Eisbären sind Meister:Nie aufgehört zu träumen

Nach 13 Jahren sind die Berliner Eisbären am Ziel und gewinnen gegen Adler Mannheim den Deutschen Eishockey-Titel.

Von Javier Cáceres

Als der Gesamtsieg im Finale um den Deutschen Eishockey-Titel eine halbe Stunde zurücklag, wirkte auch Detlef Kornett seltsam entrückt vor Glück. Der Geschäftsführer des EHC Eisbären Berlin hielt eine 0,5-Liter-Flasche Pils-Bier in der rechten, das Handy in der linken Hand.

Erik Cole von den Eisbären

Um Siege richtig auskosten zu können, muss man auch Niederlagen erlebt haben, meint Torschütze Erik Cole von den Eisbären. "Das gibt Charakter."

(Foto: Foto: dpa)

Auch ihm, Europa-Statthalter des medienscheuen Eisbären-Eigners Phil Anschutz, klopften die Sympathisanten des Eishockey-Klubs auf die Schultern, wie den Spielern, die allmählich das Eis verließen und sich durch Fantrauben in die Kabine wühlten, so hohlwangig wie glücklich. Sonderlich lange konnte Kornett nicht mit dem Boss kommunizieren.

"Congratulations" habe Anschutz aus seinem Büro ausrichten lassen - was man halt so sagt, wenn ein Titel errungen wird. Es sei denn, ein Triumph sprengt die Dimension des sportlichen Jahresendergebnisses und gerinnt zu einem Symbol: Als sich ein paar Sympathisanten des betont ostberlinerischen Vereines zu Kornett durchgekämpft hatten, reichten sie ihm artig die Hand, nickten aufmerksam und sagten: "Danke." Dann gingen sie mit seligen Augen davon.

Grollfreier Abend

Es war ein geradezu Aufsehen erregend grollfreier Abend, nicht ein Atom des sonst gängigen Trotzes hatte überlebt, als das dritte Finalspiel gegen Adler Mannheim begann, inmitten einer Wolke aus Urvertrauen in den Gewinn des ersten Meistertitels seit dem Mauerfall. Nicht einmal die eigene Glücklosigkeit im Überzahlspiel und der frühe Rückstand durch das Powerplay-Tor von Jochen Hecht (7.) vermochte dies zu durchbrechen.

Nur elf Minuten später erzielte Erik Cole das 1:1 in Unterzahl - mit einem Alleingang, der wie eine Eishockey-Analogie zu Diego Maradonas Alleingang beim 2:1 Argentiniens gegen England bei der Fußball-WM in Mexiko wirkte.

Nie aufgehört zu träumen

Cole, der etatmäßig bei den Edmonton Oilers aus der nordamerikanischen Profiliga NHL beschäftigt ist, erzielte auch das 2:1, ehe Steve Walker und Denis Pedersen im letzten Drittel den Sieg besiegelten und die Treffer drei und vier erzielten.

"Jetzt machen die ganzen Jahre Sinn"

2002 unterlag Cole mit den Carolina Hurricanes im Stanleycup-Finale, danach habe er sich geschworen, nie wieder ein Finale zu verlieren: Eine lehrreiche Pleite, denn um Siege wirklich auszukosten, müsse "man erst den Geschmack der Niederlage schmecken - das gibt Charakter."

So gesehen haben sich die Berliner sehr lange und gut auf ihren ersten Triumph vorbereitet. "Jetzt machen die ganzen Jahre Sinn, in denen es wirklich hart war", sagte Hartmut Nickel, früher Spieler und Coach, heute Assistent von Meistertrainer Pierre Pagé.

41 seiner 60 Lebensjahre hat Nickel im Inneren des Berliner Eishockeyklubs verbracht; hat 15 DDR-Titel miterlebt und -gestaltet, den Fall der Mauer und des Klubs, den Wiederaufstieg, die Umbenennung von Dynamo in Eisbären, die abgewendeten Konkursanträge, die Übernahme durch die Anschutz Entertainment Group 1999.

Den Tränen nahe

Einen weiteren Triumph hatte er für unwahrscheinlich gehalten: "Ich hätte nicht gedacht, dass ich das noch einmal erlebe." Auch der ehemalige Dynamo Sven Felski, der Dekan unter den spielenden Vereinsangestellten, war in seiner seinem Pathos kaum zu bändigen, der Titel sei "eine Belohnung für alle, die nicht aufgehört haben zu träumen", sprach er.

Auch seine Rührung kannte kein Limit: "Dreizehn Jahre hab' ick jekämpft, damit ick endlich mal dieset Teil habe", rief er, mit den Tränen kämpfend. Nachwuchsstar Alex Barta weinte ebenfalls, "mit einem Auge", denn er hat sich entschlossen, nach Hamburg zu den Freezers zu wechseln.

Nie aufgehört zu träumen

Dort steht bereits ein Palast, wie ihn die Anschutz-Gruppe auch für die Eisbären plant. 150 Millionen Euro will sie investieren - und alleindurch den Verkauf der Namensrechte mindestensein Drittel der Summe einnehmen.

Ausbruch aus der Ost-Nische

Eigentlich sollte die Halle in diesem Jahr fertig sein, nun stehen für die zweite Jahreshälfte Abrissarbeiten auf dem Gelände nahe des Ostbahnhofs an. Damit würde man immerhin etwas näher an das westliche Berlin heranrücken, dessen Medien breiteten am Mittwochbereits die Arme aus.

"Längst sind die Eisbären nicht allein nur für Ostbürger da", schrieb etwadie Berliner Morgenpost, einen "gesegneten Tag" hatte Bild erkannt, und Der Tagesspiegel forderte eine Weiterentwicklung der Marke Eisbären "zum gesamtgesellschaftlichen Ereignis für ganz Berlin" - und den Verein auf, die Ost-Nische zu verlassen, in der er sich bequem eingerichtet hatte.

"Ich hoffe, dass dieser Titel unser Vorhaben voranbringt", sagte Kornett. Ob das angestammte Publikum wirklich mitwandert, welches das Wellblechdach für ästhetischer hält als Michelangelos Gemälde in der Sixtina?

Nichts klang inbrünstiger als ihre "Ost-, Ost-, Ostberlin"-Rufe und ihre "Dynamo"-Gesänge. Immerhin scheinen sie sich an die BRD-Hymne zu gewöhnen. Zumindest in der sehrfrei interpretierten Fassung, die Karat-Musiker Bernd Römer auf seiner E-Gitarre vortrug - im Stil von Jimi Hendrix' Interpretation der US-Hymne auf dem Woodstock-Festival.

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