Dopingaffäre in Russland:Fährten zu "WL"

Gianni Infantino, Vitaly Mutko

Unterwegs auf den großen Bühnen des Weltsports: Russlands Sportminister Witali Mutko (rechts), hier mit dem mittlerweile schwer angezählten Fifa-Chef Gianni Infantino.

(Foto: Ivan Sekretarev/AP)

Ein Sportminister, der einen Dopingfall im Fußball vertuscht haben soll, gesperrte Trainer, die Athleten betreuen: Eine Dokumentation zeigt, wie in Russlands Sport weiter manipuliert wird.

Von Johannes Knuth

Der Befehl ist eindeutig: "Die Entscheidung soll mit WL abgestimmt werden", schreibt ein Mitarbeiter aus dem russischen Sportministerium in einer E-Mail. Die Rede ist von einer positiven Dopingprobe vom 17. August 2014. Ein Fußballspieler ist mit Hexarelin aufgeflogen, der Spieler ist beim russischen Erstliga-Klub FK Krasnodar angestellt, der ein Jahr später zwei Mal in der Europa League gegen Borussia Dortmund antreten wird. "Warten wir also beim Fußballer auf die Entscheidung von WL?", fragt der Mitarbeiter aus dem Doping-Kontrolllabor. "Genau so", kommt es aus dem Sportministerium zurück. Das wird geleitet von einem gewissen Witali Leontijewitsch Mutko, oder, in den Initialen seiner Vornamen: "WL".

"Geheimsache Doping. Showdown für Russland", heißt der neue Film der ARD, es ist die nächste Welle, die auf den Weltsport hereinbricht. Seit Dezember 2014, als zwei Kronzeugen in der ARD staatlich protegiertes Doping in Russlands Leichtathletik freilegten, gewähren Ermittler und Whistleblower ja fast pausenlos Einblicke hinter die Kulissen des Weltsports: auf Hinterzimmer, in denen Leichtathleten sich in die Medaillenränge dopen. Oder in Kontrolllabors, die Proben austauschten, mithilfe des Geheimdienstes. Oder in Etagen des Leichtathletik-Weltverbands, der Sportler erpresste. Oder, oder, oder. Die neue Recherche legt nun erneut Fährten in die russische Leichtathletik, die im vergangenen November kollektiv gesperrt wurde, wegen einer "tiefwurzelnden Kultur des Betrugs", und die in diesen Tagen um ihre Zulassung für die Sommerspiele in Rio kämpft. Sie legt auch Spuren in andere Sportverbände, und vor allem legt sie eine neue Fährte nach Moskau, wo der Betrug offenbar staatlich abgeschirmt wurde: im Sportministerium von Witali Mutko.

Die Vorwürfe seien nichts als "Verleumdung", sagt ein Sprecher von Staatschef Putin

Mutko ist ein alter Petersburger Vertrauter von Staatschef Wladimir Putin. Er ist der oberste Sportpolitiker des Landes, seit Monaten beteuert er, wie gründlich sich der russische Sport gerade reformiert. Er vereint die Ämter des russischen Sportminister und des Fifa-Exekutivmitglieds auf sich, er organisiert auch die Fußball-WM 2018, das nächste Großprojekt, mit dem Russland seine neue Stärke demonstrieren will. Und dieser Mutko, das legen die E-Mails aus dem Film nahe, könnte in einem Fall eine Liste an Dopingfällen abgenickt haben, nicht nur im Fußball. Es ist der nächste Schlag gegen eine der sportpolitisch einflussreichsten Nationen, sie haben ja diverse Posten in internationalen Verbänden besetzt. Putin, bestens vernetzt mit Thomas Bach, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, mischt sich auch gerne persönlich ein. Putins Sprecher wies die Vorwürfe gegen Mutko am Mittwoch als "Verleumdung" zurück. Auch sonst arbeite man "pausenlos an langfristigen Anti-Doping-Reformen".

Filmaufnahmen aus den Hochburgen der russischen Leichtathletik legen freilich etwas anderes nahe. Da ist Wiktor Tschegin, der Mann, der die Erfolge der russischen Geher mehrte. Sie haben in Saransk ein eigenes Zentrum für ihn hochgezogen, benannt nach Tschegin, dem "Vater aller Geher-Siege". Seine Athleten, rund 20 seit 2010, betrogen dabei allerdings auch derart fleißig, dass ihr Trainer im vergangenen März lebenslang gesperrt wurde. Eine Aufnahme vom vergangenen April zeigt nun, wie ein Mann hinter abgedunkelten Scheiben eines Busses neben Athleten herfährt, manche kommen gerade aus Dopingsperren zurück, Olympiasiegerin Olga Kaniskina etwa. Dahinter ein Polizeiauto. Ein Experte für Gesichtserkennung identifiziert den Mann mit einer Wahrscheinlichkeit von "95 bis 99 Prozent" als Wiktor Tschegin. Auch Jurij Gordejew ist in Russland offenbar weiter tätig, ein Trainer also, der in einer früheren ARD-Dokumentation erzählt hatte, Athleten Dopingmittel beschaffen zu können. Die IAAF will am 17. Juni nun darüber richten, ob sie den russischen Verband für Rio zulässt. Kaum vorstellbar, angesichts der Last der Indizien. Die neuen Erkenntnisse werfen aber auch erneut die Frage auf, wie es um andere Länder und Verbände steht. Gregori Rodtschenkow, der ehemalige Leiter des Moskauer Labors, berichtet nun, wie das russische Sportministerium Kontrollpläne von Biathleten und anderen Wintersportlern manipuliert haben soll. Rodtschenkow hatte zuletzt erst geschildert, wie Staat und russischer Geheimdienst bei den Winterspielen 2014 in Sotschi nachts Dopingproben russischer Medaillengewinner manipuliert haben sollen. Er nahm damit eine Spur Nikita Kamajews auf, dem ehemaligen Geschäftsführer der russischen Anti-Doping-Behörde. Der wollte in seinen Memoiren noch mehr vom orchestrierten Betrug zeigen: in Sotschi, in der Sowjetunion, auch in Geheimlabors, die Sportler mit Dopingmittel versorgten - weltweit, nicht nur in Russland. Im Februar starb Kamajew. Herzprobleme. Dem Weltsport stehen in jedem Fall brisante Wochen bevor. Die FAZ berichtete am Mittwochabend, dass Wada und IOC bereits vor den Spielen 2014 Hinweise ignorierten, wonach in Sotschis Laboren manipuliert werden könnte. Demnach hätten sich auch die obersten Hüter des Weltsports der Vertuschung schuldig gemacht.

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