Doping-Verdacht:Tyler Hamilton und der verschwundene Zwilling

Der US-Radprofi soll sich mit fremden Blut gedopt haben - doch der Olympiasieger begegnet den Vorwürfen mit einer überraschenden Theorie: Das Blut sei zwar nicht seines, aber eine Transfusion habe er auch nicht bekommen. Vielmehr stamme der fremde Körpersaft von einem verstorbenen Geschwister.

Der unter Dopingverdacht stehende Olympiasieger Tyler Hamilton hat eine überraschende Erklärung für die Umstände abgegeben, die zu den Manipulationsvorwürfen geführt haben.

Hamilton

Tyler Hamilton - gesperrt für zwei Jahre. Zu unrecht?

(Foto: Foto: ddp)

Bei einer Kontrolle war festgestellt worden, dass in seinen Adern kleine Mengen von fremden Blut fließen. Mit Hilfe von "Blutzusätzen" versuchen manche Sportler, die Zahl der roten Blutkörperchen zu erhöhen, die Sauerstoff transportieren. Das kann die Leistungsfähigkeit verbessern.

Das Blut stamme jedoch nicht von einer fremden Person, sondern von einem so genannten "vanishing twin", einem verschwundenen Zwilling, erklärte der Amerikaner nach Angaben der New York Times.

Hamilton habe, so führte ein Wissenschaftlicher für den Radprofi ins Feld, einen Zwilling gehabt, der in einem frühen Stadium vor der Geburt gestorben und dessen Blutzellen vom embryonalen Hamilton resorbiert worden sei. Diese Zellen produzieren Blut im Körper des Sportlers, das zu dem verschwundenen Zwilling passt, nicht jedoch zu Hamilton.

Eine alternative Erklärung wäre auch, dass es sich um Blut der Mutter handelt, das sich mit dem Blut des Sportlers vor der Geburt vermischt habe.

Menschliche Chimären

Es ist tatsächlich möglich, dass ein Mensch zwei Typen von Blut besitzt - auch ohne Doping. Es handelt sich um so genannte Chimären.

Diese entstehen zum Beispiel, wenn Zwillinge in einem frühen Stadium miteinander zu einem Fetus verschmelzen - es handelt sich dann um echte Chimären, bei denen ganze Körperareale unterschiedliche Erbsubstanzen besitzen können. Dies äußert sich zum Beispiel in verschieden pigmentierten Hautregionen.

Eine andere Form der Chimäre sind die Blutchimären. Diese bilden sich, wenn zum Beispiel Knochenmarkszellen eines absterbenden Zwillings vom Geschwister übernommen werden, die weiterhin Blutzellen produzieren. Oder aber der Fetus nimmt Blutzellen der Mutter auf.

Offenbar sind viel mehr Menschen solche Mischwesen als bislang angenommen. Wie Ann Reed von der Mayo Clinic in Rochester, USA, der Zeitung erklärt, gehören möglicherweise 50 bis 70 Prozent aller gesunden Menschen dazu!

Dass dies bislang nicht bekannt war, liegt vor allem daran, dass man die fremde Erbsubstanz nicht gesucht habe und die kleinen Zellgruppen, die von der Mutter oder einem Geschwister stammen, meist nicht auffallen. Doch mit den zunehmend besseren technischen Möglichkeiten werden die Forscher immer häufiger fündig.

Sollte sich im Hamilton-Fall erweisen, dass der Sportler tatsächlich unschuldig ist, wäre dies ein schwerer Rückschlag für die Doping-Fahnder. Dann wäre eines ihrer wertvollsten Instrumente stumpf: ein Test, der ähnliche Blut-Typen, die für eine Transfusion geeignet sind, unterscheiden kann.

Doch Tyler Hamilton hat ein Problem. Wie Ross Brown vom Royal Prince Alfred Hospital, Australien, der für die Anti-Doping-Behörde Stellung bezog, erklärte, wurde der Radfahrer wenige Monate nach dem positiven Test erneut geprüft - mit negativem Ergebnis. Dies, so Brown, ist zu erwarten, wenn eine Blutzufuhr von außen beendet wurde.

Darüber hinaus wurde ein Team-Mitglied Hamiltons, Santiago Perez, ebenfalls des Dopings überführt. Es sei nicht überzeugend, dass zwei Personen, die zu dieser seltenen Form von Chimären gehören, im selben Renn-Team sind, so Brown.

Taugt der Test?

David Housman vom Massachusetts Institute of Technology, der von den Vorwürfen gegen Hamilton aus der Presse erfahren und die Möglichkeit der Chimäre ins Spiel gebracht hatte, bleibt jedoch dabei: Die Blut-Tests reichen nicht, um die Schuld von Sportlern zu beweisen.

Und Forscher wie Gerald Sandler vom Georgetown University Hospital stimmen zu: Die Ergebnisse, zitiert die Times Sandler, unterscheiden sich von Labor zu Labor. Für die Suche nach dopenden Athleten tauge der Test nicht.

Doch die Schiedskommission, die über Hamilton urteilt, glaubt mehrheitlich nicht an die Chimären-Erklärung. Es gebe nur eine "vernachlässigbare Wahrscheinlichkeit" dafür, dass Hamilton nicht schuldig sei.

Mit einer 2:1-Mehrheit hatte das Gremium entschieden, dass das fremde Blut in Hamiltons Adern auf eine Transfusion zurückgeht. Der 34-jährige Radprofi, der in Athen eine Goldmedaille gewonnen hatte, ist deshalb für zwei Jahre gesperrt worden - ein Urteil, das vermutlich das Ende seiner Karriere bedeutet, berichtet die Times.

Hamilton hat Berufung angekündigt. Sollte er tatsächlich beweisen können, dass der Test kein Beweis für einen Dopingversuch liefern kann, könnten sich auch andere Sportler bei einem Blut-Dopingverdacht mit dem "Vanishing Twin"-Syndrom verteidigen.

Die Anti-Doping-Behörde ist jedoch zuversichtlich, dass es dazu nicht kommen wird. Wie Travis Tygart, Anwalt des Büros, der New York Times erklärte, wiesen die wissenschaftlichen Belege auf eine Schuld des Radsportlers: "Wir stellen nicht blindlings Doping-Behauptungen auf."

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