Dopingfall Sachenbacher-Stehle:Wende zum Schlechten

Sotschi 2014 - Evi Sachenbacher-Stehle

Ein Schatten über dem deutschen Olympia-Team: Biathletin Evi Sachenbacher-Stehle wurde positiv getestet.

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Sorglosigkeit? Dummheit? Oder doch ein internationaler Verteilerkreis? In der Dopingaffäre um Biathletin Evi Sachenbacher-Stehle deutet wenig auf ein Missgeschick hin. Der deutsche Sport gerät zunehmend unter Druck, die Politik will nun handeln.

Von Thomas Kistner

Gewundert hat sich Wolfgang Pichler natürlich, aber nichts Böses geahnt. Als der Ruhpoldinger Trainer der russischen Biathletinnen am Freitagmittag die Startliste fürs Staffelrennen studierte und sah, dass Evi Sachenbacher-Stehle fehlte, Deutschlands beste Biathletin in Sotschi, fragte er einen Trainerkollegen aus dem Deutschen Skiverband (DSV) - und erfuhr, die Evi habe Schwächen im Schießen.

Stunden später wusste auch Pichler Bescheid: Evi Sachenbacher-Stehle war positiv in A- und B-Probe getestet worden. Sie könne sich "nicht erklären, wie es zu dieser positiven Dopingprobe gekommen ist", erklärte die 33-Jährige am Freitagabend vor ihrer Abreise. Gefunden wurde das Stimulans Methylhexanamin.

Während die deutschen Funktionäre den Vorgang lange kommentarlos aus der Deckung verfolgten, hatte das Biathlon-Lager in Sotschi bald Details parat. Auch Pichler, der Sachenbacher selbst lange trainiert hatte, als sie Langläuferin war, und der nun von verunreinigten Energie-Riegeln gehört hatte, die ihr von einem Berater empfohlen worden seien. Sorglosigkeit? Das mag die Hoffnung im deutschen Olympiatross gewesen sein; dazu passten erste Schockreaktionen, die DSV-Coach Frank Ullrich so erklärte: "Ich kann nur hoffen, dass das noch eine Wende zum Guten nimmt."

Die Wende blieb aus. DSV-Sprecher Schwarzbach erklärte, "möglicherweise" sei verunreinigte Nahrungsergänzung die Quelle. "Wir gehen von einem Einzelfall aus." Doch beides ist nicht der Punkt beim olympischen Sündenfall in Deutschlands beliebtester Winterdisziplin.

Zum einen flog in Sotschi jetzt noch ein weiterer Stimulans-Dopingfall auf: Auch der italienische Bobfahrer William Frullani könnte dasselbe Mittel genommen haben, mutmaßlich aus chinesischer Fertigung - was dann auf internationale Verteilerkreise schließen ließe. So oder so: Eine Panne mit der Nahrungsergänzung fällt auf den Deutschen Olympischen Sportbund zurück, auf Funktionäre und wissenschaftliche Betreuer.

Dopern und Ärzten soll Gefängnis drohen

Wie kann bei den angeblich stets optimal organisierten Deutschen, deren Kaderaktive seit Jahren von der Anti-Doping-Agentur Nada und dem Kölner Analyselabor massiv vor verunreinigten Substanzen gewarnt werden, für die es sogar eine "Kölner Liste" gibt, die detailliert Genießbares und Gefährliches aufführt - wie kann in diesem Hightech-Tross so eine Panne um eine erfahrene Olympiasiegerin passieren? Wo sich Athletinnen wie Maria Höfl-Riesch schon wundern, dass es Doping noch gibt: "Wenn ich unser System sehe, wie penibel wir immer alles ins Internet eingeben müssen!"

Über Sachenbacher wird das IOC richten, das nun von Thomas Bach regiert wird - der bis Herbst 2013 DOSB-Präsident war. Was aber den DOSB angeht: Ihm blüht eine Zeitenwende, eingedenk der Hiobsbotschaften aus Sotschi. Während die deutsche Teamführung um Chef de Mission und DOSB-General Michael Vesper in der zweiten, nicht gar so erfolgreichen Spiele-Woche immer blasser wurde, läuft zu Hause die Grundsatzdebatte: In der Frage, wie Doping effektiv zu bekämpfen ist, und im Hinblick auf das Sportfördersystem.

Die Politik, die der Sport unter dem gut vernetzten Bach stets von der Einführung eines starken Anti-Doping-Gesetzes abhalten konnte, begehrt auf. In Bayern und Baden-Württemberg liegen seit Jahren Entwürfe vor, am Freitag kündigte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) großes Ungemach für Dopingsünder an: Besitz oder Anwendung von Dopingmitteln sollen unter Strafe gestellt werden; Dopern und Ärzten sollen bis zu fünf Jahre Haft drohen. Maas will mit dem Innenministerium noch 2014 einen Gesetzentwurf vorlegen.

Erschüttertes Vertrauen

Das begrüßt Dagmar Freitag. Ein effektives Dopinggesetz hält die Chefin des Bundestags-Sportausschusses "für unerlässlich". Der Sport mit seiner Gerichtsbarkeit sei nur "eine Seite der Medaille". Der Staat habe viel bessere Ermittlungsmethoden - sofern "der Gesetzgeber die Voraussetzungen schafft". Sie begrüße sehr den Vorstoß des Justizministers - das Vertrauen der Politik in die DOSB-Spitze ist erschüttert.

Freitag erinnert auch an Vespers Aussage, dass der Olympiatross in Sotschi sauber an den Start gehe: Nominiert sei nur, wer nachweislich kontrolliert worden sei. "Wer aus negativen Tests den einzigen Rückschluss zieht, dass die betreffenden Athleten sauber sind, hat das Doping-System nicht beigriffen", sagt Freitag und verweist darauf, dass Tests oft unterlaufen werden. "Entweder, Herr Vesper hat es nicht verstanden, oder er will es nicht verstehen."

Sotschi bietet noch mehr Lehrmaterial für Funktionäre; weitere Doping-Fälle drohen. Nach Angaben aus russischen Kreisen soll auch eine ukrainische Skifahrerin betroffen sein; Offizielles dazu gibt es noch so wenig wie im Graubereichsfall eines Athleten mit auffälligen Peptid-Werten: Sein Befund soll nach SZ-Informationen für eine wasserdichtes Urteil nicht ausgereicht haben.

Sotschi 2014
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