Doping in Deutschland:Die Heuchelei geht weiter

Erik Zabel

Sünder oder Sündenbock? Erik Zabel (Foto von 2007).

(Foto: dpa)

Was ist Erik Zabel nun, Sünder oder Sündenbock? Viele haben am Radsport-Hype gut verdient und lieber nicht so genau hingeschaut, wenn es um Doping ging. Voraussetzung für einen Neubeginn bleibt die Aufklärung der Vergangenheit.

Ein Gastbeitrag von Sylvia Schenk

Der Veranstalter der Regiotour, die bis 2012 jeweils kurz nach der Tour de France in Südbaden stattfand, war wenigstens ehrlich. Er freute sich noch Jahre später über den Medienauftrieb, den die Teilnahme des dringend dopingverdächtigen, später dopinggeständigen Richard Virenque dem Rennen im Anschluss an die Skandaltour 1998 beschert hatte. Die Sponsoren waren zufrieden, so nutzte Doping dem Geschäft.

Auch Erik Zabel wurde unmittelbar nach seinem Mini-Epo-Geständnis 2007 bei der Bayern-Rundfahrt enthusiastisch gefeiert: The Show must go on. Nach der zweiten Geständnisetappe verliert Zabel nun einen Posten nach dem anderen. Gibt es im Radsport jetzt endlich null Toleranz beim Thema Doping? Oder sind das nur Schutzmaßnahmen, damit diejenigen unbehelligt bleiben, die das System, in dem Zabel zum Doper wurde, über Jahre zugelassen, für sich genutzt oder gar aktiv gestaltet haben? Ist Zabel der Sünder in einer (inzwischen) heilen Radsportwelt - oder wird er zum Sündenbock gemacht, um genau diese Welt nicht zu genau unter die Lupe nehmen zu müssen?

Noch im Februar 2012 wurde die Vorstellung eines Radsportteams für "eine neue Epoche" im deutschen Radsport damit beworben, man habe "das Ziel, einen neuen Rudi Altig, Dietrich Thurau, Erik Zabel oder Jan Ullrich aufzubauen". Da wusste man doch längst, dass keiner von ihnen zum Vorbild taugt.

Wie soll ein Jan Ullrich, am Tag vor dem Start der Tour de France 2006 wegen der Verwicklung in den Fuentes-Skandal heimgeschickt, nicht zum Zyniker werden: Teamkollegen fuhren Stunden später nach Freiburg zum Blutdoping, T-Mobile rief eine neue, saubere Zeit mit Rolf Aldag an der Spitze aus - dessen Geständnis kam ja erst im Frühjahr 2007. Längst ist er wieder im Geschäft, genau wie die Freiburger Ärzte weiter ihren Beruf ausüben. Angesichts solcher Heuchelei darf sich niemand über die fatale Realitätssicht von Athleten im Spannungsfeld zwischen Lüge und Verrat wundern.

Was heißt überhaupt Lüge in einem Sport mit jahrzehntelanger Dopingtradition, bei dem zudem die Grenze zwischen Mannschaftsdisziplin und manipulierender Rennabsprache fließend ist? Wer deckt ein System auf, wenn er doch mit seiner ganzen Identität, beziehungsweise beruflichen Existenz davon abhängt und das System so übermächtig ist? Ungeschriebene Regeln im Profiradsport in Kombination mit falsch verstandener Ehre machen das Offenlegen von Doping zum Verrat, der zum Ausschluss aus der Gruppe führt. Erik Zabel erlebt gerade genau das.

Teil des Systems waren nicht nur die Fahrer, es ging viel weiter, etwa bei Telekom. Sonderjets zu Etappen der Tour de France, tolle Hotels, VIP-Service für Geschäftspartner, Sponsoren, Politiker, Funktionäre (einschließlich der Autorin als ehrenamtlicher BDR-Präsidentin), Rennveranstalter. Es gab Gastgeschenke und manche sollen Ausrüstung bis hin zum Rennrad abgestaubt haben. Auch bei einem Teil der Medien fehlte jede Distanz, sie sponserten den Hype, verdienten daran und schauten im Übrigen lieber nicht so genau hin.

Sportrechtliche Sperren genügen nicht

Und nun ist es also Erik Zabel, der alle belogen hat: all jene, die über Jahre die Unschuldsvermutung als Schutzschild hochhielten, die Zeichen nicht erkennen wollten, nie nachfassten, wenn ein Verdacht auftauchte, die den Sport angeblich schützen wollten, indem sie noch von einzelnen schwarzen Schafen redeten, als längst die weißen zur Ausnahme geworden waren. Die Heuchelei geht ungebrochen weiter.

Da lässt sich die aktuelle Aufregung über die Studie "Doping in Deutschland" der Humboldt-Universität Berlin nahtlos einordnen. Wer wusste was im westdeutschen Nachkriegssport, duldete zumindest und erweckte damit den Eindruck, zwar gegen Doping zu reden, aber nicht in letzter Konsequenz dagegen vorzugehen?

Wenn sich wirklich etwas ändern soll, dann muss das tief verwurzelte System geknackt, müssen Strukturen und Sportkultur grundlegend geändert werden. Allein die Einführung des Blutpasses, wie manche meinen, bewirkt das nicht. Bislang ist es noch immer gelungen, auch verfeinerte Anti-Doping-Maßnahmen zu unterlaufen, neue Mittel und Methoden zum Täuschen zu finden. Warum sollte dies plötzlich anders sein? War die Generation Ullrich/Zabel/Armstrong durchgängig kriminell veranlagt, und sind die jetzigen Fahrer einfach bessere Menschen? Das widerspricht allen Erkenntnissen zu den Voraussetzungen von Regeltreue, Ethik und Moral.

Ebenso wenig genügt es, die sportrechtlichen Sperren zu verlängern und/oder nach der Staatsanwaltschaft zu rufen. Das mag zwar die Abschreckung erhöhen, aber die Erfahrung in anderen Bereichen zeigt, dass das nur begrenzt wirkt. Wer Regeln durchsetzen will, muss die Faktoren, die Verstöße wahrscheinlich machen, genau kennen und ein adäquates Risikomanagement betreiben. Für den Straßenradsport heißt das, endlich anzuerkennen, dass das Doping-Risiko wegen der Anforderungen insbesondere bei Etappenrennen über drei Wochen extrem hoch ist und sich mit dem vieler anderer Sportarten kaum vergleichen lässt. Hinzu kommt die intensive Doping-Vergangenheit, die auch etliche der Verantwortlichen betrifft und die Einschätzung "ohne geht nicht" mit jedem neu aufgedeckten Fall weiter befördert, was den Athleten zur Rechtfertigung dienen kann.

Beim Blick auf die Risiken darf das Umfeld nicht außer Acht bleiben. Warum werden nur die Aktiven kontrolliert, nicht aber Trainer, Betreuer, Ärzte? Utensilien und Substanzen zum Doping werden in Teambussen und Hotelzimmern versteckt. Stichprobenhafte Durchsuchungen könnten die Doping-Logistik empfindlich stören, die damit verbundenen Eingriffe in persönliche Rechte des Personals wären im Vergleich zu Sichtkontrollen bei der Urinabgabe und dem datenschutzwidrigen Meldesystem, mit dem Topathleten ihre Anwesenheit dokumentieren müssen, zumutbar. Mit einem solchen Signal, dass die Risiken ernst genommen werden, müssten eigentlich alle einverstanden sein.

Voraussetzung für einen Neubeginn bleibt jedoch die Aufklärung der Vergangenheit. Nur wenn noch bestehende Netzwerke zerschlagen, Erpressungspotenziale ausgeschlossen sind und die Wege zum und beim Doping analysiert wurden, können wirksame Prävention und Kontrollen entwickelt werden. Die Führung muss mit gutem Beispiel vorangehen, Transparenz und Integrität vorleben. Da ist es kontraproduktiv, dass der Internationale Radsport-Verband UCI jetzt rückwirkende Satzungsänderungen erwägt, um dem umstrittenen Präsidenten Pat McQuaid die Wiederwahl zu sichern. Wenn sich am Verhalten der Spitze nichts ändert, fehlt die Glaubwürdigkeit im Anti-Doping-Kampf.

Die Juristin Sylvia Schenk, 61, war erfolgreiche Leichtathletin und von 2001 bis 2004 Präsidentin des Bundes Deutscher Radfahrer. Im Streit um mehr Transparenz im Verband trat sie vom Amt zurück.

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