Dortmund:Tuchels Brandrede

Dortmund, 14.05.2016, firo, Fußball, 1.Bundesliga, Saison 2015/2016, BVB, Borussia Dortmund - 1.FC Köln,

Schlohweißes Abschiedskomitee: BVB-Legenden Dieter "Hoppy" Kurrat (links), Aki Schmidt (im Hintergrund) und Hans Tilkowski sagen Verteidiger Mats Hummels (rechts) Servus.

(Foto: Ralf Ibing/firo Sportphoto)

Der Trainer sorgt sich vor dem Pokalfinale gegen den FC Bayern um seine Elf - er sieht sie "weit entfernt von der Bestform".

Von Ulrich Hartmann, Dortmund

Soll der Trainer ruhig schimpfen. Thomas Tuchel mag einen Leistungseinbruch zum Saisonende beklagen und seine Furcht vor einer schwachen Dortmunder Pokalfinal-Leistung am kommenden Samstag in Berlin äußern - aber in Jahren, die auf 6 enden, hat Borussia Dortmund noch meistens Großes vollbracht. Das haben die Chronisten im Klub recherchiert. 1956 feierte der BVB seinen ersten Meistertitel, 1966 als erster deutscher Klub einen Europapokalsieg, 1976 den Wiederaufstieg in die Bundesliga, 1986 den Klassenerhalt nach dramatischer Relegation gegen Fortuna Köln und 1996 mit der Titelverteidigung den fünften von acht Meistertiteln. Dass es 2006 nichts zu feiern gab, übergeht die Klubaktion "Goldene Zukunft braucht Vergangenheit" in der Hoffnung, dass das Gesetz der Sechser-Serie 2016 wieder in Kraft tritt.

Tuchel kann auf historische Zufälligkeiten aber nichts geben. Ihm ist die Leistung beim 2:2 zum Saisonabschluss gegen den 1. FC Köln sauer aufgestoßen, weil seine Mannschaft nach der vorwöchigen 0:1-Niederlage in Frankfurt bereits zum zweiten Mal nacheinander die Ambition vermissen ließ, am Leistungslimit zu spielen. Nach 53 Saisonpflichtspielen habe seine Elf die Saison zehn Tage zu früh beendet. Den Trainer störte dabei weniger, dass die Borussia dadurch versäumt hat, nach der Meistersaison 2012 (81 Punkte) zum zweiten Mal in ihrer Bundesliga-Historie die 80-Punkte-Marke zu knacken, und ebenso wenig, dass der BVB damit die Führung in der Heim-Tabelle am letzten Spieltag auch noch an den FC Bayern München abgab. Tuchel fürchtet, dass der Druck- und Spannungsabbau seiner Fußballer in den jüngsten beiden Spielen zum Finale gegen die Bayern am Samstag in Berlin nicht rechtzeitig revidiert werden könnte. "Form und Haltung zu wahren, ist einfacher, als sie wiederzufinden", begann Tuchel seinen Monolog. "Von unserer Bestform sind wir so weit entfernt wie noch nie in dieser Saison." Es werde schwierig, die Spannung erneut aufzubauen. "Dabei können wir nur in absoluter Topform am nächsten Samstag Pokalsieger werden". In solch scharfem Ton hatte man den Dortmunder Trainer in seiner ersten Saison beim BVB noch nicht sprechen hören.

"Form und Haltung zu wahren, ist einfacher, als sie wiederzufinden", findet Tuchel

Deutlich beruhigter klang da Mats Hummels, der Dortmunder Innenverteidiger und Nationalspieler, der zum FC Bayern München wechselt und in der Pokalpartie gegen ebendiese Bayern am Samstag seinen letzten Auftritt im BVB-Trikot hat. Nach dem Unentschieden gegen Köln ersparten die Fans ihm schrille Pfiffe wie noch zwei Wochen zuvor, vielleicht gebot ihnen das aber auch der Respekt vor Vereinslegenden wie Aki Schmidt, Dieter Kurrat oder Hans Tilkowski, die auf dem Rasen gemeinsam mit der aktuellen Belegschaft vor die Südtribüne traten und der Stammkundschaft applaudierten. Hummels könnte dereinst ebenfalls in den Kreis solcher BVB-Legenden aufgenommen werden - kurzfristig wird er aber erst mal als fahnenflüchtig wahrgenommen.

Die Nacht zum Sonntag hofft Hummels in einem Berliner Hotel mit dem DFB-Pokal im Bett verbringen zu dürfen, denn dies ist nach den Meistertiteln mit Dortmund 2011 und 2012 sein abschließendes Ziel als BVB-Spieler. "Wenn wir gewinnen, werde ich fragen, ob ich den Pokal mit ins Bett nehmen darf." Tags darauf würde die Mannschaft den Pokal gern am Borsigplatz vorzeigen, weshalb an den Zufahrtsstraßen schon seit einigen Tagen Straßensperren für den Sonntag angekündigt sind. Tuchel wird seinen Fußballern die Woche über noch eifrig ins Gewissen reden, damit sich die Sperren auch lohnen.

Ansporn erhalten die Profis unterdessen auch von den Legenden. "Wär' doch nicht schlecht, wenn die Bayern mal eins auf den Deckel kriegen", sagt "Hoppy" Kurrat, 74. Er hat den BVB nie verlassen und fliegt mit weiteren Europapokalsiegern von 1966 am Samstag nach Berlin. 50 Jahre nach ihrem Triumph in Glasgow hoffen sie dort auf einen neuen BVB-Erfolg in einem Sechser-Jahr.

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