Eintracht Frankfurt:Ziemlich viel Pep

Niko Kovac hat die Eintracht renoviert, indem er den Profis vorlebt, wie es besser geht. An seiner Seite genießt der neue Sportvorstand Fredi Bobic den Aufschwung am Main.

Von Philipp Selldorf, Frankfurt

Die Leute, die am Mittwochvormittag gekommen waren, um sich bei eisiger Kälte das Training von Eintracht Frankfurt anzuschauen, waren auf alle Härten eingerichtet. Sie hatten sich dicke Mäntel und schwere Stiefel angezogen, manche hatten Verpflegung mitgebracht. Die langen Trainingslektionen bei der Eintracht fordern neuerdings nicht nur die Spieler, sondern auch die Zuschauer aufs Äußerste, bis zu drei Stunden dauern die Einheiten, tags zuvor fanden Torschussübungen bei hereinbrechender Dunkelheit statt. Am Mittwoch aber dürfen die meisten Profis nach einer Stunde und 20 Minuten die Mühsal einstellen, nur ein paar Junioren werden noch vom kernigen, kurzbehosten Athletik-Trainer gedrillt. Ständige Beobachter spotten über einen Arbeitstag von "Veh'schen Dimensionen".

Armin Veh, Eintracht-Trainer von 2011 bis 2014 sowie in weiten Teilen der Vorsaison, war dieser Tage wieder ein Thema bei Frankfurter Journalisten. Der TSV 1860 hatte Veh engagieren wollen, dieser ließ in aller Deutlichkeit wissen, dass er die Anfrage als Zumutung betrachte. Über den unmöglichen Antrag und über die typische Erwiderung hat man sich nun amüsiert in Frankfurt, wo Veh nach wie vor viele Sympathien genießt. Wobei diese Sympathien vornehmlich dem Menschen Veh gelten.

Der Trainer Veh hingegen hatte das Wohlwollen strapaziert, als er es in seiner zweiten, im März 2016 vorzeitig beendeten Amtszeit bei der Eintracht übertrieb mit seiner berühmten Lässigkeit. Das fällt jetzt umso mehr auf, da sein in der Abstiegsnot engagierter Nachfolger Niko Kovac eine dezidiert andere Auffassung von Arbeitsmoral demonstriert. "Zu euch ist er netter als zu uns", deutete dieser Tage der lustige Torwart Lukas Hradecky den Reportern an. Schon im Abstiegskampf trieb der Coach Profis und Mitarbeiter an die Grenzen. Mancher raunt jetzt bereits, dass Kovac, 45, eines Tages vom Pep-Guardiola-Syndrom eingeholt werden könnte. Auf Dauer könnten die Spieler der fordernden Arbeitsweise des Chefs, der ausgedehnten Läufe und der ständigen physiologischen Analysen überdrüssig werden, heißt es unter Berufsskeptikern am Trainingsplatz. Vorerst gilt jedoch: Niko Kovac kann derzeit bei der Eintracht von allen nahezu alles verlangen. Vermutlich würden die Spieler auch im Harlekinkostüm trainieren und auf die Bäume im Riederwald klettern, sollte er das von ihnen verlangen.

Training Eintracht Frankfurt

Vor der Kamera lächelt er angeblich häufiger als mit seinen Spielern: Eintracht-Trainer Niko Kovac.

(Foto: Arne Dedert/dpa)

"Niko Kovac ist ein Idol", hat der mexikanische Mittelfeldspieler Marco Fabian jetzt der FAZ gesagt, "ich versuche ihm nachzueifern. Er lebt uns vor, wie man es machen muss." Auf der Grundlage dieses Glaubens ist, so hat es Thomas Tuchel kürzlich gesagt, im Laufe der Monate eine Symbiose zwischen Trainer und Spielern gelungen: "Seine Elf spielt, wie er ist: cool. So wie er als Fußballer war: mit dem nötigen Herz, mit Biss und trotzdem einem Sinn für Ästhetik." Diese schönen Worte hat Tuchel vor dem Spiel seiner Dortmunder in Frankfurt gesprochen - und sah sie beim 1:2 des BVB prompt bestätigt.

24 Punkte hat der Vorjahres-Fastabsteiger Eintracht Frankfurt vor dem Spiel am Sonntag beim FC Augsburg bereits gesammelt, die Komplimente fliegen dem verantwortlichen Cheftrainer nun in einer Fülle zu, die er kaum noch gutheißen kann. Kovac geht auf Abstand. Gespräche mit den Vertretern der öffentlichen Meinung hat er aufs Nötigste reduziert. Sicherlich ist es ihm lieber, dass sich die Frankfurter derzeit darum sorgen, ob er den 2017 auslaufenden Vertrag verlängert, anstatt das Ende des Arbeitsverhältnisses herbeizuwünschen. Trotzdem war ihm, erzählt Fredi Bobic mit vertrauensvoll gesenkter Stimme, der Personenkult zuletzt nicht recht. "Er findet, dass er zu viel im Mittelpunkt steht", sagt der Manager. Kovac denkt dabei an seine Assistenten, an seinen Bruder und ewigen Weggefährten Robert und an Armin Reutershahn, 56, die Co-Trainer-Koryphäe der Liga schlechthin, stiller Wegbegleiter von Friedhelm Funkel und Dieter Hecking bis Huub Stevens und Armin Veh. Auch Bobic hebt, wie es sich gehört, die zeitgemäße Bedeutung des "Funktionsteams" hervor - was ihn nicht davon abhält, im nächsten Moment in die Lobeshymnen auf Niko Kovac einzustimmen ("Die Mannschaft ist der Fingerabdruck des Trainers").

Bobic, 45, ist als Sportvorstand ebenfalls Teil des Renovierungsprogramms, das die Eintracht gerade durchlebt. Hier und da wird in Frankfurt jetzt der Verdacht geäußert, dass die ideologische Vorherrschaft des vormaligen Vorstandschefs Heribert Bruchhagen womöglich ein paar Jahre zu lang gedauert hätte - vom Fallen eines bleiernen Vorhangs ist die Rede. Bobic braucht sich damit nicht zu beschäftigen. Von Bruchhagen hat er den Garderobenständer mit dem Dienst-Sakko übernommen, dem sogenannten Adler-Jackett, ansonsten hat er das Büro runderneuert und sich mit Schwung ans Werk gemacht. Von seinem letzten Job beim VfB Stuttgart brachte er dazu eine interessante Erkenntnis mit: "Man muss auch mal entlassen werden", meint er. Diese Erfahrung helfe ihm jetzt ebenso weiter wie die eindreiviertel Jahre, in denen er nicht im Geschäft war: "Ich konnte mal runterkommen, war endlich aus diesem Tunnel raus." Als er dann im Juni nach Frankfurt kam, fand er in Niko Kovac einen alten Kollegen vor, dem er sich nicht nur aus gemeinsamen Spielerzeiten bei Hertha BSC verbunden fühlte: "Wenn man kroatische Wurzeln hat, kennt man sich sowieso in der Liga, da sind gewisse Bande", sagt er.

1,71 Punkte pro Spiel

Niko Kovac trainiert die Frankfurter Eintracht seit 21 Bundesliga-Spielen. In diesen hat sich die Mannschaft 36 Punkte erspielt. Mit der Ausbeute von im Schnitt 1,71 Punkten pro Spiel liegt Kovac in der Statistik der Bundesliga-Trainer aktuell an Rang fünf. Die beste Bilanz hat Carlo Ancelotti vom FC Bayern (zwölf Partien, 27 Punkte = 2,25 pro Spiel).

Zu Beginn der Saison schien der neue Eintracht-Kader ein unübersehbares, multikulturelles Gemisch zu bilden, inzwischen haben die alten Einsatzkräfte ihre Plätze zurückerobert. Außer den Neulingen Mascarell, Hector und Vallejo spielen diejenigen in der Spitze der Liga mit, die zuvor gegen den Abstieg gespielt haben. Bloß, dass sie ganz anders spielen. Die Eintracht hat jetzt eine Abwehr, die nicht ständig vom Gegner überspielt wird, in gewissen Statistiken hat sie den letzten Tabellenplatz des Vorjahres mit dem ersten Platz der laufenden Saison getauscht. "Das ist Trainer-Arbeit. Kovac hat aus einem löchrigen Käse ein defensives Bollwerk gemacht", sagt Stefan Reinartz, der in diesem Urteil Theorie und Praxis vereint: einerseits durch die Erkenntnisse des von ihm geführten Fußballdaten-Dienstes Impact, andererseits durch seine Erfahrungen als Eintracht-Profi, der noch im Frühjahr unter Kovac gespielt hat.

Heribert Bruchhagen hätte jetzt wohl gemahnt, dass bald auch wieder schlechtere Zeiten kommen werden. Bobic kann die spezielle Euphorie am Main einstweilen noch genießen: "Die Eintracht ist wie der 1. FC Köln, ein richtig schöner Traditionsklub."

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