Duell der kriselnden Werksklubs:"Jeder unter seinem Niveau"

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Hendrik Hansen vom VfL Wolfsburg gegen Kevin Kampl von Leverkusen: das Duell der Werksklubs.

(Foto: imago)

Während Leverkusen sich und seinem gesperrten Trainer durch das 2:1 in Wolfsburg etwas Luft verschafft, rutscht der VfL immer weiter ab - und provoziert Manager Allofs zu harter Kritik.

Von Javier Cáceres, Wolfsburg

Als die Partie knapp eine Stunde vorüber war, mündete das Grollen des Publikums in Wolfsburg in offene Meuterei. "Scheiß-Millionäre!", riefen Dutzende Fans, die sich vor dem Stadion-Tor versammelt hatten, um das eigene Team zu beschimpfen. Kapitän Diego Benaglio musste als Unterhändler vor die Fans treten - und hatte erst nach einer mehr als zehnminütigen Debatte erwirkt, dass die Spieler das Stadion verlassen konnten. Nach einer 1:2-Niederlage gegen Bayer Leverkusen, die Wolfsburg in den Abstiegskampf stürzte - und wieder einmal zeigte, dass die Logik im Fußball manchmal seltsamen Pfaden folgt.

Denn Leverkusen gewann zwar aufgrund seiner besseren Spielanlage überaus verdient. Doch der Sieg vollzog sich erst, als sich eigentlich abzeichnete, dass all die Argumente, die Leverkusen geliefert hatte, ohne Preis bleiben würden. Es dauerte bis zur 79. Minute, ehe Admir Mehmedi den Führungstreffer von Maximilian Arnold (37.) ausgleichen konnte, und dann nur bis zur 83. Minute, ehe Leverkusens Innenverteidiger Tin Jedvaj eine unfreiwillige Vorlage von Aleksandar Dragovic zum Siegtreffer verwerten konnte. Leverkusen verhinderte somit ein fünftes Spiel ohne Sieg.

Für Ismael war das erste Heimspiel wohl auch das letzte

Der mit hochtrabenden Zielen in die Saison gestarteten VfL Wolfsburg hingegen steht mit kargen sechs Punkten auf dem Relegationsplatz. Das dürfte absehbar Folgen für Interimstrainer Valérien Ismaël haben, der sein erstes und vermutlich letztes Heimspiel als VfL-Coach bestreiten durfte. Selbst wenn er selbst davon ausgeht, auch im kommenden Spiel auf der Bank zu sitzen ("Es gibt klare Absprachen mit Klaus Allofs") - der Manager dürfte die im Hintergrund laufende Suche nach einem neuen Coach intensivieren.

Das Klima der Gereiztheit war in der Wolfsburger Arena im Grunde schon bei Spielbeginn zu spüren. Jene Zuschauer, die dem VfL mit Sympathie gegenüberstehen, sind schon seit geraumer Zeit übelgelaunt; "Schluss mit Durchhalteparolen - kämpft jetzt!", hieß es auf einem gigantischen Banner, das quer im Block der Wolfsburger Fans hing. Zudem hatte der Mutterkonzern des VfL, die Volkswagen AG, via Frankfurter Allgemeiner Zeitung einen Stellenabbau angekündigt, der etwa 10 000 Arbeitsplätze kosten wird, auch weil der Konzern für die famose Diesel-Abgas-Affäre mit milliardenschweren Strafzahlungen büßen muss. Die Konsequenz: Es gab in der ersten Halbzeit Pfiffe bei jeder Situation, die nach Bedächtigkeit und Zagheit roch.

"Wir funktionieren als Mannschaft nicht"

Wesentlich selbstsicherer, durchdachter und systematischer wirkten die zuletzt so verunsicherten Leverkusener Gäste. Gleichwohl brauchten sie bis zur 19. Minute, ehe sie ein Raunen im Stadion hervorriefen: Linksverteidiger Wendell, einer von nur vier Feldspielern, die auch am Dienstag bei der Pokalblamage gegen den Drittligisten Sportfreunde Lotte auf dem Platz gestanden waren, jagte den Ball vom linken Strafraumeck mit einem Außenristschuss ans rechte Lattenkreuz.

Die Chance wurde zu einer Art Weckruf für die Wolfsburger. Der für seine Beschimpfung von Trainerkollege Julian Nagelsmann (Hoffenheim) gesperrte Trainer Roger Schmidt musste in einer Vip-Loge hilflos zusehen, wie Daniel Caligiuri nach einem schnellen Konter der Wolfsburger erstmals in Schussposition kam (21. Minute); danach setzte sich Mittelstürmer Mario Gomez gut durch, umkurvte im Strafraum auch Leverkusens Torwart Bernd Leno, platzierte den Ball aber aus spitzem Winkel unbeholfen mit links ans Außennetz. Dann traf Maximilian Arnold (37.): Nach einer Hereingabe von Daniel Caligiuri konnte er den Ball unbedrängt aus sechs Metern ins Tor bugsieren. Unmittelbar vor der Pause hatte Leverkusens Stürmer Javier Hernández alias Chicharito noch eine Chance, im Anschluss an eine Ecke per Kopf zu treffen.

Womöglich war das die Szene, die bei den Wolfsburgern die "Angst vorm Gewinnen" auslöste, die Gomez nach dem Spiel anführte. Und die Manager Klaus Allofs zu einem vernichteten Urteil führen sollte: "Wir funktionieren als Mannschaft nicht. Jeder einzelne spielt unter seinem Niveau."

Wolfsburgs verhängnisvoller Wechsel

Nach der Pause jedenfalls kam es zum Bruch im Spiel der Wolfsburger. Die Niedersachsen zogen sich zurück, kämpften aufopferungsvoll, erspielten sich aber bis zur Schlussminute keine Chance mehr. Die Leverkusener dagegen zeigten zwar den Willen zum Ausgleich, näherten sich dem Tor der Wolfsburger durch Kevin Kampl (50.), Tin Jedvaj (58.) oder Julian Brandt (62.), aber vergeblich. Im Grunde bedurften sie der Wolfsburger Mithilfe, um ins Spiel zurückzufinden.

Nachdem Wolfsburgs Coach den zuletzt angeschlagenen Julian Draxler ausgewechselt hatte (78.), fiel der eingewechselte Josip Brekalo prompt durch Orientierungslosigkeit auf. In seinem Rücken konnte Benjamin Henrichs entwischen und ohne Gegenwehr auf Admir Mehmedi passen, der den Ausgleich zeichnete. Drei Minuten später schloss dann Jedvaj eine Kette von abgeblockten oder gestocherten Bällen im VfL-Strafraum mit dem Siegtor ab. In der Nachspielzeit versuchte sich noch Torwart Diego Benaglio bei einem Freistoß als Vorbereiter - doch auch das blieb erfolglos.

Vielleicht auch deswegen blieb der Keeper vom Zorn des Publikums verschont - als einziger VfL-Profi. Dass der Abstiegskampf nun Realität ist, stellte auch Manager Klaus Allofs nicht in Abrede. "Wir sind mit den Gedanken nicht bei der Europa League oder womöglich Champions League. Wir sind dabei, Punkte sammeln zu müssen."

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