Dopingfall Pechstein:Alarmierende Verbände

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Deutsche Sportverbände unterstützen deutlich Claudia Pechstein und erwecken wieder den Eindruck, dass sie am Anti-Doping-Kampf nicht interessiert sind.

Thomas Kistner

Gibt es ihn, den Morbus Pechstein?

(Foto: Foto: AP)

Dass diese Frage noch nicht die Wissenschaft beschäftigt, liegt daran, dass Claudia Pechstein bisher selbst auf die Suche nach einer krankhaften Ursache für ihre Blutwerte oder einer genetischen Anomalie verzichtete. Auch deshalb verurteilte sie der Weltverband ISU, die Befunde stammen ja schon von Februar. Es spricht also für sich, wenn Pechstein jetzt behauptet, man habe ihr zu wenig Zeit für Untersuchungen gelassen.

Pechstein und der deutsche Sport schüren subtil den Verdacht, es laufe eine Intrige der ISU gegen die höchstdekorierte nationale Wintersportlerin. Das ist Unsinn. Die ISU, im Antidopingkampf stets unauffällig, kann sich gar nicht leisten, ihre Helden zu zerstören und dabei auch noch millionenschwere Schadensersatzklagen zu riskieren. Sie soll sogar versucht haben, die Sache regelwidrig wegzudrücken. Sie bot Athletin und Verband einen "Kuhhandel" an, den Pechstein jetzt zu Recht als Fehler beklagt. Nur: Sie hat ja mitgemacht, über Monate die Lüge verbreitet.

Auch sonst war alles im Sinn der Athletin verlaufen, deren sportliches Umfeld nicht über Zweifel erhaben war und die mit 37 enorme Leistungssprünge hinlegte. Ihr Prozess zog sich still über Monate und schloss viele Experten ein. Und jetzt? Das Übliche: Pechstein legt keine Werte offen, hat aber trotz fünf Monaten Bedenkzeit nicht die leiseste Erklärung für das ihr Leben umwälzende Ereignis. Sie argumentiert wie andere vor ihr: Sie sei nie positiv getestet worden.

Das ist sachlich richtig, als Argument aber untauglich eingedenk der kurzen Abbauzeiten, all der Maskierungsmittel und der gar nicht testbaren Betrugspräparate. Wie untauglich, daran erinnern all die anderen Sünder, die nie positiv waren. Allein Marion Jones huschte 160 Mal durch die Dopingtests. Ein Kinderspiel.

Das Kinderspiel hat die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada bewogen, Indizienprozesse einzuführen. Abnorm starke Blutbildungen sind so ein knallhartes Indiz; es kann widerlegt werden, aber nur über eine Krankheit. Ansonsten zeigt der Tanz der Retikulozyten Doping an. Der Indizienprozess ist neu, doch unerlässlich für eine Betrugsbekämpfung, die den weit enteilten Dopern auf den Fersen bleiben will. Das gibt der Sache die besondere Brisanz.

Alarmierend ist daher das Verhalten deutscher Funktionäre. Der Eislaufverband DESG ist absolut Partei, das zeigt der Kuhhandel von Hamar. Wenn also bald wieder die Steuermittelvergabe für Reiter und Radler debattiert wird, darf die DESG nicht fehlen. Dass aber der Dachverband, der Deutsche Olympische Sportbund, mit aller Kraft ins selbe Horn stößt und nichts als die Unschuldsvermutung zitiert, wo immerhin das Urteil eines Weltverbands vorliegt, zeigt, wie es um die Mentalität bestellt ist im Sport hierzulande.

Den DOSB irritiert weder die erdrückend starke Indizienlage noch der Umstand, dass Pechstein die Chance ausschlug, sich ärztlich zu entlasten. Das hilft, nebenbei, zu erklären, warum der DOSB nichts mehr fürchtet als ein strenges Antidopinggesetz. Und wirft pikante Fragen auf: Wann und worüber wurde der DOSB informiert? Trug er den Kuhhandel mit?

© SZ vom 06.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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