Doping:Leichtathletik-Olympiasiegerin lehnt Platz in der Ruhmeshalle ab

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1984 gewann Ulrike Meyfarth bei den Spielen in Los Angeles erneut Gold. Nur wenigen Sportlerinnen gelang es, bei Olympia nach einer derart langen Durststrecke noch mal ganz oben auf dem Treppchen zu stehen. (Foto: Laci Perenyi/imago)
  • Die Leichtathletik steckt tief im Dreck und viele deutsche Athleten sind entsetzt.
  • Die deutsche Olympiasiegerin Ulrike Nasse-Meyfarth weigert sich nun sogar, in die Hall of Fame aufgenommen zu werden.
  • Die Machenschaften der IAAF findet sie kriminell.

Von Michael Gernandt, München

Der Weltverband der Leichtathleten (IAAF) steckt tief im Dreck. Nun fegt weltweit ein Sturm der Entrüstung über die IAAF hinweg - nach der vorübergehenden Verhaftung des Ex-Präsidenten Lamine Diack und der Veröffentlichung des Untersuchungsberichts der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) über staatlich gelenktes Doping in Russland. Viele Reaktionen zeichnen sich durch geheucheltes Entsetzen aus, meist von Sportfunktionären und Politikern vorgetragen. Nur mit wenigen Rückmeldungen wird der Nagel auf den Kopf getroffen. Vorwiegend sind das Sportler, was nicht überraschen sollte. Sehr deutlich knöpfen sich ehemalige britische Athleten die IAAF und ihren neuen Präsidenten, Landsmann Sebastian, den Ahnungslosen, Coe vor: Darunter gewohnt kritische Sportler wie Zehnkampf-Olympiasieger Daley Thompson, Weltklasse-Siebenkämpferin Kelly Sotherton und Marathon-Weltrekordlerin Paula Radcliffe.

Auch deutsche Leichtathleten haben sich in die Diskussion eingeschaltet. 800-m-Meister Robin Schembera (Bayer Leverkusen) sagte: "Jetzt dürfen wir alle wieder gespannt sein, wie die Verbände reagieren, ich sage voraus: Es geschieht - Achtung, Trommelwirbel: Nichts!" Am Mittwoch begrüßte die Athletenkommission des Dachverbands DOSB die Wada-Empfehlung, Russlands Leichtathleten auszuschließen. Und zuvor hatte eine andere Bayer-Athletin, die zweimalige Olympiasiegerin im Hochsprung, Ulrike Nasse-Meyfarth, 59, den Weltverband vor vollendete Tatsachen gestellt. Sie verzichtete auf die ihr angetragene Aufnahme in die Hall of Fame (HoF) der IAAF, in der bereits zwei Deutsche Mitglied sind, Weitsprung-Olympiasiegerin Heike Drechsler und 400-m-Weltrekordlerin Marita Koch.

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Nasse-Meyfarth begründete den Verzicht mit den kriminellen Machenschaften des früheren IAAF-Chefs Diack und in der russischen Leichtathletik. "Da kann man doch nicht mitgehen (in die Hall), das ist unterste Schublade", sagte sie der SZ. Vor Wochen hatte die IAAF der 1972 und 1984 mit Olympiagold dekorierten Deutschen die Aufnahme in die HoF mitgeteilt; bei der gewöhnlich pompösen Gala sollte die Ehrung stattfinden. Als sich aber das Gewitter über dem Weltverband zusammenbraute, sagte Sebastian Coe die Veranstaltung Ende November ab: "Angesichts der Wolke, die über unserem Verband hängt, ist dies sicher keine Zeit zum Feiern."

Nasse-Meyfarth und ihr Mann, ein Rechtsanwalt, "hätten die Entscheidung auf jeden Fall getroffen, die IAAF kam uns mit ihrer Absage nur zuvor". Obwohl sie die HoF unter anderen Umständen gern betreten hätte, war sie "froh, dass abgesagt wurde". Es ist nicht das erste Mal, dass die Leichtathletin, deren zweiter Olympiasieg 1984 nach privat schwierigen Jahren zu den denkwürdigsten Leistungen des deutschen Sports zählt, allein ihrem Gewissen gehorchte.

Wie die HoF des deutschen Sports, in der Nasse-Meyfarth 2011 Aufnahme fand, ist die "Ruhmeshalle" der Welt-Leichtathletik von virtueller Statik und 2012, im Jahr des 100. Geburtstag der IAAF, vom damaligen Präsidenten Diack eröffnet worden. 24 internationale Athleten, darunter Legenden wie Paavo Nurmi, Jesse Owens, Emil Zatopek, Kip Keino, Fanny Blankers-Koen und Wilma Rudolph, holte sich Diack ins Haus; zudem aber auch Sportler, die den Verdacht, ihre Siege und Rekorde mit verbotenen Mitteln unterlegt zu haben, nie überzeugend widerlegen konnten. Im Fokus stehen vor allem der Amerikaner Carl Lewis, die Deutsche Marita Koch und die Chinesin Wang Junxia. So wie man sich über politisch Belastete in der deutschen HoF echauffierte, nahmen nicht wenige in der Szene Anstoß an der Melange der IAAF-Liste. Am geringsten irritiert deshalb: Lamine Diack, der prominenteste Vertuscher des Dopingproblems.

Auch Ulrike Nasse-Meyfarth kennt natürlich das Geraune über diese verdächtigen, aber nie überführten Sportler, an deren Seite sie die IAAF nun platzieren wollte. Das sei aber nicht mit ausschlaggebend für ihren Verzicht gewesen: "Ich kann doch nicht vorverurteilen."

© SZ vom 12.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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