Dopingfälle der Leichtathletik:Erdbeben in der Sprintwelt

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Tyson Gay, Asafa Powell, Sharone Simpson und vielleicht Nesta Carter - positive Dopingbefunde bei mehreren Weltklasse-Sprintern versetzen der Leichtathletik kurz vor der WM einen Schock. Dabei gilt unter Experten die Regel, dass sich nur der Dumme erwischen lässt. Der Fall der Jamaikaner wirft tatsächlich Fragen auf.

Von Thomas Hummel

Tyson Gays Trainer Lance Brauman hat mit dem positiven Dopingtest seines schnellsten Sprinters selbstverständlich nichts zu tun. "Es muss klar gesagt werden, dass wir die Nutzung von leistungssteigernden Mitteln nicht unterstützen, weder dazu anregen noch sie tolerieren", sagt Brauman, "egal, ob es absichtlich passiert ist oder nicht." Der Coach betont zudem, dass er nicht die Person sei, die Gay nach dessen Aussage hängenließ. Auch Braumans Mitarbeiter seien damit nicht gemeint.

Schnell in Sicherheit bringen - so heißt ja stets die Regel Nummer eins, wenn ein Athlet mit einer unerlaubten Substanz in seinem Körper erwischt wird. Also tritt auch Brauman die Flucht an und fordert von seinem Athleten öffentlich, dass er alles offen und ehrlich erzählen soll. Damit tat sich Tyson Gay bei seinem Geständnis allerdings schwer, denn der weltschnellste 100-Meter-Läufer in diesem Jahr rang sich nicht einmal dazu durch, die Substanz zu nennen, wegen der er bei einer Trainingskontrolle im Mai auffällig wurde.

Deshalb fällt es nun schwer, den Fall Gay einzuschätzen. Er habe jemandem vertraut, und der habe ihn hängenlassen, erklärte der Amerikaner in einer Telefonkonferenz mit einigen Medien. Diese Aussage lässt viele Deutungen zu: Ist es ein Schuldeingeständnis, dass die Leistungssteigerung zuletzt auf die bewusste Einnahme illegaler Mittel zurückzuführen ist? Hat ihm ein Lieferant versprochen, er werde damit keinen Ärger bekommen und dem war dann doch so? Oder wusste er von nichts und es hat ihn jemand reingelegt?

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Der Dopingexperte Werner Franke stellt Tyson Gay ein uncharmantes Urteil aus: "Wer sich heute erwischen lässt, ist selbst schuld. Tyson Gay scheint nicht der Hellste zu sein."

Franke hätte sein Urteil an diesem turbulenten Sonntag gleich ausweiten können. Denn neben Gay wurden auch die jamaikanischen Sprinter Asafa Powell (Ex-Weltrekordler über 100 Meter), Sherone Simpson (Mitglied der Staffel und Zweiter der Olympischen Spiele in Peking über 100 Meter) und drei weitere Athleten der Karibik-Insel erwischt. Alle bei den heimischen Trials, der Qualifikation für die WM in Moskau in vier Wochen. Powell und Simpson erklärten, bei ihnen sei das Stimulans Oxilofrin gefunden worden.

"Ich möchte es ganz klar sagen: Ich habe nie willentlich irgendwelche verbotenen Mittel genommen. Ich bin kein Betrüger und war es nie", schreibt Powell in einer schriftlichen Stellungnahme. Simpson äußert sich ähnlich. Beide sind Partner in der Gruppe MVP des Trainers Stephen Francis und stehen damit in Konkurrenz zum Racers Track Club rund um Usain Bolt. Dazu passen würden demnach Medienberichte, wonach Nesta Carter einer der weiteren Betroffenen aus Jamaika sei; auch Carter trainiert bei MVP. Carter lief am Wochenende in Madrid mit 9,87 Sekunden die zweitschnellste Zeit des Jahres hinter Gay.

Powell und Simpson gehen mit ihren Befunden sehr offensiv um, wohl auf Geheiß ihres gut beleumundeten Managers Paul Doyle. Und der Stoff Oxilofrin wirft tatsächlich Fragen auf: Durch so ein Stimulans wird die Herzfrequenz erhöht, die Atemwege erweitert, man erlangt auch eine gewisse Euphorie und hat weniger Hunger - es bewirkt eben eine Leistungssteigerung des menschlichen Körpers. Auf der anderen Seite vermutet die Wissenschaft, dass neuere Nahrungsergänzungsmittel mit dem Stoff illegal versetzt werden. Könnte die Trainingsgruppe MVP unwissentlich (und dann auch reichlich unprofessionell) mit einem solchen Nahrungsergänzungsmittel gearbeitet haben?

Die Zeitung Jamaica Gleaner berichtet, dass in Italien ein Trainer der MVP-Gruppe festgenommen worden sei, der die Athleten mit Substanzen versorgt haben soll. Die MVP-Gruppe trainiert häufiger in Italien wegen des Klimas. Der Name des Trainers, der seit Mai 2012 für Powell arbeitet und mit dem Topsprinter zeitweise zusammen wohnte, wurde nicht veröffentlicht.

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Am Montag wurde ein weiterer Name eines jamaikanischen Dopingsünders bekannt: Die Diskuswerferin Allison Randall zeigt sich schockiert über ihren Positiv-Befund, entschuldigt sich bei ihrer Familie und beteuert ihre Unschuld.

Für die Leichtathletik-Welt und die Sprinter im Besonderen bedeuten die neuen Doping-Nachrichten ein Erdbeben. "Wir sind schockiert und entrüstet. Für die Leichtathletik und den Männer-Sprint im Besonderen ist das eine große Belastung. Damit werden im Grunde alle Spitzenleistungen infrage gestellt. Da sind Zweifel angebracht", sagte Helmut Digel, Councilmitglied des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF.

Die Liste der Top-Sprinter mit Doping-Vergangenheit wird stetig länger. Angefangen mit Ben Johnson 1988, Katrin Krabbe, Tim Montgomery, Kelli White, Marion Jones, Justin Gatlin - um nur die prominentesten Namen zu nennen. Es wirkt wie ein ewiges Katz-und-Maus-Spiel zwischen Fahndern und Athleten. In diesem Jahr war bereits die dreimalige jamaikanische Olympiasiegerin Veronica Campbell-Brown hinzugekommen, sie war positiv auf ein Entwässerungsmittel getestet worden. Das Mittel steht im Verdacht, stärkere Dopingmittel zu verschleiern.

Nun Gay, Powell, Simpson, vielleicht Carter. Sie alle werden bei den Weltmeisterschaften in August in Moskau fehlen. "Wir haben Probleme genug. Das ist ein Ärgernis für die WM", sagt Digel. Doch kann man in einem WM-Endlauf überhaupt noch einem Teilnehmer trauen? "Die 100 Meter sind komplett versaut. Nur so lassen sich solche Leistungen in dieser Häufigkeit erzielen", sagt Franke. Der Internationale Leichtathletik-Verband zieht hingegen einen positiven Schluss: "Die Glaubwürdigkeit unseres Anti-Doping-Programms und der Leichtathletik wird jedes Mal, wenn wir einen neuen Fall aufdecken, gestärkt, nicht geschwächt", teilte IAAF-Generalsekretär Nick Davis mit.

Eine interessante Frage wirft die Langstrecken-Läuferin Sabrina Mockenhaupt über Twitter auf : "Kann nicht der gewinnen, der das meiste Talent hat, am besten trainiert, am besten geschlafen hat, usw....! ???"

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