Dopingfall Lance Armstrong:Ein Bruder stört die Wagenburg

Der Giro d'Italia bewährt sich als heimeliges Refugium des Radsports. Doch nun belastet auch der geachtete Kollege George Hincapie mit Aussagen über Lance Armstrong die Branche.

Andreas Burkert

In Lienz ist die Welt noch in Ordnung, "Applaus für die Radrennfahrer!", ruft ein dicker Mann auf der Bühne vor "Damenmoden Meirer", im Hintergrund funkeln die schönen Lienzer Dolomiten. Der 94.Giro d'Italia ist auf einen Abstecher nach Osttirol gekommen, die Menschen bereiten ihm einen freundlichen Empfang, und Jens Zemke sagt, das müsse man doch auch sehen bei aller Kritik, diese anhaltende Begeisterung an den Strecken; am italienischen Mittelmeer, erzählt er, "das war Wahnsinn".

Lance Armstrong und George Hincapie

Zwei Freunde: Lance Armstrong, r.,  und George Hincapie bei der Tour de France 2005.

(Foto: dapd)

Der Hesse Zemke früher selbst ein patenter Radprofi, leitete lange die Nürnberger Frauen-Equipe; auch der Frauenradsport gilt ja als vergleichsweise heile Welt, in der wegen der geringen Geldsummen Doping keine Rolle spiele. Nun ist Zemke bei den Männern angekommen, als Sportchef beim US-Team HTC, und jetzt wirbt er hartnäckig und ohne Furor für seine Branche, die sich viel Mühe gebe wider den Betrug. "Und es ist doch so ein schöner Sport."

Das hat natürlich niemand in Abrede gestellt, diese Faszination des Radsports, doch dann verlässt man den Teamwagen des freundlichen Quereinsteigers Zemke und schaut sich weiter um auf dem Parkplatz der Teams. Die Faszination geht dann irgendwie verloren. Drüben gibt etwa Bjarne Riis, der umstrittene Chef des umstrittenen Giro-Dominators Alberto Contador, Interviews, und wenn der Däne kritische Begleiter seines Wirkens entdeckt, gibt er seinem Pressechef einen Fingerzeig, wer da aufgetaucht ist.

Und links lehnt ein enger Freund desjenigen am Teambus, der neben dem von einer Dopingsperre bedrohten Spanier Contador und vielen anderen Sündern den Ruf des Radsports weiter desavouiert, Lance Armstrong. Dessen ewiger Teamchef Johan Bruyneel, der jetzt die Nachfolge-Crew RadioShack leitet, blinzelt mürrisch in die Sonne. Als habe er schon von den neuesten unangenehmen Nachrichten aus Übersee über Armstrong gehört.

Der Giro mag auch in seine dritte Woche als heimeliges Refugium einer Wagenburg gehen, und alle haben sich am Samstag bei der Bergankunft auf dem verregneten Monte Zoncolan sicher auch nur ganz kurz gewundert über die Pfiffe gegen Contador, den unantastbaren, umstrittenen Mann in Rosa - doch den Fortgang der Enthüllungen über eine obskure Szene wird auch die chronisch unbeirrte Italien-Rundfahrt nicht stoppen.

Hincapie stand unter Eid

Nun also George Hincapie. Nachdem zuletzt Armstrongs einstiger Kollege Tyler Hamilton im US-Fernsehen massive Dopingvorwürfe gegen den siebenmaligen Frankreich-Gewinner erhob ("Ich habe gesehen, wie er sich Epo spritzte, wir alle taten das viele Male"), soll laut CBS auch der 37-jährige New Yorker seinen früheren Boss massiv belastet haben, vor den amerikanischen Ermittlungsbehörden. Auch Hincapie, der als einziger Profi sämtliche Toursiege Armstrongs im USPostal-Team begleitete, hat angeblich vor der Grand Jury Dopingpraktiken und die gegenseitige Beschaffung von Epo und Testosteron zugegeben. Er musste es tun. Er stand unter Eid.

Hamilton, den des Dopings überführten Olympiasieger von 2004, haben sie auch beim Giro als unglaubwürdigen Zeugen abgetan; wie davor Floyd Landis, dessen Aussagen im vorigen Jahr die Ermittlungen der US-Behörden gegen Armstrong erst in Gang gebracht hatten. Aber Hincapies kolportierte Aussagen vor Gericht vervollständigen nicht nur das von Armstrongs alten Gefährten gezeichnete Bild eines Betrugssystems.

Sie betreffen auch das aktuelle Feld, denn im Gegensatz zu Armstrong, 39, ist Hincapie noch aktiv und hatte sich bislang nicht konkreter Dopingvorwürfe zu erwehren; mit Ausnahme von Landis' Behauptung natürlich, er habe auch Landsmann Hincapie bei Bluttransfusionen zugesehen. Hincapies aktuelles Team BMC ist beim Giro am Start, er selbst fährt daheim bei der Kalifornien-Tour.

BMC kommentiert den Vorgang nicht; der im Peloton hoch geachtete Hincapie dementierte seine Aussage vor Gericht zumindest nicht, als er mitteilte, er habe mit CBS nicht geredet und wisse nicht, "wie die an ihre Informationen kommen".

Von Lance Armstrong, der bis heute jegliches Doping bestreitet, gab es keine Reaktion. Über Landis und Hamilton, die einst sein Team verließen, hat er sich stets lustig gemacht. Zu Hincapie, all die Jahre sein treuer Leutnant und Zimmerpartner, wird er wohl schweigen. Er galt bisher als enger Freund des Texaners. In einem SZ-Interview sagte Hincapie 2005 zu all den Vorwürfen gegen Armstrong: "Es reden immer Leute schlecht über ihn, die ihn nicht kennen." Armstrong kennt Hincapie seit 21 Jahren, er nannte ihn noch im Vorjahr "einen Bruder".

Hincapie will im Juli eigentlich die Tour fahren, zum 16. Mal. Hamilton, der wegen einer achtjährigen Sperre aufhörte, ließ am Freitag sein Olympiagold beim US-Verband abgeben. Zweiter in Athen war Wjatscheslaw Ekimov. Er steht in Lienz neben Bruyneel. Der Russe fuhr lange für Armstrong, bei Radio-Shack ist er unter Bruyneel einer der Sportchefs. Ihm würde Hamiltons Gold zustehen, nicht?

"Alles Gerede", sagt Ekimow und blinzelt in die Osttiroler Sonne. "Jeden Tag solche Berichte", meint er zu Hamilton und Hincapie, "das macht mich krank."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: