Leichtathletik-EM: Speerwurf:Deutschlands Doppelsieg

Nach Verena Sailers Sieg im Sprint auch noch ein deutscher Triumph im Speerwurf: Linda Stahl wird Europameisterin - und überrascht damit vor allem die zweitplatzierte Christina Obergföll.

Thomas Hahn

Christina Obergföll lächelte. Sie hatte eine schwarz-rot-goldene Fahne in der Hand und präsentierte sich wie eine Siegerin. Und doch musste sie sich auch ein bisschen als Verliererin fühlen an diesem seltsamen, kühlen Abend im Olympiastadion von Barcelona bei der Leichtathletik-EM. Zweite war sie geworden, was für sie die standesgemäße Rückkehr auf das Podest einer bedeutenden Meisterschaft bedeutete. Und doch gehörte der Jubel der deutschen Zuschauer nicht wirklich ihr.

Leichtathletik EM - Speerwurf

So sehen Sieger aus: Die Speerwurf-Doppelsiegerinnen Christina Obergföll (l) und Linda Stahl feiern ihren Erfolg.

(Foto: dpa)

Denn da drüben hatte sich Linda Stahl auf ihre Ehrenrunde als neue Speerwurf-Europameisterin begeben. Linda Stahl aus Leverkusen, 24 Jahre alt, Medizinstudentin, seit Jahren als überragendes Talent gelobt, aber selten nur über die Rolle der deutschen Außenseiterin hinausgekommen. Obergföll hatte schon wieder gegen eine Landsfrau verloren, obwohl sie gerade erst eine sportliche Krise überwunden hatte.

Es ist eine Karriere des Auf und Ab geworden, in die Christina Obergföll, 28, da hineingeraten ist, was sie für die Sportlerin anstrengend macht. Sie ist eine emotionale Person, und besonders das vergangene Jahr, als sie Verletzungen plagten und sie bei der Heim-WM als Fünftplatzierte zusehen musste, wie sich ihre alte Rivalin Steffi Nerius aus Leverkusen kurz vor dem Karriere-Ende als Weltmeisterin feiern lassen durfte, ist eine bittere Enttäuschung gewesen für sie. 2005 bei der WM in Helsinki war sie urplötzlich aufs Podest geschnellt, ähnlich wie jetzt Linda Stahl, mit einem gewaltigen Wurf auf 70,03 Meter.

Aber dann kam Linda Stahl

Im Jahr darauf war sie EM-Vierte in Göteborg, 2007 wieder WM-Zweite in Osaka nach leichten Turbulenzen im Vorkampf. Die Olympischen Spiele 2008 waren insofern ein besonderer Erfolg für sie, als sie allein damals die gesamte Medaillenbilanz des Deutschen Leichtathletik-Verbandes darstellte, die nämlich nur aus der einen Bronze-Medaille bestand, die sie damals im Pekinger Nationalstadion gewann.

2009 endete in Tränen, und auch in diesem Jahr hatte sie sich schon wieder eine heftige Niederlage eingefangen: Bei den deutschen Meisterschaften in Braunschweig vor zwei Wochen rettete sie sich mit knapper Not auf Platz zwei hinter der Leverkusenerin Katharina Molitor. Da musste es auf Christina Obergföll schon befreiend wirken, als sie in der Qualifikation am Dienstag auf Anhieb 65,05 warf. Anschließend gab sie in der Interviewzone Proben ihres überarbeiteten Selbstvertrauens ab. "Es ist nicht so, dass ich aus dem Häuschen falle, dass ich 65 Meter werfe", sagte sie. Die Deutschen Meisterschaften? Habe sie längst abgehakt, weil der Grund der kurzen Würfe schnell gefunden war: der rutschige Anlauf in Braunschweig, auf dem sie mit ihrem extremen Stemmschritt schlecht Halt fand. Blicke und Einflüsse von außen habe sie aus ihrem Bewusstsein ausgesperrt. "Ich mache das für niemanden. Ich mache das nur für mich selbst", sagte sie. Zweifel? Dieses Jahr nicht mehr. "Wenn jemand 67 Meter wirft, sag' ich: Na und, dann werfe ich 67,5. Das ist der Unterschied."

Das Wetter hatte gewechselt am Abend des Finales, dunkle Wolken waren aufgezogen über dem Montjuïc, ein kurzer, ergiebiger Regen war niedergegangen zu Beginn des Programms, und als die Speerwerferinnen den Wettkampf aufnahmen, blies ihnen der Wind ins Gesicht. Es waren günstigere Bedingungen als am Abend zuvor, als die Weltjahresbeste Nadine Müller ihren Diskus so ungeschickt in den böigen Rückenwind warf, dass sie nur einen enttäuschenden achten Platz einbrachte. Obergföll begann mit einem Wurf auf 61,46 Meter, der keine Offenbarung war, aber sie schon nach der ersten Runde auf den zweiten Platz brachte. Ihr zweiter Versuch wirkte zunächst zu steil, aber steckte bei 64,12 Metern im Rasen. Sie war mittendrin im Spiel um die Medaillen.

Aber dann kam Linda Stahl. Ihr dritter Versuch auf 63,17 hatte ihr schon ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Er brachte sie auf Platz drei hinter der Olympiasiegerin Barbora Spotakova aus Tschechien und hinter Obergföll, was für sie schon eine bedeutende Errungenschaft war. Im Grunde war es sogar schon der größte Erfolg seit ihrer persönlichen Bestleistung von 66,06 Metern, die sie 2008 erzielt hatte, pünktlich nach dem Ende des damaligen Olympia-Qualifikationszeitraums. Aber nach ihrem fünften Versuch lebte das Stadion auf. 66,81 Meter zeigte die Anzeigetafel. Linda Stahl führte.

Christina Obergföll antwortete mit 65,58. Binnen zweier Würfe hatte Spotakova ihre Führung verloren, und der Gegenangriff der Tschechin blieb wirkungslos. Sie kam an den Deutschen nicht mehr vorbei, und wenig später waren nur noch Obergföll übrig und die junge Linda Stahl. Christina Obergföll stemmte sich vergeblich gegen die Niederlage und lächelte.

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