Dressurreiten:Stürmisch im Viereck

Bei den deutschen Meisterschaften in Balve präsentieren sich die Olympia-Reiter in guter Form. Vor allem die Jungen stürmen mit so viel Kraft an die Spitze, dass manch einer sich an einen Orkan erinnert fühlt.

Von Gabriele Pochhammer, Balve

Die deutschen Dressurreiter könnten Rio an alte Glanzzeiten anknüpfen. Lange waren sie nicht so stark, wie sie sich jetzt bei den deutschen Meisterschaften in Balve zeigten. Chefrichterin Katrina Wüst sprach von einem "Tsunami". Mit der Kraft eines Orkans stürmten junge Reiter und Pferde an die Spitze, die vor einem Jahr noch niemand auf der Liste hatte.

Etwa der zehnjährige Showtime von Dorothee Schneider, die in der Musikkür mit 86,725 ihren ersten deutschen Meistertitel gewann. Es war Showtimes Premiere in der Prüfung, in der in Rio die Einzelmedaillen vergeben werden. Unversehens sieht sich die 47-jährige Ausbilderin aus Framersheim nun in der Rolle einer Medaillenfavoritin. Vor vier Jahren in London hatte sie einen dicken Kloß im Hals, als sie zum letzten Mal im Sattel von Diva Royal ins Viereck ritt, kurz darauf musste sie die Stute vereinbarungsgemäß an die Besitzer zurückgeben. Zu dem Zeitpunkt stand bei Schneider aber bereits Showtime im Stall, ein frecher Jungspund mit einem Riesentalent, der gerne mal die Sau raus ließ. Etwa bei einer Siegerehrung in Stuttgart, als er senkrecht steigend wie ein Zirkuspferd vor den Gratulanten stand. Nie habe sie erwartet, dass sie nun ihren Olympiaplatz für Rio so gut wie sicher habe, sagt Dorothee Schneider. Showtime hat viel gelernt in den vier Jahren, kann sich konzentrieren und zieht gehorsam seine Bahn. Zu den Klängen der Band Queen brillierte er mit einer schwungvollen, sehr schwierigen Kür. Der Titelverteidigerin und Weltrangersten Kristina Bröring-Sprehe blieb Silber (86,075). Wie immer bestach Desperados durch Anmut und Leichtigkeit, aber ein Fehler in den Zweierwechseln kostete sie entscheidende Punkte. Der 15-jährige Rapphengst, der in London zum Silberteam gehörte, wird vermutlich in Rio das einzige Pferd mit Olympiaerfahrung sein. Denn Isabell Werth, 46, trat in Balve mit zwei Pferden auf, deren Namen vor einem Jahr nur Insider kannten.

Isabell Werth kann wieder lachen: Auch sie hat nun zwei Top-Pferde

Die fünffache Olympiasiegerin gewann in der Kür mit Emilio die Bronzemedaille (84,075). Mit ihrer sechsten olympische Goldmedaille würde sie Reiner Klimke, den bislang erfolgreichsten olympischen Reiter, überholen. Mit der eleganten elfjährigen Oldenburger Stute Weihegold gewann Werth am Samstag souverän mit 84,294 Prozent den nationalen Titel im Grand Prix Special, ihren neunten DM-Titel, und wurde mit Emilio (81,089) auch noch Vierte. Am Sonntag durfte Weihegold ausschlafen, sie bleibt die Nummer Eins für die nächsten Monate. Vor wenigen Wochen noch fühlte sich Werth "wie in ein Loch gefallen", nachdem sie ihre beiden Spitzenpferde Bella Rose und Don Johnson verletzungsbedingt aus dem Rio-Rennen hatte abmelden müssen. Jetzt führt sie nicht nur das deutsche Team beim CDIO Aachen im Juli an, sondern vermutlich auch das Olympiaquartett.

Weihegolds Aufstieg begann als Dreijährige auf Schauen im Oldenburger Land, immer war sie die Beste und Schönste. Eine Dressurkarriere war damit vorgezeichnet, ganz nebenbei wurde sie Mutter und Großmutter prämierter Fohlen, Stuten und Deckhengste, ohne ein einziges Mal eine Babypause einzulegen. Andere Stuten mit weniger wertvollen Genen trugen ihre Fohlen aus, aber so geht eben moderne Pferdezucht. Werth reitet Weihegold erst seit Jahresbeginn, bis dahin wurde sie von ihrer Schülerin Beatrice Buchwaldt vorgestellt. Weihegold und Emilio sind nun zwei Pferde, die verschiedener kaum sein können. Während die hübsche Weihegold ein Ausnahmetalent in den entscheidenden Lektionen Piaffe und Passage ist, imponiert der statiöse Emilio durch Schwung und Kraft. "Jedes Pferd hat andere Stärken, den hundertprozentigen Wunschkandidaten wird es nie geben," sagt Werth.

Nur ganz knapp, mit 84,050 Prozentpunkten, verpasste der 22-jährige Student Sönke Rothenberger seine erste Medaille bei den nationalen Titelkämpfen. Er saß auf dem neunjährigen Cosmos, dem jüngsten Pferd der Prüfung, mit großen geschmeidigen Bewegungen, das wie sein Reiter seine erste Kürprüfung ging. Es hakte noch hier und da, aber die so wichtigen Piaffen hatten sich das ganze Turnier über von Prüfung zu Prüfung verbessert. Trainiert wird Rothenberger von seinen Eltern Sven und Gonnelijn Rothenberger, beide Medaillengewinner bei Olympischen Spielen. Er steht neben Schneider, Werth und Bröring-Sprehe nun im Team für Aachen- und vermutlich auch für Rio.

Die Chancen auf Mannschaftsgold und mindestens eine Einzelmedaille stehen so gut wie lange nicht. Briten und Niederländer, die schärfsten Konkurrenten, sind nicht so stark wie vor vier Jahren. Der Sieger von London, der 14-jährige Valegro unter Charlotte Dujardin, wurde längere Zeit nicht öffentlich gezeigt. Es bleibt also spannend.

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