Drittes Schützen-Gold:Immer mit der Ruhe

Rio 2016 - Schießen

Auch ein olympisches Finale bringt Schnellfeuerschütze Christian Reitz nicht aus der Ruhe.

(Foto: Armando Babani/dpa)

Betont cool und sehr souverän holt sich Christian Reitz den Sieg mit der Schnellfeuerpistole. Noch nie waren deutsche Schützen bei Olympischen Spielen erfolgreicher.

Von Johannes Kirchmeier, Rio de Janeiro/München

Als er die Goldmedaille fast schon gewonnen hatte, musste er plötzlich warten. Ein paar Minuten lang durfte der Führende Christian Reitz keine Schüsse abgeben mit seiner Schnellfeuerpistole, sein flink zuckender rechter Zeigefinger musste ruhen. Statt des Abzugs umschloss der nun eine Wasserflasche, half ja nichts. Der Schütze trank ein paar Schlücke, schlurfte durch die Schießhalle und schaute den schießenden Kollegen zu. Vor den letzten fünf Schüssen im olympischen Finale musste sich nämlich erst einmal ein Gegner für Reitz finden. Der Franzose Jean Quiquampoix und der Chinese Yuehong Li lagen gleich auf, auch nach zwei Runden im Stechen. Erst in der dritten Runde setzte sich Quiquampoix durch und durfte noch einmal auf Gold hoffen.

Das allerdings nur ein paar Sekunden. Dann tat Reitz' rechter Zeigefinger wieder seinen Dienst, wie in jeder Runde musste er vorlegen, wie in jeder Runde machte er das souverän: fünf Schüsse, fünf Treffer. "Er ist der routinierteste Schütze im Weltcupzirkus, das habe ich immer wieder gesagt. Das ist der Lohn für seine harte Arbeit, für seine Akribie und seinen Perfektionismus", sagte sein Trainer Detlef Glenz.

"Hat doch gepasst", sagt er kaum vernehmbar

Der deutsche Sportschütze Reitz hätte jetzt jubeln können, er hätte sich wie seine Kollegin Barbara Engleder, die am Donnerstag Gold im Dreistellungskampf gewonnen hatte, auf die Knie werfen und "Ich hab's euch allen gezeigt!" schreien können nach seiner olympischen Goldmedaille.

Hat er aber nicht. Reitz ist nicht Engleder. Er blickte zu Boden, blieb ruhig stehen, schaute dann dem französischen Kollegen bei seinen letzten Schüssen zu und gratulierte dem Mann, mit dem er in Marseille und Suhl trainiert hat. Danach drehte sich der Deutsche um - und lächelte immerhin. Zu den Zuschauern rief er leise, fast nicht vernehmbar: "Hat doch gepasst." Später sagte er: "Es ist einfach großartig. Ich kannte die Goldmedaille bislang nur von Bildern. Wenn man sie dann einmal hat, will man sie gar nicht mehr loslassen."

Reitz ist halt ein ruhiger Typ. Bei den Europaspielen im vergangenen Jahr hatte er schon Gold im Mixed mit der Kollegin Monika Karsch gewonnen. Sie flippte aus, hüpfte auf und ab. Reitz stand leise daneben.

"Das ist für uns ein historisches Ereignis"

Immer mit der Ruhe. Ausgelassen feiern sollen die anderen - unter anderem die extrovertierte Engleder, die kaugummikauende und lächelnd kopfschüttelnde Karsch sowie Reitz' Verlobte Sandra Hornung, selbst eine Schützin, auf der Tribüne: "Es ist das Höchste. Es ist der Hammer. Ich bin sehr, sehr glücklich", sagte sie. Gerade hatte Reitz das beste deutsche Abschneiden der deutschen Sportschützen bei Olympischen Sommerspielen perfekt gemacht. Vor ihm waren aus der eingeschworenen Schützen-Truppe in Rio ja bereits Engleder und Henri Junghänel (KK-liegend) Olympiasieger geworden. Zudem holten Karsch (Sportpistole) und Lisa Unruh (Bogen) Silber. "Es ist überragend gelaufen, wir wollten drei Medaillen. Jetzt sind es drei goldene, das haben wir nicht erwartet, das ist für uns ein historisches Ergebnis", sagte Heiner Gabelmann, der Sportdirektor des Deutschen Schützenbundes.

2004 hatte zum letzten Mal ein Deutscher das Finale mit der Schnellfeuerpistole gewonnen, Deutschlands Rekord-Olympiateilnehmer Ralf Schumann. Ihm folgte nun der 29-jährige Regensburger Reitz. Der hatte als Bester das Finale erreicht und startete mit fünf Treffern. Immer wieder schnaufte er unter seiner schwarzen Schirmmütze kräftig durch, bevor er sich zu seinen Schüssen aufstellte, und dann jeweils mindestens vier von fünf Schüssen ins Espressountertassen-große Ziel brachte. Damit entnervte er auch den Weltranglistenersten Zhang Fusheng, der am Ende nur Vierter wurde.

Als Schnellfeuerschütze muss Reitz immer nur vier Sekunden lang hoch konzentriert schießen, bevor er wieder eine längere Ruhepause hat. Anders als in den anderen Schießdisziplinen hat er ja nur diese vier Sekunden Zeit, in denen er auf die fünf 25 Meter entfernten Scheiben feuern darf. Das sind die Momente, in denen der ruhige Reitz aus sich herausgeht. Es sind die Momente, die ihn zur Schnellfeuerpistole gebracht haben, wie er der Mittelbayerischen Zeitung einmal sagte: 60 Schuss, abzugeben in 90 Minuten, das sei ihm schlicht "zu langweilig" gewesen.

Seine Hobbys: Schlangen. Und Bouldern

Langeweile, das würde auch nicht zu ihm passen: Lange arbeitete Reitz als Polizist. Das Schießen kam erst danach, und trotzdem gewann er 2008 Olympia-Bronze in Peking und wurde Weltmeister. Seit einem Jahr konzentriert er sich nur auf den Sport - und seine Hobbys: Mit seiner Verlobten hält er acht Schlangen, beim Bouldern powert er sich aus, damit er wieder in Ruhe schießen kann. So wie in Deodoro. Immer mit der Ruhe.

Das schien auch das Motto für die Siegerehrung zu sein. Kurz bevor er die goldene Medaille umgehängt bekam, lächelte er vor dem Podest. Dann hörte er den Hallensprecher seinen Namen sagen, das Grinsen wurde breiter. Fast alle anderen Olympiasieger springen dann in diesem Moment wild jubelnd aufs Podest. Was machte Reitz? Er eilte einmal ums Podium, gratulierte den Kollegen zu ihren Medaillen und stellte sich dann ruhig ganz oben hin, wo er die Hymne zunächst still verfolgte. Dann blies er einmal kräftig durch und sang leise mit.

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