Doping:Abschreckende Post aus China trifft ein

  • Die Aufregung ist spürbar im Weltsport, nachdem SZ und ARD am Wochenende über das Schicksal der ehemaligen Sportärztin Xue Yinxian berichteten.
  • Yinxian hatte Vorwürfe über systemischen Betrug in Chinas Sport vertieft.
  • Die Welt-Anti-Doping-Agentur will dem Fall nun nachgehen. Das Internationale Olympische Komitee hält sich weiter heraus.

Von Thomas Kistner und Johannes Knuth

Die Rückmeldungen waren bis zum Montag noch überschaubar, sagt Xue Yinxian. Der Höhepunkt: Ein mäßig erwärmender Brief aus der Heimat, verfasst von einer Kollegin, die einst mit Xue in der Sportmedizin in Peking arbeitete. Die Kollegin schrieb, sie habe erfahren, dass Xue mit Sohn und Schwiegertochter in Deutschland Asyl beantragt und erneut vom endemischen Betrug in Chinas Sport erzählt habe. Dann folgte ein dringlicher Rat: Xue möge doch bitte nicht "den richtigen Pfad verlassen". Auch wenn sie in China durch den Schmutz gezogen wurde, "solle man das Vaterland und die Vorfahren ehren", mahnte die Bekannte. Das Vaterland ehren?

Die Aufregung ist spürbar im Weltsport, nachdem SZ und ARD am Wochenende über das Schicksal der ehemaligen Sportärztin Xue Yinxian berichteten. Die 79-Jährige hatte Vorwürfe vertieft, wonach in China - wie in anderen Großmächten - in den 80er- und 90er-Jahren unter staatlicher Regie gedopt wurde. Mitarbeiter sollen Dopingmittel erforscht, sie dann weitflächig in den Nationalkadern verabreicht haben, auch an Minderjährige. Manche, so Xue, waren erst neun Jahre alt. Das damalige Anti-Doping-Labor in Peking habe auch nicht der Aufdeckung gedient, sondern meist dazu, die Proben eigener Athleten zu durchleuchten - damit diese ruhigen Gewissens ihre Dienstreisen antreten konnten, zu internationalen Muskelmessen. Ausreisekontrolle hieß das in der DDR.

Es gibt durchaus Indizien, dass die Kultur des Betrugs überlebt haben könnte

Xue wurde nach Olympia 1988 aus Chinas Sport gedrängt, sie hatte sich stets geweigert, Athleten zu dopen. Als sie vor fünf Jahren erstmals auspackte, wurden die Repressalien schlimmer. Im vergangen Juli beantragte sie Asyl in Deutschland. Und redete über den Betrug. Sie habe zwar zum letzten Mal Anfang der 90er-Jahre Athleten betreut - Xue sagte der ARD aber auch, dass bis zu 10 000 Athleten von der systemischen Zucht in ihrer Heimat profitiert haben könnten. Die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) teilte am Montag mit, sie sei erst 1999 gegründet worden, werde aber ihre Untersuchungseinheit in die Spur setzen. Sportministerium und Behörden in China reagierten nicht auf SZ-Anfragen.

Ob sich der Sumpf von einst unter diesen Vorzeichen rekonstruieren oder gar austrocknen lässt, ist fraglich. Aber es gibt ja durchaus Indizien, dass die Kultur des Betrugs überlebt haben könnte. Der Weltverband der Gewichtheber sperrte vor drei Wochen neun Länder von Wettkämpfen aus, darunter China, weil immer wieder Athleten bei Dopingtests enttarnt wurden - darunter drei Olympiasieger der Peking-Spiele 2008. Die Wada begann zudem im März 2016, den chinesischen Schwimmsport zu untersuchen; zuvor waren Berichte von fünf vertuschten Dopingfällen an die Öffentlichkeit gesickert. Der dreimalige Olympiasieger Sun Yang wurde 2014 bei den nationalen Meisterschaften mit dem Stimulansmittel Trimetazidin erwischt. Chinas Schwimm-Verband sperrte ihn für drei Monate. Rückwirkend. Heraus kam das erst, als Sun längst wieder schwamm. Die Konkurrenz war erbost; der Franzose Camille Lacourt sagte bei den Spielen 2016 in Rio: "Der pinkelt lila!"

"Athleten können das ganze Jahr vollgestopft zu Wettbewerben antreten"

Und die Konkurrenz selbst? Die kann sich kaum von Zweifeln freisprechen, die Dopingnetze der Verbände sind nach wie vor löchrig. Oder wie der Mainzer Sportmediziner Perikles Simon am Wochenende bei einem Symposium des deutschen Triathlon-Verbands sagte: "Athleten können das ganze Jahr vollgestopft zu Wettbewerben antreten." Simon zog sich kürzlich aus dem Sport zurück, auch, sagte er, weil die Funktionäre die Mängel nicht beheben wollen. Aus Selbstschutz.

Xues Flucht nach Deutschland lenkt den Fokus auf ein weiteres Problem: die Menschenrechtslage in China. Vor den Peking-Spielen 2008 starb ihr Mann bei einer Rangelei mit Beamten, die Xue befohlen hatten, ihr Wissen für sich zu behalten (und jegliche Schuld am Tod des Mannes abstritten). Derartige Episoden stehen im scharfen Kontrast zu Beteuerungen des organisierten Sports. Der lobpreist ja stets, dass Großereignisse Länder wie China öffnen könnten. Tatsächlich, sagt Xues Sohn Yang Weidong der SZ, sei Olympia 2008 eine "große Katastrophe" gewesen: "Es wurden viele Häuser für den Bau von Olympiastätten abgerissen, diese Menschen haben keinen Cent als Entschädigung erhalten." Und jetzt? Die Winterspiele 2022 finden in Peking statt. IOC-Präsident Thomas Bach besuchte im Juli die nationalen Meisterschaften in Tianjin mit Staatschef Xi Jinping, der in China laut manchen Beobachtern gerade eine neue Diktatur hochzieht. Yang findet: "Wie kann jemand, der Chef einer Nicht-Regierungsorganisation ist, so eine despotische Regierung stützen?"

Bach wiegelte schon 1998 ab

Apropos Bach: Der erzählte deutschen Reportern bei den Winterspielen 1998, als chinesische Schwimmer zuvor am Flughafen von Perth/Australien mit Wachstumshormon erwischt wurden: "Es gibt kein systematisches Doping in China." Dafür nannte Bach "zwingende Gründe": China habe es zum Beispiel nicht nötig, sich über den Sport zu profilieren. Kurz vor Olympia 2000 nahm Chinas Sportführung kurzfristig zwei Trainer und 27 Sportler aus dem Olympiakader, wegen Dopings.

Das IOC teilte am Montag übrigens mit, es sei Aufgabe der Wada, die jüngsten Vorwürfe gegen China zu prüfen. Chinas Sorgen dürften sich aber in Grenzen halten. Das IOC hatte Russlands Sportler für die Rio-Spiele 2016 in Mannschaftsstärke zugelassen, trotz erdrückender Beweise. Der Verdacht, damals wie heute: staatlich abgeschirmter Betrug.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: