Doping in der Leichtathletik:"Alle Athleten nehmen Vitamine"

Jamaica's sprinter Usain Bolt speaks to journalists during a news conference one day before a Diamond League athletics meet in London

Usain Bolt auf der Pressekonferenz in London.

(Foto: Reuters)

Nach den jüngsten Fällen debattieren Leichtathletik-Experten lebhaft das Doping-Problem. Die Empfehlungen reichen von drastischeren Strafen bis zum Rückzug aus dem Anti-Doping-Kampf. Nur Supersprinter Usain Bolt scheint das Thema zunehmend zu langweilen.

Von Thomas Hahn

Die Pflicht hat gerufen, Usain Bolt hat es gehört, und jetzt verrichtet er sie mit der professionellen Gleichgültigkeit, ohne die sein jamaikanisches Weltrekordler-Leben wahrscheinlich gar nicht richtig funktionieren würde. Es ist nie so ganz klar, was der Akkord-Olympiasieger von Pressekonferenzen hält. Ob er es mag, wenn ihm die Reporter zu Füßen sitzen und mit Fragen behelligen.

Oder ob er es hasst, von diesen Leuten gelöchert zu werden, d ie über ihn nie alles wissen werden. Es hat bestimmt schon Pressekonferenzen gegeben, an denen er seinen Spaß hatte, weil er gerade gewonnen hatte und sein Humor selbst die strengsten Betrachter zum Lachen brachte.

Aber an dieser Pressekonferenz in einem Londoner Hotel nahe der Tower Bridge hat er bestimmt nicht viel Freude. Er findet ihr Thema nicht so toll. Es geht nämlich weniger um seinen 100-Meter-Start an diesem Freitag beim Diamond-League-Meeting im Olympiastadion. Als vielmehr um Doping.

Es ist gerade nicht die beste Zeit, um ein Sprinter zu sein. Die Schatten der jüngsten Dopingfälle liegen auf der Tempo-Sparte, der Generalverdacht lebt. Die Olympiasiegerin Veronica Campbell-Brown aus Jamaika ist wegen eines Diuretika-Befundes suspendiert. Der frühere 100-Meter-Weltrekordler Asafa Powell und die Staffel-Olympiasiegerin Sherone Simpson pausieren, weil ihre Urinproben von den Jamaika-Trials Spuren des Stimulanzmittels Oxilofrin aufwiesen.

Der amerikanische Bolt-Rivale Tyson Gay, mit der besten 100-Meter-Zeit in der Weltjahresbestenliste notiert, hat zuletzt einen Dopingbefund einräumen müssen. So prominent und zahlreich waren die jüngsten Affären, dass selbst der Positiv-Denker Bolt zugeben muss: "Das wirft uns definitiv ein bisschen zurück."

Die Betroffenen pflegen eine sehr unterschiedliche Informationspolitik. Veronica Campbell-Brown sagt praktisch gar nichts, von Tyson Gay ist seit seiner wolkigen Selbstanzeige auch nichts zu hören gewesen. Asafa Powell und Sherone Simpson haben zuletzt in Kingston sogar eine Pressekonferenz gegeben; beide plädieren auf fahrlässiges Dopen mit verseuchten Nahrungsergänzungsmitteln und sind wild entschlossen, ihre Karrieren fortzusetzen. Powell: "Ans Aufhören habe ich nie gedacht."

Dazu läuft seit Wochen eine Debatte zum Anti-Doping-Kampf, an der sich viele frühere Weltklasse-Sprinter mit wechselndem Niveau beteiligen. US-Olympiasieger Michael Johnson, Bolts Vorgänger als 200-Meter-Weltrekordler und seit 1999 Inhaber des 400-Meter-Weltrekords (43,18), hat erst am Donnerstag als Kolumnist des Guardian härtere Strafen für Doper gefordert: Vier- statt Zweijahressperren. Donovan Bailey, Kanadas 100-Meter-Olympiasieger von 1996, wärmte die Idee der lebenslangen Sperre auf - im Streit mit Ato Boldon.

Boldon, 1997 200-Meter-Weltmeister für Trinidad&Tobago, will die Freigabe von Stimulanzmitteln, die oft illegalerweise in Nahrungsergänzungsmitteln enthalten sind. Und Doug Logan, Leichtathletik-Blogger und früherer Geschäftsführer des US-Verbandes USATF, empfahl dem Sport, gleich ganz die Finger vom Anti-Doping-Kampf zu lassen. Der sei ohnehin nicht zu gewinnen: "Ich komme zu dem Schluss, dass wir diesen Kampf aufgeben sollten und unsere Truppen heimholen. Überlasst das Drogenreglement den Regierungen und ihren Gesetzeshütern."

Bolt fällt wenig ein

Usain Bolt hat sich an dieser Debatte nicht beteiligt. Und er hat es auch am Donnerstag in London nicht getan. Zum Thema Doping fällt ihm seit Jahren nichts ein, außer natürlich, dass er dagegen ist und es selbst nicht macht. Sein 100-Meter-Weltrekord (9,58) liegt weit über den Errungenschaften früherer, überführter Sprinter.

Aber er sagt: "Wenn Sie meinen Werdegang verfolgen, wissen Sie, dass ich phänomenale Dinge getan habe, seit ich 15 war." Die vielen Fälle? Dazu könne er bei der aktuellen Faktenlage noch nichts sagen.

Usain Bolt hat auf der Pressekonferenz, die er nur bedingt lustig fand, auch mehrmals darauf hingewiesen, dass er sich ganz auf sich konzentriere - das wiederum passte gut zur Vorgehensweise von James Dasaolu, der neben Bolt auf dem Podium saß. James Dasaolu ist Großbritanniens neue Sprinthoffnung, 25 schon, aber in diesem Jahr erst aus der Versenkung zu einer 100-Meter-Bestzeit von 9,91.

Ausgerechnet in diesem Jahr. Mancher britische Betrachter dachte prompt darüber nach, dass man nach den jüngsten Fällen auch bei Dasaolu über Doping nachdenken könne. Aber Dasaolu ist auf niemanden sauer, für ihn ist das Geheimnis seines Erfolges, dass sein neuer Coach Steve Fudge ihm mit einem "maßgeschneiderten" Trainingsprogramm die Verletzungsprobleme ausgetrieben hat. Er konzentriert sich auf sich.

Die Zweifel scheinen bei Dasaolu ins eine Ohr rein und aus dem anderen wieder raus zu gehen. Genauso wie bei Bolt. Doping ist für Bolt eine Sache zum Kleinspielen. Er nimmt zwar auch Nahrungsergänzungsmittel ("Alle Athleten nehmen Vitamine"), aber die Gefahr, sich über falsche Produkte einen positiven Test einzufangen, sieht er nicht. Sein Team stelle sicher, dass kein Unfall passiere.

Und die Negativ-Schlagzeilen blendet er aus, erst recht so kurz vor der WM. "Ich versuche, hart zu arbeiten, schnell zu laufen - und hoffentlich vergessen, die Leute dann, was passiert ist", sagt er. Die Leichtathletik kämpft mit der Krise, aber für Usain Bolt scheint alles ganz einfach zu sein.

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