Doping-Verdacht:Astana brüskiert die Tour

-

Lars Boom ist mit auffällig niedrigem Cortisol-Wert bei der Tour unterwegs - sein Astana Team führt das auf ein Asthmaspray zurück.

(Foto: Lionel Bonaventure/dpa)
  • Die Astana-Mannschaft startete trotz seiner auffälligen Cortisol-Werte mit dem Niederländer Lars Boom in die erste Etappe der Tour de France.
  • Der kasachische Rennstall untergräbt mit dem Vorgehen eine Absprache, die für einen sauberen Radsport sorgen soll.
  • Für den Teamchef Alexander Winokurow haben diese Regeln "keinen juristischen Wert".

Von Johannes Aumüller, Utrecht

Der Mann, der für die erste große Aufregung dieser Tour de France maßgeblich verantwortlich war, fuhr noch zweimal hin und her, dann hielt er an, nahm den Helm ab und wischte sich eine Strähne aus dem Gesicht. Und dann stand er schon wieder freundlich lächelnd kurz hinter der Ziellinie und gab ein paar der üblichen Freundlichkeiten über die tolle Stimmung am Straßenrand von sich. Lars Boom kommt aus den Niederlanden, deswegen hatte er sich sehr auf diesen Auftakt der Frankreich-Rundfahrt in Utrecht gefreut. Aber dass Lars Boom daran teilnahm, war ein Affront seiner ohnehin schlecht beleumundeten Astana-Mannschaft. Und es war ein Rückschlag für diejenigen, die dem Radsport eine neue Kultur im Anti-Doping-Kampf attestieren wollen.

Unruhige Nacht für Niederländer Boom

Am Freitagabend hatte sich herausgestellt, dass eine Blutprobe bei Boom kurz vor der Tour ein niedriges Cortisol-Level ergeben hatte. Es folgte eine Nacht, "in der ich nicht viel geschlafen habe", wie Boom kundtat, weil ihm der Ausschluss von der Rundfahrt drohte. Und dann ging er am Samstagnachmittag um 16.55 Uhr dennoch zum Zeitfahren an den Start.

Ein niedriges Cortisol-Level kann ein Hinweis auf Doping sein, muss es aber nicht. Boom und seine Mannschaft stritten jegliches Fehlverhalten ab. Es gibt auch keine Regel des Rad-Weltverbandes (UCI) oder der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada), nach der ein solcher auffälliger Wert als Verstoß gegen die Doping-Regeln zu werten ist. "Von unserer Seite aus spricht nichts gegen eine Teilnahme", sagte UCI-Präsident Brian Cookson.

Allerdings gibt es in der Radsportwelt neben UCI und Wada noch die Richtlinien der "Bewegung für einen glaubwürdigen Radsport" (MPCC) - und demnach muss ein Team einen Fahrer mit niedrigen Cortisol-Werten für acht Tage aus dem Rennen nehmen. Denn neben Doping können gesundheitliche Probleme ein Grund für einen niedrigen Wert sein - und auf beides müssten die Teams ja reagieren.

Eine umstrittene Bewegung

Es wird im Radsport schon lange moniert, dass die Vereinigung nur als Etikett für eine angebliche neue Sauberkeit diene - im Zweifel verfügt die MPCC über keinerlei Handhabe. Aber immerhin hatte die Cortisol-Regel in der Vergangenheit schon das eine oder andere Mal Konsequenzen, im wohl prominentesten Fall, als Christopher Horner (Lampre) 2014 deswegen auf seine Titelverteidigung bei der Spanien-Rundfahrt verzichten musste.

Und als Astana zuletzt wegen diverser Dopingfälle sowie seines einschlägig vorbelasteten Führungspersonals unter Druck geriet und im Frühjahr sogar der Lizenzentzug drohte, da brüstete sich das Team stets damit, MPCC-Mitglied zu sein und die Regeln der Gruppe genau zu befolgen. Doch als es nun hart auf hart kam, ignorierte Astana die Vorgaben einfach: "Diese Regeln haben keinen juristischen Wert", sagte Teamchef Alexander Winokurow kühl. Die Teamdoktoren hätten gesagt, dass Boom gesund sei, also könne er auch starten.

Erfolg steht über dem neuen Image

Die Kasachen brauchen halt neun Fahrer, wenn sie ihrem Leader Vincenzo Nibali beim Kampf ums Gelbe Trikot unterstützen wollen, und sie brauchen speziell Lars Boom, weil dieser für die Kopfsteinpflaster-Etappe am Dienstag sowie beim Teamzeitfahren nächstes Wochenende eminent wichtig sein dürfte. Was sind im Vergleich dazu schon ein paar Regeln, mit denen sich eine neue Kultur im Anti-Doping-Kampf dokumentieren ließe?

So ist jedenfalls nicht nur Astana, sondern auch die MPCC schwer geschädigt. "Astana muss erklären, warum es nicht die vereinbarten Konsequenzen gezogen hat", sagt Iwan Spekenbrink, der Teamchef der mit deutscher Lizenz startenden Giant- Alpecin-Mannschaft und Vize-Präsident der Vereinigung. Eine andere Konsequenz als den Ausschluss von Astana kann sich die Vereinigung kaum leisten, wenn sie halbwegs glaubhaft sein will. Astana wäre dann allerdings schon das vierte Team, das innerhalb kürzester Zeit die Bewegung für einen glaubwürdigen Radsport verlässt - nicht gerade ein gutes Signal.

Doping oder erlaubte Medikation?

Doch der Vorgang löst auch unabhängig von der MPCC-Regel Diskussionen aus. Winokurow und Boom sprachen davon, dass die Werte auf ein kortisonhaltiges Asthma-Spray zurückzuführen seien. Im Team-Statement hieß es, der Wert sei die Folge einer langjährigen und bekannten Asthma-Therapie. Eine Ausnahmegenehmigung (TUE) habe Boom nicht, sagte das Team auf Nachfrage, weil er keine brauche.

Bei Kortison unterscheiden die Anti- Doping-Regeln zwischen den Arten der Einnahme. Spritzen, Tabletten oder Zäpfchen sind vor Wettkämpfen verboten, Inhalieren ist erlaubt. Bis 2010 brauchten Fahrer gemäß Wada-Statuten eine Erlaubnis, wenn sie ein kortisonhaltiges Spray nutzen wollten, nun nicht mehr. Aber die Methode steht auf der sogenannten "Monitoring List" - das heißt die Wada prüft, ob sie wieder auf die Verbotsliste kommt. "Das zeigt, wie umstritten diese Methode ist", sagt der Nürnberger Pharmakologe Fritz Sörgel.

Den Anti-Doping-Experten Sörgel verblüfft in diesem Zusammenhang aber noch etwas anderes. Zwar zeigen Studien tatsächlich, dass beim Gebrauch von kortisonhaltigen Asthmasprays der Cortisolspiegel sinkt. Andererseits kam es bei den 1300 Proben der MPCC bisher in lediglich neun Fällen zu so niedrigen Werten, dass es laut den internen Absprachen eine "Schutzsperre" für den betroffenen Fahrer gab. Es nehmen aber bekanntermaßen sehr viele Fahrer Asthmamittel ein - "und die hatten offensichtlich alle Normwerte", wundert sich Sörgel.

Es gibt mal wieder mehr Fragen als Antworten bei der Tour de France.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: