Drei Experten über das Rückspiel:"Neues Spiel, neuer Schiedsrichter"

Das Duell ums WM-Ticket bleibt nach dem Hinspiel umkämpft. Die Experten Ciriaco Sforza, Alain Sutter und Steven Beacom bewerten die Chancen der beiden Teams vor dem Playoff-Rückspiel.

Vor dem Rückspiel in der WM-Qualifkation Schweiz gegen Nordirland äußern sich drei Fußball-Experten der beiden Länder über ihre Erwartungen an das Ausscheidungsspiel auf dem Weg zur WM 2018 nach Russland. Während die beiden früheren Bundesliga-Fußballer Ciriaco Sforza und Alain Sutter als Schweizer an ihr Land glauben, hadert der Nordire Steven Beacom mit dem Hinspiel und gibt seinem Team trotzdem noch Chancen.

Ciriaco Sforza

"Die Schweizer haben den ersten Teil der Playoffs sehr gut bewältigt und das in einem nicht ganz einfachen Umfeld. Sie haben in Nordirland nicht nur verdient 1:0 gewonnen, sondern für mich auch eine reife, konzentrierte Leistung abgeliefert. Mir gefiel ihre Körpersprache, mir imponierte es, wie sie das Spiel sofort an sich rissen und mit Kampfkraft dagegen hielten. Sie schafften es damit auch, den Gegner einzuschüchtern. Die Mannschaft wusste genau, was sie will.

Ich erwartete Nordiren, die vor allem auf Aggressivität im Zweikampf setzen, die unermüdlich, lauffreudig und unerschrocken sind. Aber davon war praktisch nichts zu sehen. Dafür zeigten die Schweizer das, was sie in Portugal weitgehend vermissen ließen.

Jetzt darf es keine Diskussion mehr geben. Die Ausgangslage ist so günstig, dass die WM-Qualifikation gesichert werden muss - und ich kann mir gut vorstellen, dass das mit einem klaren Sieg erledigt wird, wenn die Einstellung die gleiche ist wie in Belfast. Außerdem werden die Nordiren in der zweiten Partie nicht plötzlich komplett anders auftreten. Sie müssten zwar reagieren, aber ich glaube nicht, dass sie dazu in der Lage sind. Und wenn sie zu viel riskieren, können sie in einen Hammer laufen.

Wenn eine Mannschaft in der Qualifikation in 10 Spielen 27 Punkte holt, hat sie bereits viel geleistet, um sich eine WM-Teilnahme zu verdienen. Es ist zwar unangenehm, mit einer solchen Bilanz noch die Playoffs bestreiten zu müssen. Aber die Schweiz hat genügend Klasse, um diese zusätzliche Aufgabe zu meistern. Und ich würde, wenn sich nicht noch einer verletzt, noch einmal die gleichen elf Spieler auf den Platz schicken. Die werden nach dem ersten Schritt auch den zweiten machen."

Ciriaco Sforza, 47, spielte in Deutschland für den FC Bayern München und den 1. FC Kaiserslautern und bestritt für die Schweiz 79 Länderspiele zwischen 1991 und 2001.

Alain Sutter

"Wenn man das Hinspiel gewinnt und das erst noch auswärts, ist das sehr beruhigend. Und wenn man nicht nur das Resultat anschaut, sondern auch die Art und Weise und die Qualität des Gegners, dann ist dieses 1:0 ein großer Schritt Richtung Russland. Die Art und Weise: Die Schweiz hatte einen klaren Plan, der auf spielerischen Elementen und viel Bewegung aufbaute. Sie wollte nie Emotionen ins Spiel kommen lassen, dem Gegner es nie erlauben, Druckphasen aufzubauen und in einen Flow zu kommen. Die Schweiz ließ den Ball laufen, der Gegner ist ihm nachgerannt.

Die Qualität des Gegners: Die Nordiren waren spielerisch sehr, sehr bescheiden. Sie begingen so viele Fehler, auch wenn sie nicht unter Druck waren. Und wenn sie das waren, verloren sie den Ball sofort. Ihre langen Bälle waren nicht gezielt, sondern Befreiungsschläge. Vor dem Spiel hieß es immer wieder, was da für ein Monster auf die Schweiz zukomme. Und dann kam von den Emotionen und vom Körperlichen her nichts.

Im Rückspiel muss die Schweiz nochmals eine solche Leistung abliefern wie in Belfast. Weniger reicht definitiv nicht. Spätestens jetzt müssen die Nordiren die Reaktion zeigen, die ich von ihnen schon nach dem Gegentor in Belfast erwartet hätte. Ich erwarte sie solide in der Abwehr und mit der Hoffnung, dass sie aus einem ruhenden Ball ein Tor erzielen können. Die Schweiz darf nicht in Rückstand geraten, sonst macht der Gegner alles, um sich in ein Elfmeterschießen zu retten.

Gelingt der Schweiz die Qualifikation, ist das eine Bestätigung ihrer Qualität, ihrer Arbeit, ihrer Entwicklung, ihrer Ansprüche, ihrer Ambitionen. Vom Selbstverständnis her ist das keine Mannschaft, die eine Teilnahme an einem Turnier als Ziel ausgibt, ihr Ziel ist es, ein Viertel- oder Halbfinale zu erreichen. Sie hat die Qualität dafür, sie war gegen Argentinien (2014) und Polen (2016) nahe dran am nächsten Schritt."

Alain Sutter, 49, spielte in Deutschland für Nürnberg, Bayern und Freiburg und 62-mal für die Schweiz. Er ist Experte bei SRF.

Steven Beacom

"Es gibt keine zwei Meinungen: Die Schweiz hat sich den Sieg in Nordirland verdient. Aber ich muss gleich einschränken: doch nicht auf diese Weise! Selbst die Schweizer werden mit mir einverstanden sein, dass dieser Elfmeter eine Fehlentscheidung war, einfach furchtbar, ein Witz. Das führt mich zum Thema Videoschiedsrichter. Die Zeit ist endgültig reif dafür. Kann mir jemand erklären, warum in einem so bedeutenden Spiel, in dem ein ungerechtfertigter Pfiff schöne Träume zerstören kann, diese Hilfsmittel nicht eingesetzt werden?

Ich habe keine Mühe zu sagen, dass die Schweizer sehr gut waren und sich von der wunderbaren Atmosphäre im Windsor Park nicht beeindrucken ließen. Ihre Abgeklärtheit war bemerkenswert. Das kann man von unseren Spielern nicht behaupten: Gareth McAuley und Jonny Evans waren gut, Steven Davis tat, was er konnte. Alle anderen erreichten aber nicht das Niveau, das möglich und vor allem nötig gewesen wäre, um ein anderes Resultat zu erreichen.

Nun ist die Frage: Was hat unsere Mannschaft in Basel zu bieten? Ich bin überzeugt, dass sie nicht ein zweites Mal so zurückhaltend auftreten wird. Und ich glaube auch, dass Michael O'Neill die richtigen Schlüsse aus dem 0:1 gezogen hat. Nordirland muss sich wieder auf seine größten Stärken besinnen, auf die kämpferischen Qualitäten. Und klar ist auch, dass die Freistöße und Ecken viel besser getreten werden müssen.

Ich sage mir: neues Spiel, neuer Schiedsrichter. Wir müssen einen hohen Berg ohne Absicherungsmöglichkeiten erklimmen. Das ist schwierig. Aber Nordirland hat in der Vergangenheit oft positiv überrascht. Wenn es gelingt, ein Tor zu erzielen, schieben wir den Druck auf die Schweizer. Und ich bin sicher: Das Team, das in Führung geht, geht im nächsten Juni auch nach Russland."

Steven Beacom, 45, ist nordirischer Journalist und schreibt unter anderem für den Belfast Telegraph.

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