Niemand hatte sie darauf vorbereitet. Kein Sportfunktionär, kein Politiker, Sportler, kaum ein Journalist. Eher schon war das Gegenteil der Fall. Und so fiel die überwiegende Mehrheit der Spanier, als am Montag das Zwei-Jahres-Urteil gegen den Radprofi Alberto Contador bekannt wurde, erst aus allen Wolken - und schließlich in den bekannten, patriotischen, mit einem verschwörungstheoretischen Bass unterlegten Chor ein.
Spaniens Sport glaubt an die Unschuld von Alberto Contador.
(Foto: AP)Da kann man mal wieder sehen, so lautete der Tenor, wie neidisch die Welt im Allgemeinen und die Franzosen im Besonderen auf die Spanier sind. "Was für . . .söhne", twitterte der frühere Radsportler Óscar Pereiro, wobei die Pünktchen für einen derben Begriff standen, der das vermeintlich älteste Gewerbe der Welt umschreibt.
Zum selben Zeitpunkt hatten sich Dutzende TV-, Radio- und Printreporter in Pinto eingefunden, Contadors Heimat am Rande Madrids. Am Vorabend war er dorthin zurückgereist; dass die Medien darüber verständigt wurden, legt nahe, dass er mit einem Freispruch gerechnet hatte und sich triumphal zeigen wollte.
Am Montag blieben die Türen seines Hauses aber verschlossen, die Dimension seiner Enttäuschung ließ sich bloß erahnen. Sie dürfte immens sein, schließlich hatte er so gewirkt, als glaube er die Geschichte mit dem verseuchten Fleisch selbst.
Derweil entstaubten die Radiosender eilig Konserven von vor fünfzehn Monaten. Damals hatte Contador nur sehr widerwillig ("bin unschuldig!") den Fall einer Sperre durchgespielt und erklärt, dass er einen Rücktritt nicht ausschließen könne.
Am Montag hieß es, dass er sich frühestens am Dienstag, aber spätestens am Mittwoch in einer Pressekonferenz äußern wolle. An einen Rücktritt mag in Spanien niemand glauben. Immerhin muss er nicht nur die erwartete Geldstrafe von 2,4 Millionen Euro, sondern auch Anwalts- und Gutachterkosten von geschätzt einer Million Euro aufbringen.
Olympisches Komitee reagiert vorsichtig
Und überhaupt: Trotz des positiven Tests von der Tour 2010 gilt Contador den Spaniern als die Unschuld in Person. Der Chef des spanischen Verbandes RFEC, Juan Carlos Castano, sagte, dass das ganze Verfahren von Beginn an "nicht regulär" gewesen sei - was nicht zuletzt deshalb putzig ist, weil der RFEC Contador eine Einjahressperre vorgeschlagen hatte.
Carlos Sastre wiederum polterte, dass Contador nie als Dopingsünder überführt worden sei, "und wenn du keine Beweise hast, hat eine Sperre keinerlei Logik". Pedro Delgado, der ebenfalls einen Toursieg vorweisen kann, verbreitete die Theorie, dass Contador womöglich nur des Geldes wegen verurteilt worden sei. Das Geld komme doch dem Radsportweltverband, der Welt- Anti-Doping-Agentur Wada und dem Sportgerichtshof Cas zugute, sagte er.
Noch Fragen? Aber klar: Pedro J. Ramírez, Chefredakteur der Zeitung El Mundo, erklärte, es sei Zeit, die Vita der Cas-Richter mal richtig zu durchleuchten - was sich so las wie: Irgendwelche Leichen werden diese Halunken schon im Keller haben. Nationaltrainer José Luis de Santos sagte, Spaniens Radsport habe einen schweren und unbegründeten Schlag zu verdauen.
"Wenn das jemandem passiert, den du nicht kennst, kannst du immer mal einen Verdacht haben." Es sei denn, seine Name hat die Initialen A.C. Denn: "Ich glaube, niemand kann an der Integrität Albertos zweifeln." Die Chefin der Regionalregierung Madrid, Esperanza Aguirre, tut das tatsächlich nicht, man stehe fest an seiner Seite.
Etwas vorsichtiger zeigten sich das Olympische Komitee und der Sportrat, der in etwa die Funktion eines Sportministeriums hat. "Wir erkennen das Urteil an", teilten sie mit.