Dressurreiterin Isabell Werth:Emilio hat keine Angst

Balve Optimum Deutsche Meisterschaft Dressur und Springen 2017 Werth Isabell GER Emilio

Graziöse Piaffen, starker Trab: Isabell Werth holte mit Emilio ihren 14. deutschen Titel. Die Chefkampfrichterin sprach von einer "Sternstunde".

(Foto: Stefan Lafrentz/Imago)

Weil er als junges Pferd keinen Reiter aufsitzen ließ, musste Isabell Werth ihren neuen Dressurwallach regelrecht zähmen. In Balve übertraf er nun sogar das Wunderpferd Totilas.

Von Gabriele Pochhammer, Balve

Es ist eine undankbare Aufgabe, Musik mit Worten zu beschreiben. Das sollte man den großen Kritikern überlassen. Zum Glück aber kennt nahezu jeder die markanten Auftakt-Akkorde aus Beethovens Fünfter, wuchtig und elegant zugleich.

Zu ihnen passagierte der elfjährige westfälische Wallach Emilio in Balve ins Viereck, zur letzten und entscheidenden Prüfung der deutschen Meisterschaft, der Musikkür. "Die Musik muss Pferd, Reiter und Publikum tragen", sagte seine Reiterin Isabell Werth nach ihrem 14. Titelgewinn. Die Richter waren so hingerissen von der schwierigen und zugleich tänzerischen Darbietung des Paares, dass sie den Ritt am Ende mit insgesamt 89,12 Prozent belohnten. Und das lag nicht nur daran, dass aus politischen Gründen bei nationalen Meisterschaften gerne mal nach oben gepunktet wird, um international ein Zeichen zu setzen. Diesmal war es mehr. "Das war heute eine Sternstunde", sagte Chefrichtern Katharina Wüst.

Man überlegte schon, ihn auf die große Himmelswiese zu schicken. Das musste Emilio gehört haben

"Nach zehn Sekunden schon eine Piaffe-Pirouette, die die Höchstnote zehn wert war, so etwas habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen", erklärte Wüst. Bei dieser sehr schwierigen Lektion tritt das Pferd trabartig auf der Stelle und beschreibt einen Kreis von 360 Grad, das ist höchste Reitkunst. Mit Beethovens Neunter ging es weiter, die Ode an die Freude jubelte beim starken Trab aus dem Lautsprecher, dann Belcanto-Gesang von Puccini wieder zu graziösen Piaffen - das alles sah leicht aus, denn Emilio schien die Wünsche seiner Reiterin zu ahnen und führte sie auf den Punkt genau aus. Auf der Schlusslinie breitete sich auf Werths Gesicht ein geradezu seliges Lächeln aus. Es wurde noch breiter, als sie die Noten hörte. 97 Prozent für die künstlerische Gestaltung erhielt sie von Wüst, das bekam selbst der glamouröse Totilas unter dem Niederländer Edward Gal nur einmal im Leben und nur Doppel-Olympiasieger Valegro unter Charlotte Dujardin (Großbritannien) brachte es auf 98 und 99 Prozent.

Diese beiden Pferde haben längst die Sportbühne verlassen. Die schärfste Konkurrenz für Emilio steht zu Hause ein paar Boxen weiter, Weltcupsiegerin Weihegold, die wegen einer Beinverletzung für die deutschen Meisterschaften krank geschrieben war. "Das Bein ist wieder dünn", sagte Werth, "aber wir mussten sie medikamentös behandeln, da konnte sie nicht starten." Mit diesen beiden Pferden und mit Don Johnson als Nummer drei ist sie für das Aachen-Team nominiert, wie auch der Meisterschaftszweite Sönke Rothenberger mit Cosmo und die Dritte Dorothee Schneider, die mit dem schönen Sammy Davies jr. schneller als gedacht einen Ersatz für das verletzte Olympiapferd Showtime gefunden hat. Vierter im Bunde ist Hubertus Schmidt mit Imperio. Erst nach dem CHIO Aachen wird festgelegt, wer zur EM nach Göteborg im August darf, wo die Deutschen als Favoriten gelten.

Bisher noch zählt Werth auf die bewährte Weihegold, die schöne, brave, routinierte Musterschülerin. Emilio ist ein anderes Kaliber, nicht nur äußerlich: kraftvoll, schwungvoll, mit Siebenmeilenstiefeln im starken Trab. Anders als Weihegold, die Werth als bereits Grand-Prix-erprobtes Pferd bekam, ist Emilio ein Eigengewächs, ein Pferd, das sie von Jugend auf selbst ausgebildet und geformt hat. Ein steiniger Weg liegt hinter den beiden, und es brauchte viel Geduld, bis aus dem überängstlichen Braunen der selbstbewusste Athlet wurde, als der sich Emilio in Balve zeigte.

Am Anfang hatte das dem Vierjährigen niemand zugetraut. "Die Züchter, gute Freunde von mir, waren verzweifelt", sagt Werth: "Er hatte solche Angst vor allem, was sich hinter ihm bewegte, dass er niemanden aufsitzen lassen wollte." Pferde haben fast den kompletten Rundumblick und nehmen genau wahr, was hinter ihnen passiert. Schaffte es doch mal ein mutiger Reiter in den Sattel, kam er nicht wieder herunter. "Dann wurde Emilio immer schneller", sagt Werth.

Zusammen mit ihrem Stallpersonal wagte sie den Versuch, den Ungebärdigen zu zähmen. Man versuchte es mit einer Puppe im Sattel, mit Scheuklappen wie bei Wagenpferden. Irgendwann war von "der großen Himmelswiese" die Rede, auf die Emilio geschickt werden müsse, wenn er nicht einlenkte und sein für Menschen gefährliches Benehmen einstellte. Das musste er gehört haben, jedenfalls besann er sich und fing an, Vertrauen zu fassen. Heute ist er ein eifriger Mitarbeiter, jedenfalls solange kein Hufschmied in der Nähe ist. Den hasst er immer noch wie die Pest, er riecht den Herrn mit der Lederschürze, bevor ihn irgendeiner gesehen hat. Als der ihm fremde Turnierschmied in Balve den Stall betrat, reichte sein Anblick aus, Emilio in Panik zu versetzen. Ansonsten ist das Schlimmste vorbei.

"Er ruht jetzt in sich selbst", sagt Isabell Werth. Und weil in der Ruhe bekanntlich die Kraft liegt, hat die Erfolgsgeschichte von Emilio vielleicht gerade erst begonnen.

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