Doping:Sport ist ein Illusionstheater

Sotschi 2014 - Biathlon

Um die Spiele in Sotschi ranken sich derzeit haufenweise Betrugsszenarien.

(Foto: dpa)

Es gibt nur zwei Kräfte, die Dopern und anderen Betrügern beikommen können: erstens staatliche Ermittler, zweitens das Publikum. Wehe, es wendet sich ab.

Kommentar von René Hofmann

Von den Olympischen Winterspielen in Sotschi gibt es ein wunderbares Bild. Es stammt von der Eröffnungsfeier. In dem großen Olympiastadion sollten sich fünf riesige Schneeflocken in die fünf Olympischen Ringe verwandeln. Der Trick glückte nur zu 80 Prozent. Der fünfte Ring streikte, er blieb lieber eine Flocke.

Die Szene taugte zum Symbol: wie unvollkommen des Menschen Werk bei allem Streben nach Perfektion doch bleibt. Bis zum russischen Publikum schaffte es diese Botschaft allerdings nicht. Im staatlichen Fernsehen wurde die Szene blitzschnell durch Bilder aus einer Probe ersetzt. Fünf makellose Kreise leuchteten.

Der Sport ist ein Illusionstheater. Das war auch schon vor Sotschi bekannt. Inzwischen aber wird der Welt bewusst, wie gewaltig sie bei dem Sportfest vor zwei Jahren wirklich genarrt wurde. Um dem Planeten seine Macht und seine Größe zu beweisen, ließ Präsident Wladimir Putin offenbar nicht nur gigantische Sportstätten in die Landschaft betonieren und die Regie unliebsame Eindrücke einfach ausblenden. Wahrscheinlich rüsteten die Gastgeber ihre Mannschaft auch mit unerlaubten Mitteln derart auf, dass sie gar nicht anders konnte, als im Medaillenspiegel weit vorauszustürmen.

Der Leiter des Labors, in dem in Sotschi die Dopingproben getestet wurden, hat angegeben, dass nachts die Urindöschen belasteter russischer Athleten durch einen versteckten Schacht in der Laborwand gereicht wurden. Dahinter saßen vom Geheimdienst geschulte Helfer, die den verräterischen Saft gegen harmlosen tauschten. Auf einen solchen Plot wären selbst die verwegensten Verschwörungstheoretiker nicht gekommen: Ein Loch in der Kulisse für organisierten Betrug - jetzt, da dieses Bild in der Welt ist, hat der Sport wirklich ein Problem.

Bisher lebte die große bunte Unterhaltungsshow blendend davon, dass sie so viele Menschen begeisterte. Weltweit. Alt und Jung. Männer und Frauen. Die Geschichten, die der Sport schreibt, sind universell verständlich. Sieger, Verlierer, Drama, Emotionen: Das versteht jeder, das berührt jeden - solange er an das glaubt, was er zu sehen bekommt. Und bisher war es so, dass die meisten Menschen sich im guten Glauben auf den Tribünen und vor den Fernsehschirmen versammelten.

Die Bildwelten, die der Sport schuf, funktionierten nach dem gleichen Muster wie viele Ikonen der Fotografie. Die Menschen sahen in Robert Capas Bild vom fallenden republikanischen Soldaten im Spanischen Bürgerkrieg den Augenblick des Todes - weil sie ihn darin sehen wollten.

Ob Capa wirklich in dem Moment den Auslöser gedrückt hatte, in dem die Kugel einschlug, war gar nicht entscheidend. Robert Doisneaus Aufnahme eines sich küssenden Paares vor dem Pariser Rathaus gilt noch immer als Sinnbild der zufällig beobachteten Lebenslust in der französischen Hauptstadt, obwohl seit Langem bekannt ist, dass die Szene gestellt ist. Damit die Bilder ihre Wirkung entfalten können, sind die Erwartungen des Publikums entscheidend.

Es gibt nur zwei Mächte, die den Sport wirklich in seinen Grundfesten erschüttern können: staatliche Ermittlungen, die Korruption und Betrug offenlegen und die betroffenen Verbände in Krisen stürzen, die bis zur Handlungsunfähigkeit führen können. Die USA haben solche Ermittlungen angestoßen. Noch schneller aber kommt der Abschwung, wenn sich das Publikum abwendet. Ein Spiel, das keiner mehr sehen will, ist nichts mehr wert.

Wie steht es um Doping im Fußball?

Für den Fußball, das wohl beliebteste Spiel weltweit, sieht es da aktuell noch gut aus. Die Quoten sind noch gut, die Stadien noch voll. Offenbar sind die korrupten Funktionäre in der allgemeinen Wahrnehmung zu weit weg, die Möglichkeiten von Wettmanipulationen zu abstrakt und der Glaube an Doping-Betrügereien zu gering ausgeprägt, um der Masse den Spaß am Spiel zu verleiden. Oder die Faszination der Messis und Neymars ist schlicht überwältigend. Wenn der Ball rollt, haben die Zweifel Pause. Das gilt noch immer.

Bei den olympischen Sportarten aber sieht es längst anders aus. Sie verlieren den Anschluss. Immer mehr. Weil dort der Betrug unmittelbar auf dem Sportfeld stattfindet. In dieser Woche wurde bekannt, dass bei nachträglichen Tests der Dopingproben, die 2008 bei den Spielen in Peking genommen wurden, 31 Sportler auffielen. Die Ergebnisse der Proben von London 2012 soll es kommende Woche geben. Schon jetzt ist klar, dass auch dort massiv betrogen wurde.

Von den zwölf Frauen, die zum Finale über 1500 Meter Aufstellung nahmen, wurden inzwischen sechs mit verbotenen, leistungssteigernden Mitteln in Verbindung gebracht. Die Gewichtheber aus Bulgarien dürfen wegen ihrer vielen unrühmlichen Geschichten bei den Spielen in diesem Sommer nicht mitmachen. Das Gleiche droht den russischen Leichtathleten.

Die vielen falschen Geschichten, die vielen verlogenen Bilder zeigen inzwischen Wirkung. In Hamburg hat das Volk "Nein" gesagt, als es darum ging, ob die Stadt sich um die Sommerspiele 2024 bewerben solle. Die Münchner wollten die Winterspiele 2022 nicht haben - ebenso wenig die Graubündener und die Krakauer. In Oslo und in Stockholm stoppten die Regierenden die Bewerbungen aus Angst vor dem Zorn der Bürger. Die Faszination Olympia hat merklich gelitten.

Auch deshalb, weil der Ringe-Zirkus sich immer als eine ganz besondere Sportschau inszenierte. Nicht nur sauber, sondern rein sollte Olympia sein - und damit weit über den Sportplatz hinaus wirken. Während der Wettkämpfe sollten alle Waffen schweigen. Die Jugend der Welt sollte sich im fairen sportlichen Wettstreit messen. So hatte es Baron Pierre de Coubertin Ende des 19. Jahrhunderts erdacht. Das war von Anfang an naiv, verkaufte sich lange aber prächtig. Nun funktioniert das Geschäftsmodell nicht mehr so recht.

Der Weltsport ist an einer Klippe angelangt. Wie tief der Sturz ausfällt, wird sich bald zeigen. In ein paar Wochen beginnen in Rio de Janeiro die Spiele der XXXI. Olympiade. Die Stadien sind fertig, sie bieten Kulissen für tolle Bilder. Wie gut diese ankommen werden? Das ist die spannende Frage.

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