Einzelkritik:Kraxeln und haxeln

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Hoffnung in der 7. Minute: Der von den Barça-Profis übersehene Münchner Innenverteidiger Benatia erzielt das frühe 1:0. (Foto: Kerstin Joensson/AP)

Rafinha begegnet Neymar, Benatia eifert Dieter Hoeneß nach und Müller müllert, bis er trifft- der FC Bayern gegen Barcelona in der Einzelkritik.

Von Christof Kneer

Manuel Neuer: Ihm war es zu verdanken, dass das Spiel nicht schon nach fünf Minuten schrecklich langweilig wurde. Da kratzte er erst einen Schuss von Rakitic aus dem Eck, dann wischte er eine verirrte Flanke von Jordi Alba aus dem Winkel. So wurden seine Paraden zu einem - allerdings wohl nicht einstudierten - Signal für Benatias Führungstreffer. Es war keine schlechte Idee von Neuer, sein ganzes Können zu zeigen, denn der Torwart auf der anderen Seite, der auch sein ganzes Können zeigte, ist ebenfalls Deutscher - und vielleicht bald mal ein Konkurrent beim DFB. Ter Stegen sah vom anderen Tor aus zu, wie Neuer beim 1:2 mit einem Schuss ins Torwart-Eck bezwungen wurde. Unhaltbar? Selbst wenn: Vom armen Neuer erwartet man ja inzwischen, dass er auch solche hält.

Rafinha: Begegnete auf seiner rechten Abwehrseite Landsmann Neymar, wie im Hinspiel. Begegnungen mit Landsleuten motivieren Rafinha manchmal, manchmal übermotivieren sie ihn. Hat mal zwei Test-Länderspiele für Brasilien bestritten, vor zehn oder zwanzig Jahren. Wird - auch wenn er sich wie immer und an diesem Abend sehr viel Mühe gibt - Neymar im Nationalteam eher nicht mehr begegnen.

Jérôme Boateng: Wird Neymar sicher noch das ein oder andere Mal begegnen, aber er wird hoffen: nicht so oft. Boateng mag modernes Verteidigen, er mag es, weit vorne zu stehen, weil er weiß, dass er normalerweise schnell genug ist, um Stürmer, die in seinem Rücken davongesaust sind, wieder einzukassieren. Aber dieser Abend war kein normaler Abend. Bayerns Abwehr riskierte sehr viel, stand sehr hoch, das kann man schon mal machen. Aber gegen Suarez, gegen Messi, gegen Neymar? Boateng machte es nicht schlecht, aber er musste die Jungs am Anfang halt doch mal sausen lassen.

Medhi Benatia: Bei Bayern sagen sie: Wir haben im Moment eigentlich nur einen Spieler, der nach einer Ecke wirklich ein Kopfballtor erzielen kann. In der siebten Minute war klar, dass damit nicht Dieter Hoeneß, Luca Toni oder Boateng gemeint sind. Sondern Medhi Benatia. Allerdings: Er stand so frei, dass vielleicht auch Lahm eingeköpft hätte. Na gut, Lahm vielleicht nicht, sagen wir: Schweinsteiger. Spielte im Grunde wie Boateng: ziemlich stabil, aber er spielte halt doch nicht gegen, sagen wir, den Augsburger Bobadilla (dem laut aktueller Recherchen aber vor nicht allzu langer Zeit ebenfalls ein Tor gegen die Bayern gelungen sein soll). Er spielte gegen Suarez, gegen Messi, gegen Neymar. Machte beim 1:1 die Boateng-Erfahrung: Musste einen der Jungs (Suarez) in seinem Rücken sausen lassen. Wird wie Rafinha bestimmt kein Länderspiel für Brasilien mehr bestreiten. Ist allerdings auch Marokkaner.

Juan Bernat: Hatte Glück, dass Messi die Tore nicht in seinem Sektor anbahnte. Sah persönlich besser aus als im Hinspiel, als er das erste Gegentor mit einem Ballverlust verschuldet hatte. Bei Bayern wissen sie aber, dass das Hinspiel kein Maßstab war für die Fähigkeiten dieses jungen, zähen Flügelspielers, der sich mit Barcelonas Linksverteidiger Jordi Alba um den Stammplatz in der spanischen Nationalelf streitet.

Xabi Alonso: Hat ins Hinspiel so viel Leidenschaft, Enthusiasmus und Leidensfähigkeit investiert, dass fürs Rückspiel nicht mehr so viel übrig war. Wie immer mit ordnendem Passfuß ausgestattet, aber es gab Phasen, da wirkte sein Tempo wie bei einem Benefizspiel. Es war allerdings gar keines. Und vielleicht war dieser Eindruck sowieso ungerecht, weil sein Tempo halt am Tempo der Jungs in Gelb gemessen wurde. Und die sausten durch seine persönliche 30er-Zone, dass ihnen die Stadt München zur Strafe sicher noch ein paar Bußgeldbescheide wegen Geschwindigkeitsübertretung nach Barcelona nachschicken wird.

Bastian Schweinsteiger: Muss keine Bußgeldbescheide wegen Geschwindigkeitsübertretung befürchten. Passte sich Alonsos Tempo an, war ihm phasenweise ein würdiger Benefizspiel-Partner. Verlor vor dem 1:2 ein Kopfballduell gegen das Kopfballungeheuer Lionel Messi Hrubesch. Haute sich rein wie immer, scheint aber derzeit nicht in der Verfassung zu sein, um das Spiel auf seine Seite zu zwingen. Tapferer Mia-san-mia-Fußballer, dem zurzeit der Körper für Mia-san-mia-Fußball fehlt. War immerhin vor dem Anpfiff ein Gewinner: Er bekam den Startplatz, den die Allgemeinheit Mario Götze zugedacht hatte. Aber wer ist schon die Allgemeinheit?

Philipp Lahm: Hat in seinem Leben nach eigener Schätzung 54 verschiedene Positionen gespielt, an diesem Abend kam die 55. Position hinzu: Begann als eine Art Mittelfeldrechtsaußen. Sollte den Gegner auf der Seite nerven, wie schon gegen den FC Porto. Was aus zwei Gründen eine einleuchtende Maßnahme war: Erstens hat Guardiola keine anderen Flügelspieler mehr, zweitens ist der Altersschnitt in der Zentrale auch ohne Lahm hoch genug. Zeigte auf dem Flügel fast schon wieder seine gewohnte Trippelschrittfrequenz, wirkt nach langer Verletzungspause allmählich wieder spritziger. Problem nur: Die Saison ist für Bayern jetzt vorbei. Und anspruchsvolle Länderspiele gegen Gibraltar (13. Juni) will er ja nicht mehr. Wechselte später in die Zentrale, wo ihm die lange Spielpause dann wieder anzumerken war.

Thiago: Lionel Messis gelungener Außenristpass nach 40 Sekunden inspirierte ihn nach 62 Sekunden ebenfalls zu einem Außenristpass. Blöd nur: Seiner kam nicht an. Kann inzwischen nicht mehr verbergen, dass er über ein Jahr verletzt war. Verschwindet inzwischen zunehmend in jenem Loch, das Rückkehrer nach ein paar gelungenen Spielen gerne mal verschlingt. Wird für die neue Saison aber sicher ein prima Zugang.

Thomas Müller: Rackerte, wurschtelte und müllerte anfangs so, wie man das aus den großen Spielen von ihm kennt. Schnaxelte, haxelte und kraxelte. Hatte Bewegungen drauf, die sie in Barcelona noch nie gesehen haben und deshalb nicht immer verteidigen konnten. Manchmal kam plötzlich irgendwo zwischen den spanischen Abwehrbeinen ein oberbayerischer Haxen zum Vorschein, auch nach den frühen Toren der Gäste haxelte der Müllerthomas weiter - seine Leidenschaft wurde mit einem schönen Tor belohnt, was bewies: Diese oberbayerischen Haxen können manchmal sogar schlenzen.

Robert Lewandowski: Wenn es stimmt, dass der Pole mit seiner Maske nur 60 Prozent seiner Fähigkeiten abrufen kann, dann hätte man ihn an diesem Abend gerne mal mit 100 Prozent gesehen. Torgefährlichster Münchner, behauptete Bälle, steckte nie auf. War nur deshalb nicht bester Stürmer auf dem Platz, weil am anderen Ende Messi, Suarez und Neymar spielten.

Sebastian Rode: Kam für Lahm und kann jetzt für immer behaupten, dass sich sein Wechsel aus Frankfurt gelohnt hat. Durfte gegen Barcelona spielen.

Mario Götze: Er finde es "unsäglich, wie jetzt auf Mario rumgehackt wird, er beschäftigt sich wahnsinnig viel mit seinem Beruf, ist ein sehr junger Spieler und hat schon große Schritte gemacht", sagte DFB-Manager Oliver Bierhoff vor dem Spiel. Guardiola sieht das offenbar anders - er gönnte ihm drei Gnadenminuten, gemeinsam mit dem lange verletzten Javi Martínez, der in der nächsten Saison bestimmt ein prima Zugang wird.

© SZ vom 24.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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