Dritte Liga:"DDR-Oberliga mit West-Beteiligung"

SG Dynamo Dresden - FC Schalke 04

Justin Eilers von Dynamo Dresden, hier im DFB-Pokal.

(Foto: Thomas Eisenhuth/dpa)

Die Fans freuen sich auf 56 Derbys: Die dritthöchste Spielklasse im deutschen Fußball ist so ostdeutsch wie nie. Wo soll das nur hinführen?

Von Cornelius Pollmer, Dresden

Dem Roboterjournalismus gehört nach Ansicht führender Roboterjournalisten die Zukunft, nicht immer aber wird er es so leicht haben wie momentan bei der SG Dynamo Dresden. Befähle man in diesen Tagen einem nur mittelbegabten Blechkasten, den Saisonauftakt des Vereins zu beschreiben, er würde nur müde ein paar Einsen und Nullen husten. Der Roboter würde dann in aller Ruhe seinen Kaffee austrinken, ins Archiv surren und fix eine Nachricht aus dem Vorjahr kopieren.

Diese Nachricht, sie läse sich so: Mit einem neuen Trainer und Rekordzahlen bei Mitgliedern wie Dauerkarten startet Dynamo Dresden am nächsten Wochenende in die Saison. Am 1. Spieltag trifft der Verein daheim auf die zweite Mannschaft des VfB Stuttgart. Die Fans von Dynamo freuen sich auf ein Jahr mit vielen Derbys - seit Gründung der 3. Liga gehörten dieser noch nie so viele Teams aus dem Osten an wie in dieser Saison.

Diese Sätze also haben ihre Gültigkeit behalten, nur die Parameter sind andere. Der Saisonbeginntrainer heißt nicht mehr Böger, sondern Neuhaus, die Zahl der Mitglieder stieg zuletzt auf 15 893, die der Jahreskarten auf mehr als 12 000. Nur am Rande: 3000 Menschen kamen allein zum Trainingsauftakt, drei Mal so viele wie in Mönchengladbach. Bemerkenswerter aber ist der kleinste Wert der Reihe, er steigt von sechs auf acht.

Acht Vereine aus dem Osten gehören der 3. Liga nun an, neben Dresden sind das Chemnitz und Aue, Magdeburg und Halle, Erfurt, Cottbus und Rostock. Selbst beim eher roboterjournalistischen Nachrichtensender n-tv sorgte das für ein wenig Aufregung, über die Ballung berichtete man dort wie sonst nur über spektakuläre Übernahmen im börsennotierten Wirtschaftsdeutschland - "DDR-Oberliga mit West-Beteiligung: Ostklubs übernehmen die 3. Liga". Aue, Erfurt und Chemnitz bekommen zudem neue Stadien, aus letzterem werden 400 Prozent mehr verkaufte Dauerkarten gemeldet.

Wäre man Roboterjournalist, könnte man die Konstellationen dieser Liga nun zahlenhubernd bejubeln. Die Ost-Vereine werden mehr als zwei Drittel ihrer Ligaspiele in den neuen Bundesländern austragen, 56 Derbys wird es geben, und der Mitteldeutsche Rundfunk hat angekündigt, viele live übertragen zu wollen. Handlungsleitend sind Erfahrungswerte aus der Vorsaison. Allein die Partie zwischen Dynamo und Rostock am letzten Spieltag schauten 300 000 Menschen, Marktanteil: 18,6 Prozent. Durch den Abstieg von Aue und den Aufstieg von Magdeburg ist der MDR nun mit sechs Vereinen aus seinem Sendegebiet in der Liga vertreten.

Nicht bedingungslos gut finden das die Ost-Klubs in ihrem Ansinnen, den liebevollen Nachbau der DDR-Oberliga für ordentliches Westgeld dem Sender Sky zu überantworten. Deshalb knirschten Geschäftsführerzähne, als die Treuhand (DFB) den Vertrag mit dem aktuellen Investor (ARD) neulich zu gleichen Konditionen (12,8 Millionen Euro pro Jahr) bis 2018 verlängerte. Herrschende Meinung: Da wäre mehr drin gewesen.

Kurze Reisewege als Gift

Und zwischen den Zeilen, also da, wo Roboter nicht so gut lesen können, findet sich statt Rekorden und Hoffnung sowieso eher Betrübliches, zum Beispiel in diesem Zitat des sächsischen Gesamtdeutschen Ulf Kirsten: "Die dritte Liga ist die Bundesliga des Ostens. Zwingend fehlen noch die Traditionsvereine Carl-Zeiss Jena, Lok Leipzig und der BFC Dynamo. Dann wären wir fast komplett." Dieses "Wir" hat etwas von der Fadheit eines Klassentreffens nach 25 Jahren, bei dem die Clique wieder am Stromhäuschen Kokeln geht und alle dabei heimlich rauchen. The Times They Aren't A-Changin'? Ist natürlich Quatsch. Wer die 3. Liga jetzt schlicht für ein attraktives Produkt hält, der hat - Achtung, Roboter! - den Quellcode des bundesdeutschen Fußballbetriebs nicht verstanden, in dem unter anderem steht: IF Ost-Verein THEN GO TO 3. Liga.

Eine betrübliche Wahrheit dieser DDR-Oberliga in der Edition 2015 ist, dass die Vereine aus dem Osten nicht oben angekommen sind. Dass sie, womöglich und schlimmer noch, sogar dabei sind, sich mit dem Nicht-Ankommen abzufinden. Einerseits ist das irgendwie logisch: Die Wirtschaft des Ostens ist nicht oben angekommen, gleiches gilt für die Löhne und erst recht das Image. Dem Profifußball geht es da weder besser noch schlechter, er ist ein Abbild. Andererseits?

Sind Derby-Heimeligkeit und kurze Reisewege zwar ein süßes, aber eben doch ein Gift. Ginge dauerhaft der Anspruch oder auch nur dessen Berechtigung verloren, mit Botschaftervereinen in der ersten Liga vertreten zu sein, läge darin auch eine Botschaft an alle Menschen in den ostdeutschen Beitrittsgebieten - 3. Liga, da gehört ihr hin. Als eine Art Unterwegs-Pointe dürfte sich in dieser Zukunftsfrage der zu erwartende Aufstieg von RB Leipzig erweisen: Der Osten bekäme wieder einen Bundesligisten, aber einen dank üppiger Devisen, dank Alimentierung durch den Klassenfeind (Österreich, Kapitalismus).

Am souveränsten geht man mit der Vergeblichkeit des Bemühens dort um, wo das Bemühen schon so oft vergeblich war, in Dresden. Dem Prinzip Sisyphos folgt man hier schon in einer der Vereinshymnen, die den Aufstieg als eine Art ewiges Ziel formuliert, was, wohlwollend gesprochen, natürlich nur Sinn ergibt, wenn man noch Ligen über sich weiß. Gleichzeitig schaffen sie es bei Dynamo immer wieder, der Vergeblichkeit eine kleine Euphorie entgegenzusetzen, so auch jetzt. Auf Abstieg und Kaderlass vor zwei Jahren folgte ein jugendforscher Neuanfang und eine ordentliche Saison. Nun wurde klug nachgekauft, etwa Andreas Lambertz. Den Jungen wiederum wurde der Gedenkstein für Übertrainer Walter Fritzsch gezeigt und die darauf eingeschriebenen Werte: bescheiden, fleißig, ehrgeizig.

Dynamo hat in Uwe Neuhaus zudem einen fähigen Trainer geholt und wirtschaftlich Stabilität erreicht. In Summe ergibt all dies jenes Dresdner Gefühl, dessen letztes Aufflammen auf die beginnende Hinrunde der Vorsaison datiert: Dieses Jahr könnte es wirklich mal klappen. Die Konkurrenten jedenfalls sehen Dynamo neben Kiel und Wiesbaden vorne. Dresdens sportlicher Geschäftsführer Ralf Minge aber spricht vom Aufstieg noch wie von etwas leicht Suspektem, dem man sich im Zweifel aber nicht verwehren würde: "Wir werden nicht kneifen." Und wieder absteigen, das könnte man dann ja immer noch.

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