Doping in der DDR:"Eine reine Demagogen-Schrift"

Die Ausführungen des einstigen Spitzenfunktionärs Thomas Köhler zum DDR-Dopingsystem lösen heftige Reaktionen aus. Auch DOSB-Chef Bach gerät unter Druck.

Boris Herrmann

Das Buch "Zwei Seiten der Medaille" des ehemaligen DDR-Sportfunktionärs Thomas Köhler erscheint an diesem Donnerstag. Der Deutungs-Krieg ist bereits in vollem Gange. Und wenn es schon jetzt einen Kriegsgewinnler gibt, dann ist es der in Berlin ansässige und der Vergangenheit freundlich zugewandte Eulenspiegel-Verlag. "Wir freuen uns natürlich über die Aufregung. Thalia hat gerade 800 Exemplare bestellt", frohlockt eine Verlagssprecherin. Sie gibt zu: "Bislang hat sich, ehrlich gesagt, kaum einer für dieses Buch interessiert."

Doping in der DDR: Heile Welt mit lustigen Schlittenfahrten und kalten Nasenspitzen: Der zweimalige Rodel-Olympiasieger Thomas Köhler erinnert sich in seiner Biografie launig an seine Zeit im Sportsystem der DDR. Die begann als Nationaltrainer (Bild links, im Gespräch mit Ilona Brand und Melitta Sollmann bei Winter-Olympia 1980 in Lake Placid) und endete als Vizepräsident des Turn- und Sportverbandes, verantwortlich auch für den Einsatz von Dopingmittel.

Heile Welt mit lustigen Schlittenfahrten und kalten Nasenspitzen: Der zweimalige Rodel-Olympiasieger Thomas Köhler erinnert sich in seiner Biografie launig an seine Zeit im Sportsystem der DDR. Die begann als Nationaltrainer (Bild links, im Gespräch mit Ilona Brand und Melitta Sollmann bei Winter-Olympia 1980 in Lake Placid) und endete als Vizepräsident des Turn- und Sportverbandes, verantwortlich auch für den Einsatz von Dopingmittel.

So schnell kann es gehen. Ein paar entschuldigende und geschichtsfälschende Thesen zum längst aktenkundigen DDR-Staatsdoping genügen auch heute noch, um aus einem angehenden Ladenhüter über Nacht einen Kassenschlager zu machen. Wer ein wenig durch die 240 Seiten der Autobiografie des Rodel-Olympiasiegers von 1964 und 1968 blättert, der erkennt tatsächlich schnell, weshalb dieses Werk im Grunde keinerlei literarische Relevanz hat.

Es ist in einer geradezu grotesken Plastiksprache geschrieben und langweilt über weite Strecken mit lustigen Schlittenfahrten, kalten Nasenspitzen sowie schmunzelnden Physiklehrern aus Köhlers Schulzeit im Erzgebirge. "Es ist herrlich, in einer solchen Republik zu leben! Es ist herrlich, in einer solchen Republik zu arbeiten! Und es ist noch viel herrlicher, für eine solche Republik zu siegen!", zitiert der Autor Köhler den Sportsmann Köhler aus seiner Rede auf dem VII. Parteitag der SED im Jahr 1967 - um nicht ohne Stolz anzumerken, dass sich Erich Honecker mit seinem treuen Medaillensoldaten "zwei volle Stunden lang ganz alleine" unterhalten habe.

Von Geständnis keine Spur

Der brisante, mithin verkaufsfördernde Teil des Buches beginnt dann auf Seite 187 mit der späten, aber deshalb nicht grundsätzlich falschen Einsicht: "Von einem, der für den Leistungssport in der DDR mitverantwortlich war, wird erwartet, dass er sich mit dem Thema Doping auseinandersetzt." Was dann folgt, hat mit einer ernsthaften Auseinandersetzung allerdings wenig zu tun.

Köhler, der frühere Vizepräsident des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) und Kronprinz des DDR-Sportchefs Manfred Ewald, erzählt vielmehr das Märchen vom "sachgerechten und medizinisch kontrollierten" Vorzeige-Doping, das selbstverständlich "im Einvernehmen mit den Sportlern" geschah - zur Wahrung der Chancengleichheit des DDR-Sports im internationalen Vergleich.

Entgegen einer am Dienstag "exklusiv" verbreiteten Agenturmeldung haben diese Passagen mit einem Geständnis nicht das Geringste zu tun. Sie sind vielmehr ein leicht zu durchschauender und geradezu zynischer Rechtfertigungsversuch eines 70 Jahre alten Pensionärs, der 1999 in seiner Abwesenheit wegen Beihilfe zur Körperverletzung zu einer Geldstrafe in Höhe von 26.400 Mark verurteilt worden war.

Die ehemalige DDR-Sprinterin Ines Geipel, ein anerkanntes Dopingopfer, geht sogar noch einen Schritt weiter: "Das ist doch gar kein Buch. Das hat keinerlei Neuigkeitswert. Das ist eine reine Demagogen-Schrift", sagte sie der SZ: "Hier versucht jemand eine Geschichte umzudrehen, die längst geklärt ist."

Dopingopfer prüfen Klage

Geipel interpretiert die Dramaturgie der Buchveröffentlichung als lancierte PR-Kampagne auf dem Rücken der Doping-Geschädigten. Vor allem deshalb, weil die angeblich exklusive Agenturmeldung, in der in erster Linie von einem Geständnis die Rede war, von einem ehemaligem IM der Stasi unter falschem Namen verfasst wurde. "Das war ein Coup, das muss man anerkennen", sagte Ines Geipel: "Da hat sich jemand richtig Mühe gegeben."

Ein wenig Mühe will sich nun auch der Dopingopfer-Hilfeverein geben. Geipel kündigte an, dass man derzeit die Erfolgschancen einer Verleumdungs- und Verhöhnungsklage gegen Köhler prüfen lasse. "Es muss jetzt endlich einmal gut damit sein, die Geschädigten immer wieder neu zu diskreditieren", sagte sie.

"Die Opfer sind retraumatisiert"

Inzwischen haben sich auch zahlreiche andere ehemalige DDR-Sportler zu Wort gemeldet. Der dreimalige Skisprung-Olympiasieger Jens Weißflog schimpfte: "Wenn es Köhlers Meinung ist, dass alle gedopt waren und es gewusst haben, dann kann ich nur von mir sagen, dass ich davon nichts wusste. Köhlers Aussagen hören sich so an, als wolle er sich aus der Mitverantwortung stehlen." Und der ehemalige Langlauf-Trainer Henner Misersky bestätigte der SZ, dass es just jener Thomas Köhler war, der ihn 1985 per Telefonanruf entlassen hatte, weil er sich weigerte das Anabolika gestützte Sportprogramm der DDR mitzutragen. "Wenn Köhler sagt, dass Minderjährige nicht gegen ihren Willen gedopt wurden, dann lügt er wie gedruckt", sagte Misersky.

Thomas Bach, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), hat Köhlers Art der Geschichtsschreibung in seiner ersten Stellungnahme begrüßt. Seine Aussagen brächten "mehr Klarheit in die Aufarbeitung der Dopinggeschichte". Angesichts der öffentlichen Empörung dachte Bach dann offenbar noch einmal nach und verlangte am Mittwoch plötzlich eine Entschuldigung Köhlers. Gegenüber dem WDR räumte Köhler daraufhin ein: "Dass wir im Nachhinein gemerkt haben, dass wir eine Reihe von Fehlern und Versäumnisse zugelassen haben, auch einige Dinge unterschätzt haben, Auswüchse unterschätzt haben - das tut mir sehr leid."

Geipel indes sieht auch darin ein leicht durchschaubares Spiel: "Der Text liegt vor. Die Opfer sind retraumatisiert. Da will sich jemand auf Druck von außen reinwaschen." Wenn es Köhler mit seiner Entschuldigung ernst meine, müsse er den Ertrag seines Buches an den Dopingopfer-Hilfeverein spenden. Und wenn es Bach ernst meine, dann solle er endlich für ordentliche Pensionszahlungen für Dopingopfer sorgen.

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