Ein Liebesbekenntnis an den FC Bayern:Dahoam san mia mia

Der Weg der Bayern ins Finale

Der Lyriker und Dramatiker Albert Ostermaier durchlebt seit Jahren alle Höhen und Tiefen seines Vereins FC Bayern. Der Münchner glaubt an das Fußballfegefeuer Nachspielzeit, huldigt Manager Uli Hoeneß und erklärt, warum sich der FC Bayern über Siege und nicht über Niederlagen definiert. Klub-Mitglied Nummer 40.838 über eine polarisierende Leidenschaft.

Albert Ostermaier

Immer wieder, wenn es Mai wird, die Gräser blühen, die Hormone sich labbadiaesk ,hochsterilisieren', wenn Madrid in Italien liegt, die Torkanonen auf Spatzen schießen und die Elfmeterschützen vor Petrus stehen, weil sie den Ball in den Wolken suchen - immer dann schlafen Bayernfans schlecht.

Gerd Müller, Franz Beckenbauer, Jupp Kappellmann

Helden der Siebziger: Gerd Müller, Franz Beckenbauer, Jupp Kapellmann

Dabei ist der Mai ihre Jahreszeit, da versetzt es selbst den Stärksten unter ihnen beim Bier einen Stich, da werden die Schweißperlen auf der Stirn ballgroß. Oder die Tränen, die ein Roter, also ein waschechter Fan, nicht weint, denn: Indianer kennen keinen Schmerz!

Das gilt seit der ersten Blutgrätsche eines Blauen im Schulbus von hinten, oder seit er vor der Garagenwand die Bayernsiege nachgespielt und die kleinen Hände in die Luft gereckt hat wie der geniale Mehmet Scholl. Ende Mai, wenn für die Fans der Restrepublik schon so gut wie alles vorbei ist, wird es für den Bayernfan erst so richtig spannend.

Der Mai, das kann ein Monat der Wonne in der Siegersonne sein. Oder ein verspäteter launischer April, in dem der Bayernfan eine Woche zu Tode betrübt, eine himmelhoch jauchzend sein kann. Wenn es schlimm kommt, wird der Mai zur Hölle. Dann dauert er drei Minuten länger als jeder andere Monat. Genau jene drei Minuten, die immer noch quälen. Wie ein Teufelsmal steigen sie auf vor der inneren Anzeigetafel: +3. Ja, so stellen wir Bayernfans uns das Fußballfegefeuer vor: Dort geht der 26. Mai nie vorbei.

Barcelona, Camp Nou, 1999. Bayern führt, Bayern dominiert Manchester United. Scholl schießt an den Pfosten, der sein höhnisches Echo ins Rund jagt, Jancker trifft die Latte, aber es steht 1:0, wir führen ja. Dann die 80. Minute: Matthäus, der Lothar, bindet sich die Schuhe, unser Weltfußballer, der beste Mann auf dem Platz, ist plötzlich wie ausgewechselt und lässt sich auswechseln. Ist ein Muskel oder nur ein Schnürsenkel gerissen?

Eine erste Ewigkeit später bricht die Schlussminute an, die Schluss macht mit dem Mythos, dass ein Spiel 90 Minuten hat. Im Fegefeuer, das wir sehen, ein Feuerwerk aus Champagnerkorken, der liebe Gott ist halt doch ein Bayer, denken wir und zünden gegen jeden Aberglauben die nächste Zigarette an. Auftritt Sheringham. Und dann Solskjaer. Noch heute schreit jeder Bayernfan im Schlaf Solskjaer und weiß: Es ist mal wieder Mai, Mai o Mai. Wieder Finale.

Und dieses Mal dahoam. Daheim, da wo mia mia san. Und wo mia mia san, endet die Road to Munich und der Pokal ist dahoam und bekommt eine schöne Hirschlederne an, aber die Hörner haben die anderen auf.

Ein Bayernfan definiert sich nicht durch eine stets überflüssige Niederlage, sondern über die eindeutigen Siege, verdiente oder unverdiente, glücksduselige oder schicksalsdusselige. Normalerweise nimmt das Bayernglück genau den Weg des Balls wie am letzten Bundesligaspieltag der Saison 2000/2001, als in der Nachspielzeit Schalke, das schon die Meisterschaft feierte, vor der Stadionleinwand in der Hitze schockgefrostet erstarrte und ohnmächtig ansehen musste, wie Anderssons Schuss durch die Mauer und alle Beine hindurch das verriegelte Tor fand, als wäre er Odysseus und kehrte nach allen Gefahren und Irrfahrten endlich nach Hause zurück.

Dorthin, wo er herkommt und hingehört: in die Umarmung des Glücks oder durch die Arme des gegnerischen Torwarts. Das Schlimmste an Bayernniederlagen ist für den Bayernfan die ihm plötzlich von den anderen Fans zuteil werdende Liebe, weil es ihm einmal so schlecht geht wie ihnen jeden Samstag. Mittwochs spielen sie um diese Zeit im Mai fast nie.

Dabei ist Bayernfan zu sein heutzutage fast die einzige Chance, andere Menschen noch zu provozieren. Gibt man sich zu erkennen, entlädt sich ein Trommelfeuer von Vorurteilen, und ein Klischee nach dem anderen wird einem um die Ohren geklatscht. Als da wären: Es sei leicht, ein Bayernfan zu sein. Denn die würden ja immer gewinnen. Soll ich deshalb Sechziger werden? Weil Verlierer die Herzen gewinnen statt die Meisterschaft?

Für diesen unehrlichen Unsinn gibt es nur eine Entschuldigung: Man ist seinem Verein sein Leben lang treu. Also auch dem lebenslangen Irrtum, wenn man sich nicht für Bayern entschieden hat, weil die Tante lieber das billige Trikot aus der Grabbelkiste gekauft hat oder Papi nicht wollte, dass es sein Sohn mal besser hat und sich dachte: Geteiltes Leid ist halbseidenes Leid.

Uli Hoeneß ist unser Messi

Da ist sie wieder, diese Bayernarroganz! Das nächste Vorurteil. Dabei genügt es, die tote Hose Campino zu zitieren: "Man kann mit Bayern München nur ordentlich als Feind umgehen, wenn man unsachlich bleibt. Sobald man sich an die Fakten hält, wird es schwierig."

Warum gewinnen denn die Bayern so oft? Weil sie steinreich sind, heißt es. Millionarios! Bonzen-Brut! Mal langsam: Auch wenn die meisten die Bayern in die Wüste schicken wollen - sie gehören keinem Scheich, obschon, zugegeben, sich ihre Bilanz liest wie ein Märchen aus 1001 Nacht. Der FC Bayern gehört auch keinem russischen Gaskonzern, sonst einem Oligarchen oder Milliardär.

Woher kommt denn dann das ganze Bayerngeld? Haben sie sich dem Teufel verkauft? Bestimmt nicht. Sie besitzen immer noch mehr Seele als die meisten anderen Vereine. Und einen "Du bist der beste Mann", der das größte Herzbergwerk des Profifußballs hat. Der ebenso streitlustig wie eine Seele von Mensch ist und dem Verein eben jene unvergleichbare Prägung gibt. Es gibt keinen, der ihm gleicht unter den Gleichmachern.

Für jeden Bayernfan steht fest: Wir brauchen keinen Cristiano Ronaldo. Unser Messi ist Uli Hoeneß. Er hat, wie einst Zidane, ein Auge für das, was kommt. Manchmal hätte er aber auch gern all den Materazzis einen Kopfstoß versetzt. Hoeneß hat im Hirn, was Xavi im Fuß hat. Er ist jedes Jahr erneut unser Weltfußballer, weil für ihn die Welt des Fußballs nur so lange Sinn ergibt, wie sie Sinn ergibt und eben nicht nur Geldstrom ist.

Bayern hat nicht als reicher Verein begonnen, er hat begonnen, in dem Moment reich zu werden, in dem Müller müllerte. In dem Beckenbauer, Breitner, Augenthaler den Fußball bereicherten, die mehr konnten und das meiste machten. Bayerns Reichtum ist hausgemacht. Es ist ein Wunder, dass Edmund Stoiber den Weg zum Stadion findet, da sein Orientierungsgefühl vom Hauptbahnhof aus gesehen eher dem von Dieter Hoeneß im Strafraum gleicht.

Aber einmal hat ein Satz von ihm wirklich das Ziel direkt und auf schnellstem Weg erreicht: "Der FC Bayern ist seit mehr als drei Jahrzehnten der bestgeführte Verein weltweit. Der Vater des sportlichen und wirtschaftlichen Erfolgs ist Uli Hoeneß." Dieser Erfolg kommt nicht von ungefähr, er entspricht vielmehr perfekt Karl Valentins Spruch: Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit. Oder, wie Hoeneß es nach einem Sieg ausdrückte: "Die Spieler essen Scampi, und ich habe eine schlaflose Nacht."

Etwa dann, wenn er sich überlegt, welchen Spieler er als nächstes verpflichtet. Hier schließt sich das nächste Stereotyp an: Die Bayern ruinieren die anderen Vereine, indem sie ihnen die besten Spieler wegkaufen. Uli Hoeneß nimmt jede Niederlage persönlich. Da er nicht nachtragend ist, belohnt er den Spieler, der sie ihm zugefügt hat, und kauft ihn. Er hält ihm quasi die anderen Wange hin. Nicht selten bekommt er dafür die nächste Watsch'n, denn oft ist es wie verhext: Die gegen Bayern alles konnten, konnten bei Bayern nichts. Die anderen mögen zwar geschwächt worden sein, aber Bayern schwächte sich noch mehr.

Warum? Gegen Bayern spielt jeder das Spiel seines Lebens, die Spiele sind der Höhepunkt der Saison. Aber auf die Bayern trifft das bei den meisten Gegnern nicht zu, trotz aller Lippenbekenntnisse. Deshalb spielen die Bayern eigentlich immer gegen die Bayern. Sie können nur sich selbst besiegen, sie können nur sich selbst unterliegen, durch ihre Überheblichkeit, ihre Lässigkeit, ihre Laufunlust. Da ist es wieder, das Mia san mia. Wir brauchen keinen anderen. Wir respektieren: Ihr seid ihr, okay. Aber das hat nichts mit uns zu tun.

Der FC Bayern hat gleich zu Beginn seiner Ruhmeslaufbahn das Land Bayern mit dem Verein gleichgesetzt, so wie das früher nur der CSU gelang. Es handelt sich um eine Musilsche Parallelaktion, eine doppelte Erfolgsgeschichte: Bayern mutiert vom Agrarstaat zum Hightech-Valley, und der FC Bayern vom Bolzplatzverein zum Landesmeister.

Die Bayern sind die Gallier Deutschlands

Bayern grenzen sich ab, ohne auszugrenzen. Bayern haben das Privileg, sich als Gemeinschaft zu verstehen - und sei es als Utopie. Das Bayersein und Bayerseinwollen ist Ausdruck einer tiefen Sehnsucht nach Heimat. Das kann man auf der Wiesn beobachten, wo der ganze Erdball sich, in Dirndl und Lederhose gekleidet, einstellt, gerade jene, die sie den Bayern im Stadion ausziehen wollen - natürlich um sie später selbst überzustreifen. Denn die Lederhosen sind gewaschen in jener Zaubertrankwanne, in die einst Obelix fiel.

Die Bayern sind die Gallier Deutschlands. Sie sind einzelgängerische Sturköpfe, die die Ärmel gemeinsam hochkrempeln, wenn ihnen jemand schräg kommt, die grantelnd und wortfaul jeden mit offenen Armen oder einer ausgestreckten Maß empfangen. Leben und Leben lassen, heißt die Liberalitas Bavariae. Leben, aber nicht gewinnen lassen, ist die Haltung des FC Bayern, der immer wieder andere Vereine vor dem Abgrund rettet, siehe St. Pauli. Der FC Bayern verbindet, was sich anderswo ausschließt: Erfolg und Menschlichkeit, Integration und Identität, Familie und Aktiengesellschaft.

Die Bayern lieben den FC Bayern so innig, weil er als Verein von lauter Bayern begann, Müller, Beckenbauer, Maier, Schwarzenbeck. Und deshalb ist Bayern heute wieder so stark: Natürlich ist Rummenigge ein Westfale, aber das ist ja das Schöne an Bayern: Bayern schenkt jedem großzügig die doppelte Staatsbürgerschaft.

Am besten passen als Spieler die Franzosen zu den Bayern, Lizarazu und Sagnol, denn vereint mit diesen Franzosen sind die Bayern damals gegen die Borussen in die Schlacht gezogen. Jüngst zogen sie aber als Verlierer vom Feld. Es ist, als hätte der BVB den Bayern national das abgenommen, was sie gerade in der Champions League auszeichnet, ihr Goldenes Vlies: das Bayern-Gen, die Selbstverständlichkeit zu siegen.

Der FC Bayern ist eine Familie mit allem, was eine Familie ausmacht. In die viele adoptiert werden möchten. Bayern, Familie, Tradition: Augenwischerei, maulen jetzt wieder einige: Die Bayern sind erzkonservativ, ein Wahlverein der CSU! Wenn der FCB für die CSU wäre, dann nur im Sinne von Herbert Achternbusch: Sechzig Prozent der Bayern sind Anarchisten, und alle wählen sie die CSU.

Der FC Bayern ist nicht die CSU

Die erste Satzhälfte stimmt noch, die zweite nicht mehr. So wenig wie die Zwangsvereinigung von FC Bayern und der CSU, die, wenn alle Feindbilder des Nordens versagen, als letztes herhalten muss. Dem Bayern an und für sich ist naturgemäß jede Form von Herrschaft und Bestimmtwerden zuwider. Nur der FC Bayern darf beherrschen, nur vor ihm gehen sie auf die Knie. Das Missverständnis FC Bayern = CSU ist das gleiche Missverständnis wie Freistaat Bayern = CSU.

Wer nachliest, woher der Begriff "Freistaat" stammt, wird erstaunt feststellen, dass Bayern eine Räterepublik und der erste bayerische Ministerpräsident, worauf wir stolz sein können, ein jüdischer Politiker und Schriftsteller war, Kurt Eisner, den die Rechten ermordeten. Die meisten wissen es nicht oder wollen es nicht wissen: Der FC Bayern ist ein jüdischer Verein. Er wurde 1900 im Schwabinger Lokal Gisela gegründet.

Irgendwie ist es aus unserem Bewusstsein verschwunden oder ausradiert, dass der Fußball in ganz Deutschland jüdische Wurzeln hat, dass er nach englischem Vorbild als Gegengewicht zur dumpfdeutschen Turnvaterjahn- Synchronverblödungsgymnastik dienen sollte. Fußball half, die Persönlichkeit zu formen, Charakter auszubilden durch Fairplay und Teamgeist.

Der FC Bayern lebt von Persönlichkeiten mit Ecken und Kanten, mit Widerspruchsgeist. Er lebt von Kahn, dem Titan, von einem wie Lahm, der nicht nur das Maul aufreißt, sondern den Mund aufmacht. Breitner ließ sich vor Mao abbilden und war doch kein Abziehbild. Und Sepp Maier, der nach Luftballons und Enten hechtete, sich ausstopfte mit Fußbällen, war der legitime Nachfolger von Karl Valentin.

Beckenbauer, die Lichtgestalt

Bayern wäre aber nicht Bayern, wenn sie nicht Gerd Müllers Beine gehabt hätten, die alles drehten. Oder den neuen Müller, den Müller, Thomas, mit seinen anarchischen Laufwegen. Der so spielt, wie er spricht, wie wir Bayern sprechen: mit Ironie. Oder Schweinsteiger, der mit breitem Kreuz das dem Gegner abverlangt, was für den Bayern das höchste Lob ist, das er über die Lippen bringt: Respekt. Und nicht zuletzt Beckenbauer, die Lichtgestalt. Er ist pure Philosophie, ebenso Dadaismus wie Konfuzius. Würde jemand herausfinden, dass er der eigentliche Dalai Lama wäre, man damals nur das falsche Kind fand - wen würde es wundern? Beckenbauer war einer der formvollendetsten Spieler überhaupt, sein Spiel war angewandtes Denken.

Genauso funktioniert Bayern: durch Intuition, ein Wissen, das nicht aus der Maschine stammt, sondern aus einer Geschichte und aus Geschichten. Natürlich haben sie das modernste Gerät, aber: Der FC Bayern entscheidet und handelt immer aus dem Bauch, nach dem Herzschlag, der hinaus aus der Brust zum Horizont schlagen will, der da wie eine Torlinie liegt, über die der Ball fliegen muss - und hoffentlich jetzt auch wird.

Der Autor ist Lyriker und Dramatiker. Zudem ist der gebürtige Münchner Albert Ostermaier, 44, Torwart der deutschen Autoren-Nationalmannschaft.

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