Leichtathletik-EM:Verena Sailer: Tatsächlich Erste

Sensationaller Sieg für Verena Sailer: Im Halbfinale des 100-Meter-Sprints strauchelt die deutsche Meisterin zunächst leicht. Dann gewinnt sie Gold - und steht nun womöglich vor einer großen Karriere.

Joachim Mölter

Die ersten Glückwünsche der Konkurrenz nahm Verena Sailer nur zögerlich entgegen, in ihren Augen spiegelte sich der Zweifel, ob das wirklich wahr sein konnte - dass sie das 100-Meter-Finale bei den Leichtathletik-Europameisterschaften in Barcelona gewonnen hatte. Es war ja knapp hergegangen auf den letzten Metern zwischen ihr und der Französin Véronique Mang. Erst als das Ergebnis auf der Anzeigetafel aufleuchtete, entfuhr der 24 Jahre alten Athletin der MTG Mannheim ein Lächeln, und sie schlug die Hände vors Gesicht: Sie war tatsächlich Erste geworden, auch noch in persönlicher Bestzeit von 11,10 Sekunden, eine Hundertstelsekunde vor Mang.

20th European Athletics Championships - Day Three

Verena Sailer freut sich mit einem breitestmöglichen Lächeln und einer Fahne über ihre Goldmedaille.

(Foto: Getty Images)

Am dritten EM-Tag konnte der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) damit endlich die erste Medaille verbuchen. Doch bei aller Freude hat der DLV nun ein Luxusproblem: Wie soll er den Erfolg dieser Athletin vermarkten?

Verena Sailer ist ja bei weitem nicht so extrovertiert wie beispielsweise die Hochspringerin Ariane Friedrich, die sowohl für flotte Sprüche gut ist wie auch für nachdenkliche Worte und für eine extravagante Frisur sowieso. Sailer hingegen ist so brav und nett, dass es fast schon langweilig ist. Von der Sprinterin ist kein kontroverses Wort über Konkurrentinnen in Erinnerung, kein böser Satz über einen Dopingverdacht, über das Thema Doping scheint sie generell eher ungern zu reden, womöglich interessiert es sie wirklich nicht. Sie hält ihr Privatleben privat und tut niemandem weh mit ihren Äußerungen, konzentriert sich nur auf sich und ihren Sport, schaut auf der Bahn nicht links und nicht rechts.

"Intelligente Übungen"

Dass sie in jeder der drei EM-Runden neben Christine Arron lief, der mittlerweile 37Jahre alten Europarekordlerin aus Frankreich, der großen alten Dame der Sprintszene, hat Verena Sailer trocken registriert: "Es ist schon toll, gegen so große Läuferinnen zu laufen. Das hat mich aber nicht sonderlich nervös gemacht." Vor Sailer muss niemand Angst haben. Sie will einfach nur rennen. Wenn sie so weiterrennt, stehe sie "vor einer großen Karriere", hat der DLV-Cheftrainer Rüdiger Harksen prophezeit - weil sie neben dem erforderlichen Talent auch einen robusten Körper mitbringe und im Training sehr belastbar sei.

Zwar ist auch Harksen in Mannheim beheimatet, das Training von Sailer aber leitet Valerij Bauer "mit intelligenten Übungen und Innovationen", wie Harksen findet. Mit Bauer arbeitet Sailer seit Jahren zusammen, sie ist ihm vom TV Kempten zum LAC Fürth/München gefolgt, und von dort nach den Olympischen Spielen 2008 in Peking zur MTG Mannheim, weil Bauer dort eine Festanstellung als Landestrainer bekam. "Ohne meinen Trainer gehe ich nirgendwo hin", sagt sie.

Harksen traute der früheren U23-Europameisterin (2007) schon vor längerem eine Zeit "in Richtung elf Sekunden" zu. Schneller waren hierzulande nur die Absolventinnen des DDR-Förderprogramms in den dopingbelasteten achtziger Jahren. Die Neubrandenburgerin Katrin Krabbe war 1990 in Split die letzte 100-Meter-Europameisterin aus Deutschland (10,89 Sekunden); die letzte Sprintmedaille bei einer EM hatte vier Jahre später Melanie Paschke (Wattenscheid) für den DLV geholt - für ihre 11,28 Sekunden gab's in Helsinki die Bronzemedaille.

Zu was Verena Sailer in der Lage sein würde, hatte sie bereits anderthalb Stunden vor dem Endlauf im Halbfinale angedeutet. Da war sie nach 11,06 Sekunden über die Ziellinie geflogen, zwar unterstützt von unzulässig viel Rückenwind (2,2 Meter pro Sekunde), was die Anerkennung als Bestzeit verhindert. Aber auch nach einem Stolperer am Start. "Normalerweise ist sie nach zwanzig Metern schon vorn", hatte ihre Klub- und Trainingskollegin Anne Möllinger beobachtet und gewarnt: "Sie ist richtig, richtig gut drauf." Ganz offensichtlich war sie eher von Sailers Erfolg überzeugt als diese selbst.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: