Dopingfälle der Sprinter:Carabinieri finden 50 Schachteln Medikamente

File photo shows Jamaica's Asafa Powell looking at the scoreboard after running in the men's 100m final during the London 2012 Olympic Games

Asafa Powell, nach seinem letzten Platz im Finale über 100 Meter der Olympischen Spiele in London.

(Foto: REUTERS)

Razzia der italienischen Polizei bei Asafa Powell: Im Trainingslager der jamaikanischen Sprinter finden Fahnder erhebliche Mengen Medizin. Während sich Experten dennoch über den Dopingbefund wundern, beklagt die Leichtathletik einen enormen Vertrauensverlust.

Die Situation erinnerte an die Doping-Razzia bei Winter-Olympia 2006 in Turin: Italienische Carabinieri, deren Kollegen damals Blutbeutel bei Österreichs Langläufern und Biathleten fanden, beschlagnahmten 50 Schachteln mit Medikamenten im Zimmer von Asafa Powell. Gegen Jamaikas früheren 100-Meter-Weltrekordler wird ermittelt, die Cremes, Sprays und Tabletten werden auf Dopingspuren untersucht.

Immer stärker rückt das Umfeld der Athleten ins Zentrum der Untersuchungen. Neben Powell und Sprinterin Sherone Simpson wurde laut Udines Polizeichef Antonio Pisapia auch deren umstrittener kanadischer Fitnesstrainer Chris Xuereb vor der Abreise aus dem Trainingslager im norditalienischen Adria-Ort Lignano Sabbiadoro vernommen. Dem Trio wird vorgeworfen, gegen Artikel 9 des Doping-Gesetzes des Landes verstoßen zu haben. Es stellt den Gebrauch oder die Verteilung verbotener Substanzen unter Strafe. "Wir analysieren die Substanzen derzeit. Es hat noch keine Verhaftungen gegeben", sagte Pisapia.

Powells jamaikanischer Trainer Stephen Francis machte Xuereb für den positiven Dopingtest seiner Sportler verantwortlich. Der Kanadier soll Powell laut New York Times eine Mixtur diverser Nährungsergänzungsmittel sowie Injektionen verabreicht haben. "Xuereb hat einen schlechten Ruf. Ich wollte ihn in meiner Gruppe nicht haben, er ist mir jedoch von Powells Manager Paul Doyle aufgezwungen worden", sagte Francis der italienischen Sporttageszeitung Gazzetta dello Sport.

Powell und Simpson hatten am Sonntag bestätigt, in A-Proben positiv auf das Stimulans Oxilofrin getestet worden zu sein. Staffel-Olympiasieger Nesta Carter hingegen zeigte sich am Dienstag überrascht von Medienberichten, wonach er neben den zwei Diskuswerfern Allison Randall und Traves Smikle zu den fünf jamaikanischen Athleten zähle, deren Doping-Proben von den nationalen Meisterschaften auffällig waren; Carter soll diesen Mittwoch in Luzern starten. Nach Angaben des Jamaica Gleaner steht auch Hochspringer Demar Robinson unter Verdacht.

Wilhelm Schänzer, Leiter des Doping-Analyselabors in Köln, misstraut den Beteuerungen von Powell und dessen Betreuern, versehentlich gedopt zu haben. "Vor vier Jahren hatten wir das gleiche Problem. Vor den Weltmeisterschaften 2009 wurden fünf Jamaikaner positiv auf Methylhexanamin getestet", sagte . Es ist ein Stimulanzmittel, das mit dem von Powell und Simpson eingenommenen Oxilofrin vergleichbar ist. "Die Warnungen vor Methylhexanamin in Nahrungsergänzungsmitteln waren eigentlich gut angekommen", sagte Schänzer. "Sie haben eine Wirkung, die nicht zu vernachlässigen ist. Doch sie sind leicht nachzuweisen. Wer sich damit dopt, der hat von Doping keine Ahnung."

Vor der WM 2009 in Berlin waren ebenfalls Sprinter aus Jamaika bei ihren nationalen Meisterschaften positiv auf Methylhexanamin getestet worden. Dazu gehörten Yohan Blake, der 2011 Weltmeister über 100 Meter wurde, Lansford Spence, Marvin Anderson und Allodin Fothergill. Alle erhielten Sperren von wenigen Monaten.

"Wer sich damit dopt, der hat von Doping keine Ahnung“

"Das Athleten heute noch darauf zurückgreifen, kann man sich gar nicht vorstellen", meinte Schänzer. "Wenn denen das vor vier Jahren passiert ist, warum passiert es wieder. Sind die so blind." Aus diesem Grund dürfe man diese Doping-Fälle nicht herunterspielen - auch nicht, weil es sich nur um "leichtere" Vergehen mit Stimulanzmittel handele. "Es sind bekannte Sprinter, sie sind positiv getestet und darum ist es auch ein Skandal", meinte Schänzer.

Die neuen Fälle stehen indes noch nicht auf der Liste des Weltverbandes IAAF, auf der 265 Namen wegen Dopings suspendierter oder gesperrter Athleten. Ebensowenig wie viele der 30 Türken, die laut nationalen Medien des Dopings überführt wurden. Spekulationen über 30 positiv getestete türkische Leichtathleten kursieren in der Szene. "Tiefer kann die Leichtathletik nicht mehr fallen. Wir brauchen einen Neuanfang mit einem endlich wirkungsvollen Anti-Doping-Kampf", sagte der deutsche Ex-Weltrekordler Armin Hary im Gespräch mit dem Sport-Informations-Dienst (SID). Er fordert: "Dazu gehören auch neue Rekordlisten."

Alarmsignale macht nicht nur er aus. "Viele werden den Athleten nicht mehr trauen. Das ist der größte Schaden, den man einem Sport zufügen kann", sagte Helmut Digel, Mitglied der Führungsriege des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF, im ARD-Morgenmagazin. Sebastian Coe, Vizepräsident der IAAF und 2012 erfolgreicher Olympia-Chef von London, schwört auf die harte Welle gegen Doper: "Wir müssen alles tun, um diesen Krieg nicht zu verlieren."

IOC-Präsident Jacques Rogge will von einer tiefen Vertrauenskrise in der Leichtathletik aber nichts wissen. Beide Organisationen werteten den neuen Dopingskandal als Fahndungserfolg. "Natürlich kann der Kampf gegen Doping nie ganz gewonnen werden", betonte Rogge, "aber diese Fälle unterstreichen einmal mehr, den starken und intelligenten Kampf, den das IOC und seine Partner aus der olympischen Bewegung gegen Doping kämpfen."

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