Borussia Dortmund:Henrikh Mkhitaryan ist im Prinzip unverkäuflich

Lesezeit: 4 min

  • Der sensible Armenier schien Henrikh Mkhitarya bei der Borussia gescheitert zu sein, doch unter Coach Tuchel ist er plötzlich sagenhaft gut.
  • Muss der BVB seinen Abschied fürchten?

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Die Stadt, aus der Henrikh Mkhitaryan kommt, hat einmal den Untergang des sozialistischen Sowjet-Imperiums eingeleitet. Im Prinzip jedenfalls. Radio Eriwan hat es als Station zugegebenermaßen nie gegeben, aber immerhin gab es Eriwan, die Hauptstadt der etwas entlegenen Sowjetrepublik Armenien.

Täglich gab es neue Witze von dem fiktiven Radiosender, die alle das Regime kritisierten und alle mit den Worten begannen: "Frage an Radio Eriwan." Die Antworten fingen alle mit den Worten "Im Prinzip ja" an, um dann das "Ja" in ein "Nein" umzukehren. Nicht, dass Mkhitaryan bei Borussia Dortmund genauso spielen würde - aber im Prinzip vielleicht doch.

Ein Beispiel, Frage an Radio Eriwan: Stimmt es, dass in Moskau 100 Autos an Sowjetbürger verschenkt wurden? Antwort: Im Prinzip ja. Es waren allerdings keine Autos, sondern Fahrräder, die Aktion fand in Smolensk statt und nicht in Moskau, es waren auch nicht 100 Fahrräder, sondern nur eins. Und es wurde nicht verschenkt, sondern gestohlen. In den Siebzigerjahren schmunzelte der ganze Ostblock über diese ziemlich armenische Art, die Dinge auszudrücken. Verhält sich Dortmunds bester Fußballer in der zu Ende gehenden Saison ein bisschen so? Im Prinzip ja, nur ungefähr umgekehrt.

Ende der vorigen Saison schien es so zu sein, als ginge bei Borussias vermeintlichem Spielmacher gar nichts mehr. Dortmund rappelte sich zwar ganz langsam zu einem letzten Kraftakt der lange so glanzvollen Ära Jürgen Klopp auf - und kroch vom Tabellenende mühsam in angestammte Regionen. Aber Mkhitaryan sprach mit seinem Körper noch immer so, als laste die Welt auf seinen Schultern. Sein baldiger Abschied schien an jede Stadionwand geschrieben zu sein, ab und zu versuchte Klopp es sogar mit Schaffenspausen für sein gefallenes Genie. Das machte alles noch schlimmer. Im Prinzip war Mkhitaryan gescheitert.

Dann kam Thomas Tuchel - und erklärte als vermutlich erste Amtshandlung seinem Spielmacher, dass er der vermutlich wunderbarste Fußballer der Welt sei, nur leider auch ein Grübler und ein Melancholiker. Damit müsse Schluss sein, im Prinzip jedenfalls. "Ich glaube tatsächlich", sagt Mkhitaryan, "dass ich damals zu viel nachgedacht habe. Ich weiß nicht, warum das so war, ich glaube auch nicht, dass ich grundsätzlich so bin. Aber ich habe mich eine Zeit lang beim BVB einfach für alles verantwortlich gefühlt."

In der ersten Saison mit Tuchel muss das wohl immer noch ein bisschen so gewesen sein. Mkhitaryan hat 31 Scorerpunkte gesammelt, war also an 31 der 82 Dortmunder Bundesliga-Tore beteiligt. Kein Spieler gab annähernd so viele Vorlagen wie er (20), keiner hat seine Mannschaft in der abgelaufenen Saison so dominiert wie der Armenier mit dem Geburtsort Eriwan. Keiner in Dortmund käme in diesem Frühjahr auf die Idee, das Genie am Ball abgeben zu wollen.

Wie es im Profifußball so ist: Diesmal müht sich die Borussia, ihren Spielmacher so langfristig wie möglich in Westfalen zu binden. Sein alter Vertrag läuft nur noch bis 2017. Und Mkhitaryans Berater Mino Raiola, zu dessen Klienten auch flamboyante Typen wie der Schwede Zlatan Ibrahimovic und der Italiener Mario Balotelli zählen, kennt die Mechanismen des Vertragspokers genau. Manche sagen, er habe sie erfunden.

Vorigen Sommer hätten beide Seiten nicht miteinander verlängern wollen. "Ich habe damals versucht, gleichzeitig zu verteidigen, dann 80-Meter-Sprints über den ganzen Platz zu machen und vorne noch das Tor selbst zu schießen", kann Mkhitaryan heute mit Selbstironie erzählen. Mit so einem Spieler drängte sich damals keine Vertragsverlängerung auf. Ihm selber war auf einmal auch nicht mehr klar, warum er 2013 von Schachtjor Donezk unbedingt nach Dortmund wollte. Im Prinzip war das richtig gewesen, aber jetzt fühlte sich das alles wie ein Missverständnis an. 2015 stand aber auch kein anderer Weltklub auf der Matte. Heute will ihn praktisch jeder, im Prinzip.

Jürgen Klopp zu kritisieren, steht in Dortmund nach wie vor auf dem Index. Nicht mal Witze darf man machen. Nur Mkhitaryan darf sich gelegentlich trauen anzudeuten, dass seine merkwürdige Leistungswende etwas mit dem Trainerwechsel zu tun hatte. Tuchel hat ihn nicht nur öffentlich zu einer Art Lieblingsspieler ernannt und ihm die Bürde genommen, für alles verantwortlich zu sein. Tuchel hat der Leseratte Mkhitaryan auch ein Buch geschenkt: "The Inner Game Of Tennis: Die Kunst der entspannten Konzentration", von Timothy Galwey.

"Es handelt von Tennis", sagt Mkhitaryan, "aber auch davon, was man davon ins Leben übertragen kann. Wie man locker bleibt und trotzdem konzentriert." Er habe damals "das Tor zu sehr gewollt. Aber das Leben ist nicht so, dass man immer trifft." Das Buch sei gut. "Ich fühle mich befreit, als hätte ich ganz tief durchgeatmet." Sein Spiel auf dem Platz deutet darauf hin, dass er sich gerade im Einklang mit der Welt befindet. "Ich habe gelernt, dass man die Dinge nicht zwingen kann. Das Spiel und deine Aktionen müssen aus dir herausfließen, du musst es zulassen."

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So unberechenbar und wundersam ist deshalb jetzt wohl sein Spiel. Tempodribblings, Haken und Volten, vertrackte Pässe und Rochaden wie beim Schach, wuchtige Schüsse, charmante Doppelpässe, rustikale Abwehr-Rempler: Mkhitaryan kann alles. Berater Raiola schwärmt gelegentlich davon, wie gut seinem Klienten das Trikot von Juventus Turin stehen würde, wie begehrt er überall sei.

"Sein Trainer aber hat erklärt, dass Micki unverkäuflich sei", sagt Raiola schlitzohrig. Tatsächlich würde Dortmund seinen Tausendsassa selbst dann nicht gehen lassen, wenn der wider Erwarten keinen neuen Vertrag über 2017 hinaus unterschreiben würde. Und man darf bezweifeln, dass Mkhitaryan das Risiko eines erneuten Ortswechsels gerade jetzt eingehen wollte, wo er Nestwärme gefunden hat.

In Eriwan ist Mkhitaryan der größte Sportstar. Im Prinzip jedenfalls, die nationale Sportart ist Schach. Armenien hat die Schach-Olympiade gewonnen, Lewon Aronjan gilt als zumindest fantasievollster Schachspieler der Welt, Schach ist in Armenien Schulfach in der Grundschule und der Staatspräsident Vorsitzender des Schachverbandes. Mehr Autogramme aber muss Mkhitaryan geben. Natürlich spielt auch er Schach, auch gegen die Großmeister seines Landes.

Neben dem Fußball hat er an der Fernuniversität von St. Petersburg ein Studium der Wirtschaftswissenschaften absolviert, sechs Sprachen spricht er fließend. Deutsch auch. Nach seinem Vater Hamlet ist die Fußballschule Armeniens benannt. Hamlet spielte selbst als Profi bei US Valence in Frankreich, wo Sohn Henrikh anfangs aufwuchs und Französisch wie eine zweite Muttersprache lernte.

Henrikhs Vater ereilte das Schicksal: Mit gerade mal 30 Jahren wurde ein Hirntumor diagnostiziert, an dem er wenig später starb. "Ich war sieben. Ich wusste nicht, was eigentlich los war, warum wir aus Frankreich weggingen. Ich war noch nicht klug genug, um zu realisieren, dass mein Vater nicht mehr da war." Armenien, damals gerade erst aus der Sowjetunion ausgeschieden, im Krieg mit der Nachbar-Republik Aserbaidschan, war ein seltsamer Ort, verglichen mit Südfrankreich. Seitdem hat Henrikh Mkhitaryan vermutlich ein paar mehr innere Wahrheiten als die meisten Menschen. Das erklärt vermutlich manches von seinem Fußball. Auch im Prinzip.

© SZ vom 21.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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