Dortmund:Pause für den Zeigefinger

Koeln Germany 10 12 2016 1 Bundesliga 14 Spieltag 1 FC Koeln BV Borussia Dortmund Marco Re

Trotz seines Tores nur bedingt zufrieden: Dortmunds Marco Reus (links) mit Torwart Weidenfeller.

(Foto: DeFodi/imago)

Trotz des nächsten Dämpfers beim 1. FC Köln bleibt eine neuerliche Anklage von BVB-Trainer Tuchel aus - der Ausgleich von Stürmer Marco Reus in der Schlussminute stimmt milde.

Von Philipp Selldorf, Köln

Seit Thomas Tuchel neulich in Frankfurt seine Mannschaft beeindruckend beschimpft hat, muss er sich des Verdachts erwehren, ein autoritärer Wüterich zu sein. Bei vielen Beobachtern kam deswegen eine gewisse Sensationslust auf, als seine Elf jetzt beim durch Verletzungen gerupften 1. FC Köln erneut in schwere Not geriet und erst kurz vor Schluss das Tor zum eher glücklichen 1:1 erzielte. Würde Tuchel wieder Blitze schleudern und ein Donnergrollen veranstalten, das bis ins tiefe Sauerland, in die Heimat von Klubchef Hans-Joachim Watzke, dröhnen könnte?

Während des Spiels mochte man gern daran glauben, dass es auch diesmal hoch hergehen könnte bei Borussia Dortmund. Wenn sich Tuchel auf seinen Platz setzte, um Notizen aufzuschreiben, dann kritzelte er so energisch aufs Papier, als ob er einen Strafbefehl über Geldbuße und Hausarrest ausstellte. Wenn er beim Coaching Regieanweisungen erteilte, dann schien er meistens zu meinen, dass seine Leute die einfachsten Dinge nicht verstünden.

Auch erfahrene Kräfte wie Kapitän Marcel Schmelzer und Weltmeister Erik Durm machten da keine Ausnahme, wie ihre Fehler beim 0:1 (28.) durch Artjoms Rudnevs bezeugten. Und dann gab es noch diese Szene in der 52. Minute, als Gonzalo Castro den Ball quer durchs Mittelfeld geradewegs zum Kölner Osako spielte, der daraufhin sofort Mittelstürmer Anthony Modeste steil schickte - zum 2:0 für die Kölner fehlte am Ende der Szene nur eine Winzigkeit. Naturgemäß zeigte sich Tuchel nicht erfreut über Castros fast fatalen Fehlpass, und es dauerte auch nicht länger als zwei Minuten, bis der BVB-Mittelfeldspieler seinen Platz an Sebastian Rode abtreten musste. Der Gedanke an Castros weiteres Schicksal ließ beim Zuschauer vorauseilend Mitleid entstehen.

Aber spätestens, als Tuchel eine Dreiviertelstunde nach dem Abpfiff Castro beim Spitznamen "Gonzo" nannte und mit keiner Silbe den schlimmen Fehlpass erwähnte, dafür aber eine Unterhaltung mit dem Spieler aus der 35. Minute, in der ihm dieser eine Verletzung anzeigte - spätestens da wussten alle, dass die Geschichte vom Wüterich Tuchel in Köln nicht zum Serienmotiv taugen würde. Stattdessen referierte ein Trainer, der sich nicht nur mit dem zumindest standhaften Auftreten seiner Elf einverstanden erklärte, sondern auch mit den Widrigkeiten, die dieser Elf zu eigen sind: "So ein Spiel wie heute kann immer passieren, wir sind drangeblieben, haben nicht aufgegeben und einen Punkt geholt", sagte Tuchel und zog ein Fazit gegen die herrschenden Erwartungen: "Das Kompliment ist größer als der erhobene Zeigefinger." Letzterer gilt in Dortmund als Erkennungsmerkmal des Trainers. Ihn deshalb auf die Rolle des Oberlehrers zu reduzieren wird ihm aber nicht gerecht.

Der 1.FC Köln zeigte trotz großer Personalnot hochwertigen, durchdachten Underdog-Fußball

Mancher in Dortmund hält es für eine persönliche Beleidigung, dass die Borussia in der Tabelle hinter Vereinen wie Leipzig, Eintracht Frankfurt und Hertha BSC platziert ist, man akzeptiert nur die Bayern als Maßstab. Andererseits ist man aber auch sehr kritisch mit den Spielern in Schwarz-Gelb, wenn sie nicht auf Bayern-Niveau agieren. Am Samstag zum Beispiel traf es Ousmane Dembelé, der nicht wie gewünscht in Schwung kommen wollte. Das lag vielleicht auch daran, dass ihn Tuchel ins offensive Mittelfeld versetzt hatte, was womöglich nicht die beste Idee war; vor allem aber war es die rigorose Gegenwehr der Kölner, die ihm zusetzte. Bevor Dembelé zu seinen gefürchteten Läufen starten konnte, war der überaus eifrige Verteidiger Dominique Heintz immer schon bei ihm. Am Ende war er trotzdem wesentlich beteiligt am 1:1 (90.) durch Marco Reus.

"Dembelé ist atemraubend gut", sagte Kölns Manager Jörg Schmadtke, "man sollte aber auch nicht vergessen, wie alt er ist - 19 Jahre. Er muss lernen, in so einem Stadion zu spielen." In Köln-Müngersdorf bekam er es mit Hausherren zu tun, die zwar auf ein halbes Dutzend Spieler aus der Stammbesetzung verzichten mussten, dieses Defizit aber sehr gekonnt mit hochwertigem, durchdachtem Underdog-Fußball ausglichen. Kölns sei ein "sehr komplizierter" Gegner gewesen, sagte Tuchel.

Sein Torjäger Pierre-Emerick Aubameyang schien insgesamt nicht öfter als dreieinhalb Mal am Ball gewesen zu sein (ein Abseitstor inklusive). Auch der von Tuchel mit Recht gepriesene Torschütze Reus hatte seine Probleme, 90 Minuten lang sein Niveau zu halten. Manches Zuspiel landete irgendwo, aber nicht beim angepeilten Mitspieler. Selbst der aus der Tiefe waltende Spiellenker Julian Weigl wurde, ständig bedrängt von seinem Mittelfeld-Schatten Osako, gelegentlich beim Fehlpass erwischt. Peter Stöger, der FC-Trainer, konnte nicht nur mit seiner hingebungsvoll kämpfenden Ersatzbesetzung, sondern auch mit sich selbst zufrieden zu sein. Seine Strategie ging auf.

Diese unvollendete Borussia, so konnte man in Köln erneut erkennen, wird voraussichtlich im nächsten Sommer nicht deutscher Meister werden. Aber das weiß Thomas Tuchel längst, kein Grund zur Aufregung mehr.

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