EHC München in der Krise:"Brutal verunsichert"

EHC München in der Krise: Glaubt, dass einige Spieler "böse" auf ihn sind: EHC-Trainer Pierre Pagé

Glaubt, dass einige Spieler "böse" auf ihn sind: EHC-Trainer Pierre Pagé

(Foto: imago sportfotodienst)

Etat verdreifacht, zwei Dutzend neue Profis, ein Meistertrainer: Der im großen Stil aufgerüstete EHC München ist vollmundig in die Eishockey-Bundesliga gestartet. Doch einen Monat nach Saisonstart ist die Euphorie verflogen. An Trainer Pierre Pagé regen sich erste Zweifel.

Von Christian Bernhard und Johannes Schnitzler

Seit dem 1. Mai ist der EHC München im Besitz der Red Bull GmbH. Seit 167 Tagen steht nun dieses ziemlich große Versprechen im Raum, nämlich dass der EHC - vor einem Jahr mit einer Millionen-Infusion des Getränkeherstellers aus Salzburg am Leben erhalten - bald Meister ist. Wenn nicht im ersten Jahr, dann im nächsten. Oder spätestens 2016.

So hat es Pierre Pagé gesagt. So ähnlich jedenfalls. "Wir können jetzt schon gewinnen. Es wird schwer, aber es ist möglich", hatte der Trainer bei Dienstantritt gesagt. Bis sein Team erfolgreich und schön spielen werde, werde es länger dauern. Drei Jahre etwa. Pagé war in diesem Punkt ziemlich exakt.

Red Bull plant im großen Stil mit dem EHC. Im Münchner Olympiapark soll eine neue Eishalle entstehen für 10 000 Besucher, ein Komplex mit mehreren Eisflächen für geschätzt 200 Millionen Euro. Die Kosten trägt der Konzern. Dafür hat er den Eishockey-Gelehrten Pagé, 65, den viele für ein bisschen schrullig halten, nach drei Meistertiteln aus der Zentrale in Salzburg abkommandiert, den Münchner Etat auf rund zwölf Millionen verdreifacht und ihm 23 neue Profis spendiert. Dafür erwartet man in Salzburg Erfolg. Pagé weiß das.

Der Kanadier steht seit sechs Jahren in Diensten von RB-Chef Mateschitz; zuvor arbeitete er fünf Jahre in Berlin für das Projekt des US-Milliardärs Philip Anschutz (zwei Titel). Pagé lässt ein ziemlich revolutionäres System spielen, ein System, in dem auch die Verteidiger stürmen, ein bisschen so, als würde beim Fußball der Torhüter Manuel Neuer nach vorne eilen, einen Eckball treten und den Ball dann selbst aufs Tor köpfeln. Ein System, das dem Gegner viele Möglichkeiten lässt. Aber einer von Pagés Lehrsätzen lautet: "Wir dürfen keine Angst haben. Wir müssen daran glauben, dass wir Tore schießen. Wenn wir zwei kriegen, müssen wir drei schießen. Besser vier."

Am vergangenen Freitag hätten auch fünf, sechs oder sieben Tore nicht gereicht: Der EHC verlor 0:9 in Mannheim, es war die höchste Münchner Niederlage in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL). Zwei Tage später folgte daheim ein 0:3 gegen Köln. In elf Spielen hat der EHC 36 Tore geschossen. Er hat aber auch 40 Gegentore bekommen - mehr als jedes andere DEL-Team. München geht im eigenen Wirbel unter.

Der neueste Wert muss Pagé besonders beunruhigen: Seit 121 Minuten (und acht Sekunden) hat sein Team kein Tor mehr geschossen, mehr als zwei Spiele lang. Dass in den Medien bereits die Minuten gezählt werden, ist kein gutes Zeichen. Die Mannschaft sei "brutal verunsichert", sagt Nationalverteidiger Felix Petermann.

Noch weniger kann Pagé erfreuen, dass die Zuschauer am Sonntag gegen Köln nach seinem Vorgänger Pat Cortina riefen. "Wir wollen euch kämpfen sehen" und "Wir ham die Schnauze voll": Solche Chöre waren unter Cortina nie zu hören. Pagé reagierte prompt, er sagte: "Das war nicht meine Mannschaft." Es sind aber Pagés Wunschspieler, die entscheidende Fehler machen.

Nur der Torhüter findet Gnade

Der mit viel Vorschusslorbeer angekündigte Darren Haydar, 33, hat bislang erst ein Tor erzielt. Verteidiger Danny Richmond, von Pagé in Salzburg als harter Kämpfer geschätzt, stand in Mannheim nie in Schlagdistanz zu seinen Gegnern. Dazu kommen Pässe in den Rücken der eigenen Abwehr, Disziplinlosigkeiten wie von Sean O'Connor, der in Mannheim beim Stand von 0:7 eine Schlägerei anzettelte und dafür mit sechs Spielen Sperre bestraft wurde, und Verletzungen (Nick Palmieri fällt mit einer Innenbanddehnung bis Ende Oktober aus). Manche Fans sprechen bereits unverhohlen von einem "Söldnerhaufen". Nur Torhüter Jochen Reimer fand am Sonntag vor ihrem Urteil Gnade.

Pagé sagt, die Neuen müssten endlich das Training akzeptieren. Seit Mai hat er die Mannschaft auf die Saison vorbereitet, länger als jedes andere DEL-Team und "härter als in der NHL und in Russland". Doch während die deutschen Spieler an ihn und sein System glaubten, seien einige Nordamerikaner "böse" auf ihn. Sie seien müde und hielten ihm vor, zu viel zu trainieren.

"Ich glaube, dass wir das beste Team der Liga haben"

Pagé kennt das, auch in Berlin und Salzburg sei das zu Beginn so gewesen. Beim EHC aber klaffen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander. "Ich glaube, dass wir das beste Team der Liga haben", sagte der US-Amerikaner Andy Wozniewski nach dem 0:12-Tore-Wochenende. Alexander Barta sagt: "Momentan sind wir sicher keine Topmannschaft." Der Nationalstürmer kann den Frust der Anhänger nachvollziehen. 3129 waren es gegen Köln, ein enttäuschender Wert. "Klar", sagt Barta, er wisse ja selbst nicht mehr, "wie viele Heimniederlagen wir jetzt haben". Es sind vier. In sechs Spielen.

Von der Anfangseuphorie ist nichts übrig. "Zwischen dem 27. Juli und 4. August" sei seine Mannschaft die beste gewesen, "die ich in 14 Jahren Europa je hatte", sagt Pagé. Exakt neun Tage, in denen sein Team zwei russische Mannschaften (Magnitogorsk, Omsk) schlug. Neun von 167 Tagen. Aber im August gibt es im Eishockey keine Titel.

Am kommenden Sonntag erwarten die Münchner den angeschlagenen Meister Berlin; die Eisbären sind unter ihrem neuen Coach Jeff Tomlinson auf den letzten Platz abgerutscht. Der übertragende Sender - ein Teil des dicht verästelten Red-Bull-Imperiums - hat die Live-Partie etwas voreilig als "Topspiel am 13. Spieltag" angekündigt und auf seiner Homepage einen Countdown eingerichtet, der die Tage, Stunden, Minuten und Sekunden bis zum ersten Bully herunterzählt. An diesem Dienstag sind es noch fünf Tage. Dann läuft zumindest diese Frist ab.

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