Ehemaliger Bayern-Profi Reinhold Mathy:Im vierten Anlauf zum Glück

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Vom großen Talent zum Kabinen-Außenseiter: Der frühere Bayern-Spieler Reinhold Mathy litt 1986 unter Burn-out, nur war die Krankheit damals kaum bekannt. Vor allem nicht in der Bundesliga. Seine bemerkenswerte Geschichte erzählt von den Schwierigkeiten, in der harten Welt des Profifußballs als zu weich zu gelten.

Marco Maurer

Als Reinhold Mathy im Frühjahr 1987 die Kabine des FC Bayern München betrat, er war 25 Jahre alt, hingen an seinem Spind zwei Fußballschuhe überkreuz. Auf einem Blatt Papier darunter stand: "Verräter". Die damalige Mannschaft um Klaus Augenthaler und Lothar Matthäus hatte ihm eine letzte Nachricht hinterlassen, sie war enttäuscht. Sie dachte ja stets, sie könnte von Reinhold Mathys Talent profitieren.

Das Spielfeld im Blick, Trainer Udo Lattek im Rücken: Reinhold Mathy, 1983 im Trikot des FC Bayern.  (Foto: N/A)

Erzählt Mathy heute darüber, lächelt er bittersüß. Er nehme es aber den einstigen Kollegen nicht übel, sagt er, weil er glaube, "sein Zustand" wäre damals eine Belastung für das sensible Gefüge einer Mannschaft gewesen. Sein Leben sei in einer "grauen Phase" verhaftet gewesen. In einer Phase, die zu definieren den Profisportlern von heute leichter fällt, weil das Thema bekannter ist. Mathy war wohl der erste deutsche Fußballprofi, der zugab: "Ich kann nicht mehr." Der Fußball, der Druck machte ihn krank.

1979 noch galt Mathy bei seinem Wechsel von seinem Heimatklub FC Memmingen zur FCB-Jugend als großes deutsches Talent. Mathy sollte - die Klubchefs waren sich einig - Karl-Heinz Rummenigge beerben. Mit 19 stand Mathy bereits in der Startelf des Europapokal-Finales der Landesmeister, das der FC Bayern 1:2 gegen Aston Villa verlor. Diesen Zeitpunkt seiner Karriere nennt Mathy die rosa Phase, eine, in der alles möglich erschien. Matthäus sagte damals, Mathy könne einem "Knoten in die Beine" spielen, Rummenigge sah Mathy als "künftigen Dreh- und Angelpunkt" des Teams.

Reinhold Mathy - heute 49 Jahre alt, kein Länderspiel - sitzt jetzt dort, wo sonst niemand sitzt, im Nebenraum der Pizzeria Krone in Mindelheim, er sagt: "Ich war nie eine gefestigte Persönlichkeit." Keiner, der bereit war, seine Ellbogen einzusetzen. "Kein Augenthaler, kein Matthäus." Dafür war er ein Zweifler. Noch heute sei er einer, der sich zu viele Gedanken über sein Leben mache. In dem habe es bislang vier Phasen gegeben. Schwarz war die bedrohlichste. Sie sollte aber erst 2009 auftauchen.

20 Jahre zuvor ist die Phase grau, es sah aus, als ob Mathy im Sommer 1986 das Prädikat "ewiges Talent" abstreifen konnte. Weil er sich laut SZ von damals in einer "ausgezeichneten Verfassung" befand, die er krönte, als er beim 2:0 im Europapokal gegen Eindhoven beide Tore schoss. Wenige Tage später aber brach Mathy im Bremer Weserstadion zusammen. "In dem Moment war es ein Kreislaufkollaps, aber insgesamt ein Burn-out."

Er habe sich leer gefühlt, "mir war klar, meine Karriere ist beendet". Im November 1986 ließ er sich nach sieben Minuten im Europapokal-Achtelfinale gegen Austria Wien auswechseln. Er wusste nicht mehr, wo er stand. Er wollte nur noch vom Feld. Trainer Udo Lattek schüttelte bei der Auswechslung den Kopf.

Immer wieder musste Mathy pausieren, mal machte der Körper nicht mit, mal die Seele. Seine Ausfälle wurden für viele immer unverständlicher. Die Fußballbühne reagierte roh, zynisch. Seine Mitspieler hingen besagtes Paar Schuhe auf, die Presse war boshaft, die taz schrieb, Mathy sei der "allererbärmlichste Vereinsangestellte". Die Fans meinten, man solle Mathy ausmustern.

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Dem damaligen Manager Uli Hoeneß war der allgemeine Tenor egal, er überredete Mathy, nicht zu kündigen. Mathy nahm eine Auszeit, las Lebensratgeber, ging spazieren, suchte auf Hoeneß' Rat einen Psychologen auf. "In diesen Sitzungen redeten wir nicht über mein Privatleben, sondern nur darüber, wie man einfacher Fußball spielt. Das war aber nicht mein Problem. Meines war die Leere."

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Antidepressiva bekam Mathy keine, aber die Auszeit half. "Für Bayern bin ich dennoch untragbar geworden." Bis 1993 spielte Mathy noch bei Klubs wie Bayer Uerdingen oder Hannover 96, er "hielt durch". Mit 32 Jahren beendete er - nach 178 Ligaspielen und vier Meisterschaften - seine Karriere. Das Leben war wieder "zu belastend" geworden.

Nach dieser Zeit arbeitete Mathy als Trainer, etwa beim Regionalligisten SC Weismain, er bildete in Swasiland und Kambodscha Trainer aus. 2001 nahm er das Angebot des tunesischen Verbandes an, Nationaltrainer Eckhard Krautzun zu assistieren. Durch einen Zufall lernte Mathy dabei einen Spielerberater kennen - und entdeckte einen Beruf für sich. Heute arbeitet er als freier Spielerberater für eine Agentur, die auch Manuel Neuer unter Vertrag hat.

2009 allerdings begann Mathys schwarze Phase, er ließ den Job ruhen. Seine Partnerin hatte sich von ihm getrennt. "Ich dachte an Suizid, hatte Zukunftsängste, wusste keinen Ausweg mehr", sagt er. Er ließ sich im Klinikum Memmingen stationär behandeln. Zuerst für drei Monate. Heimkehr. Rückfall. Das zweite Mal war er vier Monate dort. Während der Gespräche sei ihm bewusst geworden, dass der Auslöser seiner Traurigkeit wohl der Tod einer frühen Bezugsperson, seiner Oma war. Mathy machte sich daran, "das aufzuarbeiten".

Gerade nimmt Mathys Leben einen weiteren Anlauf, den vierten. Neben seiner Arbeit als Berater - unter anderem ist er für Manuel Schäffler von 1860 München zuständig - trainiert er die E-Junioren des FC Mindelheim. Mathy glaubt, dass er heute als Profi eine größere Chance hätte, weil diese besser psychologisch betreut würden. Weil er weiß: "Ich bin eingestellt." Er meint nicht auf ein Fußballspiel, er meint die Tabletten, die Antidepressiva, er meint sein Leben.

Zudem habe er zu Gott gefunden, dadurch fiele ihm sein Leben leichter. Heute sehe er es gelb gefärbt, "munter gelb". Durch die Medikamente allerdings habe er seit 2009 kräftig an Gewicht zugelegt, etwa 25 Kilo zu viel lasten auf ihm. "Das bedrückt mich ein wenig."

© SZ vom 12.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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