Fußball-WM:Ecke Kroos, Kopfball, Tor - es wäre so einfach

Es ist der erste klare Trend der WM: Die Standardsituationen - Ecken, Freistöße, Elfmeter - erweisen sich als äußerst wirksam. Nur die Deutschen halten sich zurück.

Kommentar von Thomas Hummel

Bisweilen gerät in Vergessenheit, dass die deutsche Mannschaft bei der herzerwärmenden WM 2014 sogar einmal in Rückstand lag. Vorrunde, 1:2 gegen Ghana, als Nothelfer wurde Miroslav Klose eingewechselt. Es gab eine Ecke, und Klose lief dorthin, wo viele Stürmer hinlaufen: in Richtung "zweiter Pfosten", wie die Fußballer sagen. Denn an dem vom Eckenschützen weiter entfernten Pfosten fallen Abpraller oder verunglückte Kopfbälle oft vom Himmel. Und so kam es: Ecke Kroos, Kopfball Höwedes, Klose lauerte und vollendete, Ausgleich.

Auch jetzt kennt Harry Kane den Ort des leichten Stürmerglücks. Zwei Ecken für England, zweimal landete der Ball auf Umwegen am hinteren Pfosten, zweimal stand Kane frei und leitete den Ball ins Tor weiter. Da rannten die Engländer 94 Minuten lang gegen Tunesiens Abwehrwand, rackerten, sprinteten und spielten bisweilen gar ansehnlich. Doch am Ende entschieden zwei profane Eckbälle das Spiel. Ist das der Fußball der WM 2018?

Wer die Standards schätzt, der kann dafür hoch belohnt werden

Es ist jedenfalls der erste klare Trend dieser WM: Die Standardsituationen - Ecken, Freistöße, Elfmeter - erzielen wegweisende Wirkung wie selten zuvor. Mehr als die Hälfte aller Tore in der ersten Turnierrunde (20 der 38 Treffer in den 16 Spielen). Im Vorteil scheint derzeit zu sein, wer in dieser Spezialdisziplin bestens ausgebildet ist. Eine Qualität in den oft belächelten, vermeintlich simplen Situationen schafft Vorteile, selbst die filigraneren Teams haben dies erkannt.

Spaniens Freistoßtrick beim 3:3 gegen Portugal wirkte so schlicht, als könne ihn jede Kreisliga-Elf beherrschen: Hoch über alle flog der Ball hinweg, Kopfball zurück in den Fünfmeterraum, wo der einlaufende Stürmer nur den Fuß hinhalten musste. In dem Tempo und bei der Qualität des Gegners war es allerdings ein strategisches Kunstwerk. Ähnlich eindrucksvoll der Freistoß von Cristiano Ronaldo im bislang spektakulärsten WM-Spiel: Der Portugiese drosch nicht drauf wie ein Stier, er zirkelte den Ball in den Torwinkel. Trainiert hatte Ronaldo dies bei Real Madrid, mit seinem bisherigen Trainer, dem Freistoß-Experten Zinédine Zidane. Den Nutzen bestätigt die Statistik: Nach 46 vergeblichen Versuchen landete erstmals bei EM oder WM ein Ronaldo-Freistoß im Netz. Auch Serbien, Russland, Kolumbien trafen in ihrem ersten Turnierspiel mit direkten Freistößen. Alles Übungssache!

Wer die Standards schätzt, der kann dafür hoch belohnt werden. Der deutsche WM-Sieg 2014 in Brasilien fußte maßgeblich auf Toren nach Ecken und Freistößen, die Varianten ließ Joachim Löws damaliger Trainerassistent Hansi Flick einüben. Unterstützt hatte ihn der Standard-Experte Lars Voßler vom SC Freiburg, der weiterhin als Co-Trainer der Breisgauer seinen Anteil am Erstliga-Verbleib hat: Der Sportclub erzielte in der vergangenen Saison mehr als die Hälfte seiner Tore nach einem sogenannten ruhenden Ball.

Der Schwarzwälder Joachim Löw hingegen kann bis heute seine Skepsis gegen die Ecke-Tor-Logik nicht verheimlichen. Diese sei im Trainingslager "scho au" ein Thema gewesen, erzählte er. Damit könne man viel bewirken, zum Beispiel ein verkorkstes Spiel retten - wie 2014 gegen Ghana. Doch mehr als ein Toni-Kroos-Freistoß an die Latte blieb vom WM-Fehlstart gegen Mexiko nicht in Erinnerung.

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