Einzelzeitfahren:Sturmböen aus allen Richtungen

Fabian Cancellara, 35, und Kristin Armstrong, 42, gewinnen Gold. Die Deutschen bleiben hinter den Erwartungen zurück.

Von Johannes Knuth

Ein Zeitfahren an der Küste? Auch nicht schlecht. Es war zumindest ein netter Zielbereich, den sie am Mittwoch in Pontal für die olympischen Einzelzeitfahren der Frauen und Männer entworfen hatten, inmitten von Palmen neben der Straße, dahinter Strand und Meer. Die Führenden im aktuellen Klassement ließen sich in braunen Liegestühlen nieder, neben sich eine Kokosnuss, von dort begutachteten sie die Leistungen der anderen. Blöd nur, dass sie sich den Mittwoch für ihr Zeitfahren ausgesucht hatten, den bislang ungemütlichsten Tag dieser Sommerspiele. Der Wind blies aus allen Richtungen gegen die Räder. Es regnete, ständig. Als die Fahrer in ihre Strandstühle plumpsten, waren sie klatschnass, als hätten sie gerade im Meer gebadet. Wenn die Nachwelt irgendwann einmal Bilder der Siegerehrungen begutachten wird, von den Olympiasiegerin Fabian Cancellara aus der Schweiz und Kristin Armstrong aus den USA - sie wird denken, dass die Rennen in einem vollwertigen Tropensturm stattgefunden haben.

"Ich bin überhaupt nicht in meinen Rhythmus gekommen"

Die ambitionierten deutschen Fahrer wollten zumindest ein paar Ergebnisse in die Wertung tragen, an denen sie sich wärmen konnten, aber ihre Hoffnungen erkalteten schnell. Tony Martin, Weltmeister von 2011 bis 2013, beendete die knapp 55 Kilometer als Zwölfter, knapp vor Simon Geschke, der mit seinem 13. Rang wiederum zufrieden sein konnte. Martin hatte sich wenig ausgerechnet auf diesem harten Kurs, der von der Küste aus durch zwei schwere Schleifen durch den Wald führte; er präferiert die monotone Schinderei, ohne allzu viele Rhythmuswechsel. Er fiel dann auch bald ins Mittelfeld zurück. Vorne schob sich Cancellara auf der zweiten Runde an die Spitze und verharrte dort, knapp eine Minute vor den Favoriten, dem Niederländer Tom Dumoulin (0:47 Minuten zurück) und dem Tour-de-France-Sieger Christopher Froome aus Großbritannien (1:02). "Fabian ist heute geflogen", sagte Dumoulin später.

2016 Rio Olympics - Cycling Road - Men's Individual Time Trial

Unterwegs bei Wind und Regen: Tony Martin, ehemals Weltmeister im Einzelzeitfahren, müht sich beim olympischen Wettbewerb vergebens über die Berge um Rio.

(Foto: Bryn Lennon/Reuters)

Martin trug derweil viel Frust mit sich herum. "Ich bin überhaupt nicht in den Rhythmus gekommen", sagte der 31-Jährige vor den Fernsehkameras. Er müsse auch seine Meinung revidieren über den Kurs, der angeblich die Kletterer bevorzugte. Nachdem die Veranstalter schnelleren (und glatteren) Belag verlegt hatten, sei es doch für alle fair gewesen. "Das war es noch nicht", sagte er trotzig, dann rauschte er wortlos durch die Pressezone. Er hatte bereits vor dem Rennen befunden, dass er gerade aus der "absoluten Weltspitze" gefallen sei, seine alte Dominanz war ihm im vergangenen Winter abhanden gekommen. Die Weltspitze hat sich weiterentwickelt, beim Material und der Position auf dem Sattel, Martin wurde auch von Kniebeschwerden geplagt, er hat sie erst kürzlich abgeschüttelt. "Für ein normales Rennen wäre ich nicht angereist", sagte er in Rio. "Teilweise unerklärlich", sei das alles, am Ende flüchtete er sich in einen Allgemeinplatz: "Ich glaube, das ist so eine Talsohle, die jeder Sportler mal durchlebt."

Auch die deutschen Frauen wirkten am Mittwoch ratlos. Lisa Brennauer hatte sich etwas mehr erhofft als Platz acht: "Soweit ich das von meinen Wattwerten gesehen habe, war das echt ein richtig gutes Rennen, aber es hat heute nicht gereicht. Warum, weiß ich jetzt auch nicht genau." Olympiasiegerin Kristin Armstrong (nicht verwandt mit dem gefallenen Lance Armstrong) war rund eine Minute schneller gewesen, sie hatte sich für Olympia noch einmal aus dem Ruhestand gelöst. Am Mittwoch reihte sie ihre dritte olympische Goldmedaille im Zeitfahren aneinander, ein Novum, ein Tag vor ihrem 43. Geburtstag. Fast hätte sie noch gegen die Russin Olga Zabelinskaja verloren, 5,5 Sekunden trennten die beiden am Ende. Zabelinskaja war nach dem Rennen aber auch so ein Thema.

Cycling - Road Time Trial - Olympics: Day 5

Hat sich mittlerweile ihre dritte olympische Goldmedaille im Zeitfahren erkämpft: Kristin Armstrong.

(Foto: Bryn Lennon/Getty Images)

Die 36-Jährige war vor zwei Jahren mit dem Stimulanzmittel Octopamin erwischt worden, sie wurde für 16 Monate gesperrt, im vergangenen Februar kehrte sie zurück. Das Internationale Olympische Komitee urteilte vor Rio, russische Sportler trotz Staatsdopings für Rio zuzulassen; ehemalige Doper wie Zabelinskaja wurden zwar pauschal ausgesperrt, aber der Sportgerichtshof Cas revidierte die Entscheidung. "Ich bin keine, die in der Vergangenheit ein Doping-Problem hatte. Ich bin sauber", sagte sie nun. Sie habe vor dem positiven Test ihr Kind gestillt, sie durfte gar nichts nehmen, das Mittel sei "vielleicht über gegessenen Fisch" in den Körper gelangt. Zabelinskaja wurde ablehnend begrüßt, Anna van der Breggen, Erste des Straßenrennens und Dritte im Zeitfahren, sagte: "Ich war überrascht, dass sie hier ist." Aber die große Empörung, wie sie seit Tagen die russische Schwimmerin Julia Jefimowa umtost, blieb aus. "Wer auf der Startliste steht, ist im Rennen", sagte Armstrong.

So lange wie Kristin Armstrong will Cancellara nicht fahren

Die Schatten der Vergangenheit wird der Radsport nicht so recht los. Auch Cancellaras Karriere reicht ja in eine Zeit hinein, die als dopingverseucht gilt. Er musste unter anderem einräumen, dass er jahrelang mit dem dubiosen Sportarzt Luigi Cecchini zusammengearbeitet hatte. Er stemmte sich gegen alle Vorwürfe, auch gegen den Verdacht, er habe vor sechs Jahren bei einem Frühjahrsklassiker einen Motor in seinem Fahrrad eingebaut. In Rio bekräftigte er sein Vorhaben, seine Karriere nach dieser Saison stillzulegen. Ob er nicht bis zum 42. Lebensjahr weitermachen wolle, wie Kristin Armstrong? Fabian Cancellara sagte: "Nein."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: