieler, der die große Zeit des Vereins geprägt hat, sagt, er habe sich in den vergangenen Wochen oft gewundert. Durch seine Kontakte zur Liga wusste er, wie schlimm es um den Verein steht, von mehreren Leuten habe er gehört, "dass verschiedene Zahlungen nicht eingehalten wurden". Doch in den lokalen Zeitungen hat Schloder nur gelesen, wie optimistisch sich die Vereinsfunktionäre geäußert haben: Dass der Dauerkartenverkauf gut laufe. Dass 1,6 Millionen Euro an Sponsorengeldern fließen. "Das passt alles nicht zusammen", sagt Schloder.

Der Klub, erzählt man sich in der Branche, sei überschuldet, habe mehrere Fristen versäumt, obwohl die DEL2 versucht habe, Landshut irgendwie in der Liga zu halten. "Das ist ein unheimlicher Schlag für das deutsche Eishockey", sagt Franz Reindl, der Präsident des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) am Freitagmittag, "das wird Narben hinterlassen."

Zahlreiche deutsche Eishockey-Profis haben in Landshut ihre Karriere begonnen, neben Schloder in erster Linie Erich Kühnhackl, der später zu Deutschlands Eishockey-Spieler des 20. Jahrhunderts gewählt wurde. Oder in den Neunzigerjahren Marco Sturm, der neue Bundestrainer. Auch Kühnhackls Sohn Tom und der aktuelle Nationalspieler Tobias Rieder von den Arizona Coyotes aus der nordamerikanischen Profiliga NHL wurden in Landshut ausgebildet. "Ich habe manchmal den Eindruck, manche verstehen nicht, wie viel Geschichte in diesem Verein steckt", sagt Schloder, der Chronist. Und bei der Suche nach einem Schuldigen, sagt er, "bleibt immer einer übrig: der Herr Beck".

Rainer Beck hat sich auf dem Mietmarkt in München ein kleines Vermögen verdient, schon lange wollte er sich damit im Sport engagieren. Beim TSV 1860 lehnten sie ihn als Investor ab, bei der SpVgg Unterhaching war er Vize-Präsident. Im Eishockey wollte er erst beim EHC München einsteigen, dort lehnten ihn die anderen Gesellschafter jedoch ab. Nirgends wollten sie Beck. Bis ihn Bernd Truntschka anrief, der damalige Geschäftsführer in Landshut. Und so wurde Beck im Herbst 2011 Gesellschafter in Landshut.

Über Beck erzählen sie sich seitdem wenig Gutes in der Stadt, unter ihm kam zwar ein sanfter sportlicher Aufschwung, aber richtig warm sind sie mit ihrem Gesellschafter nie geworden. "Der Herr Beck hat gemeint, mit dem Eishockey Geld verdienen zu können", sagt Schloder, "aber da wäre er der erste Mensch in Deutschland gewesen." Schloder ärgert ganz besonders, wie der Verein nun in den Lizenzentzug geschlittert ist: "Du musst doch auch die Größe haben zu sagen: Wir brauchen Hilfe. Aber das wirklich Tragische ist, dass doch alle gewusst haben müssen, dass es nicht gut ausgehen wird - und trotzdem haben sie so geredet, als ob eigentlich alles in Ordnung wäre."

Der EV Landshut wird nun gegen die Entscheidung der DEL2 klagen - die Aussichten, die Lizenz doch irgendwie zu erhalten, sind aber gering. Wahrscheinlicher ist es, dass Landshut in einer niedrigeren Spielklasse neu anfangen muss, womöglich sogar in der Bezirksklasse.

"Es ist traurig", sagt Schloder, "denn natürlich hängt da mein Herz dran." Aber es hilft nix. Er wird es in die Chronik aufnehmen müssen.

© SZ vom 11.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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