Dopingfälle vor Olympia:"Totale Kontrolle"

Biathlon-WM 2013

Drei Dopingfälle erschüttern den Biathlon kurz vor Olympia.

(Foto: dpa)

Drei Biathletinnen aus Russland und Litauen werden nur wenige Tage vor den Winterspielen in Sotschi positiv getestet. Besonders pikant: Eine von ihnen soll bei Olympia starten. Im Gastgeberland ist die Aufregung groß - manche wittern gar eine Verschwörung.

Von Thomas Kistner

"Bei uns hat die Nachricht wie eine Bombe eingeschlagen", sagt Wolfgang Pichler. Doch Konkretes über die neuen Dopingfälle wusste er selbst noch nicht, der deutsche Trainer der russischen Biathlon-Frauen; zu abgeschieden vom Rest des nationalen Skijäger-Trosses hat seine Gruppe in letzter Zeit trainiert, in Obertilliach/Österreich. Immerhin, das für ihn Wichtigste hat Pichler am Mittwoch erfahren: "Aus meiner Gruppe ist keine dabei. Beide Fälle betreffen die Konkurrenz-Gruppe!"

Neben den zwei Russinnen gibt es auch einen Fall in Litauen. Denn insgesamt drei Skijäger, hatte der Biathlon-Weltverband IBU mitgeteilt, seien wegen positiver A-Proben provisorisch für alle Veranstaltungen unter IBU-Regie gesperrt worden.

Zugleich wurde das Internationale Olympische Komitee alarmiert: Nächste Woche beginnen die Winterspiele in Sotschi, und gut informierte Quellen im Lager der Gastgebernation wollen wissen, dass eine der betroffenen Russinnen für Olympia nominiert sei. Die zweite soll sich, eher überraschend, nicht qualifiziert haben. Allerdings soll diese Biathletin schon eine Sperre wegen Blutdopings hinter sich haben.

Die entlarvenden Tests fanden in der Wettkampfpause zwischen Weihnachten und Neujahr statt, teilte die IBU weiter mit. Die sich vorläufig zum spannendsten Thema bedeckt hält: Welche Substanz wurde ermittelt? Das ist in mehrfacher Hinsicht bedeutsam. Zum einen fliegen just russische Athleten, ob in Winter- oder Sommersportarten wie der Leichtathletik, traditionell gern in ganzen Trainingsgruppen auf.

Das deutet massiv auf ein in gewissen Sparten systematisiertes Doping hin: dass mehrere Trainingspartner gleichzeitig, doch ohne Wissen voneinander, dieselben Substanzen konsumieren, erscheint unwahrscheinlich und widerspricht den einschlägigen Betrugsrealitäten im Spitzensport. Und zweitens: Recht belastbaren Branchen-Gerüchten zufolge soll seit einiger Zeit ein neuartiger Doping-Wirkstoff in Umlauf sein in der sportiven Körperindustrie. Und das Zentrum dieser Bewegung wird in Osteuropa lokalisiert.

Hochpolitische Angelegenheit

So gab es eine Menge zu besprechen bei der Sondersitzung des russischen Anti- Doping-Komitees am Mittwoch in Moskau; auch in IOC-Kreisen dürfte die Anspannung wachsen. Zwar wird nun allenthalben auf die verbesserte Qualität der Dopingkontrollen verwiesen. Doch ausgesprochen naiv wäre es zu glauben, dass die aktuellen Fälle nur ein Thema für die Betrugsbekämpfer im Sport sind: Die Angelegenheit ist schon jetzt hochpolitisch.

Russland will sich ja bei seinem - im Ausland einhellig als "Putin-Spiele" etikettierten - Fest der Sport- und Sicherheitskräfte von der besten Seite präsentieren. Da wirkt schon so ein Verdacht, man könnte hinter der verschwenderischen Baukulisse auch ein sportives Erfolgsprogramm aufgelegt haben, reichlich kontraproduktiv.

Prompt meldete sich Sportminister Witali Mutko in der Zeitung Iswestija: Er ist "überzeugt, dass der Vorwurf unser Kernteam nicht betrifft", weil sich dieses "unter der totalen Kontrolle" nationaler Dopingtester befinde. Nur besagt gerade das erfahrungsgemäß noch gar nichts.

Und der russische Olympiasieger Sergej Tschepikow strickt laut der Agentur Itar-Tass schon erste Verschwörungstheorien, er schließe eine "Provokation" nicht aus. "Möglicherweise will jemand die Position des russischen Nationalteams vor den Winterspielen schwächen." Wie die IBU macht auch die Russische Biathlon Union die Namen von Athleten oder Mitteln nicht publik.

Auffällig erscheint allerdings, dass das Team der russischen Biathlon-Frauen 2013 gesplittet wurde. Trainer Pichler, der einen Ruf als Doping-Gegner hat und laut Selbsteinschätzung "wohl auch deshalb" engagiert worden war, coacht eine Gruppe von fünf Athletinnen, sieben andere trainieren bei Wladimir Korolkewitsch. Pichler bezeichnet diese als "Konkurrenz-Gruppe", was auf eine starke interne Wettbewerbssituation hinweist. Und Fragen offen lässt.

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