Doping im Sport:Rad-Affäre erschüttert Wintersport

Aus dem Umfeld des positiv getesteten Tour-de-France-Dritten Kohl führen viele Spuren in Österreichs Dopingszene - auch ins Wintersportlager.

T. Kistner

Ein wenig diffus war sie bereits, die Gefühlslage bei Bernhard Kohl in den Tagen vor seiner Enttarnung als mutmaßlicher Cera-Doper. Manager Stefan Matschiner stellte sie jüngst auf der Website des österreichischen Fernsehens ORF so dar: "Wir können beide gut schlafen. Bernhard hat sich nichts vorzuwerfen." Einerseits. Andererseits sei die Situation leider "prekär", zumal Schützling Kohl ja Zimmergefährte des mit gleich zwei Cera-Positivproben belasteten Gerolsteiner-Kollegen Stefan Schumacher gewesen sei und zudem sowieso "alle über denselben Kamm geschoren" würden. Weshalb gelte: "Bernhard kann nur verlieren. Er ist entnervt."

Doping im Sport: Positive A-Probe: Radsportler Bernhard Kohl.

Positive A-Probe: Radsportler Bernhard Kohl.

(Foto: Foto: AFP)

Was widersprüchlich klingt, passt im Rückblick gut zusammen. Nerven zeigen darf dieser Tage durchaus, wer Radprofi ist und über die Kämme der Antidopinglabors von Paris und Lausanne geschoren wird, respektive über deren Klinge springt. Die beiden IOC-akkreditierten Einrichtungen führen mit einem neuen Analyseverfahren für die Epo-Substanz Cera Nachtests zur Tour de France 2008 durch und vermeldeten dabei doch einige Erfolge. Drei bis vier Tage dauert der französischen Antidopingagentur AFLD zufolge jedes Testverfahren, dass nach einem Bericht der französischen Sportzeitung L'Équipe Kohl nun bereits der letzte positive Fall der nachträglichen Tests sein soll, verwundert da. Die Tests waren erst im September angelaufen.

Der Fall Kohl schafft nun in zweierlei Hinsicht besondere Nervosität im Sport. Zum einen zeigt er, dass sich just im deutschen Radrennstall Gerolsteiner, ausgerechnet in einer Phase stürmisch zelebrierter Selbsterneuerung, der Betrug tief eingenistet hat. In einem Team, wohlgemerkt, das unter den besorgten Blicken der heimischen Fernsehanstalten ARD/ZDF und der Führung seines sich stets als Antidopingaktivisten gerierenden Chefs Michael Holczer mehr moralische Hemmnisse zu überwinden hatte als manches andere zwischen Spanien und Kasachstan. Doch mit Cera, das bis Juli 2008 zur reichen Fülle der nicht nachweisbaren Dopingstoffe zählte, haben sich die Profis so sicher wie stets gefühlt.

Insofern beantworten die Wehklagen Holczers, dem schon die Doping-Kronzeugen Jörg Jaksche und Patrik Sinkewitz öffentlich vorsätzliche Ahnungslosigkeit bescheinigen, nicht die Frage, wie Verantwortliche über ein Jahrzehnt in diesem endemisch verseuchten Metier immerzu an die Einzeltäterthese glauben konnten statt an die Systematik, die auch die Kronzeugen offengelegt haben. Vielleicht gibt der Fortgang der Gerolsteiner-Doppelaffäre Schumacher/Kohl hier bald mehr Aufschluss.

Hohe Anspannung schafft der Sündenfall Kohl aber auch im Wintersportlager vor der Saisoneröffnung. Langläufer und Biathleten hatten schon letzten Winter mit der Affäre um das Wiener Blutinstitut Humanplasma zu ringen, Kenntnis davon hatte offiziell kein Athlet, während das österreichische Bundeskriminalamt in der Sache weiter ermittelt. Nun taucht wieder der Name Matschiner auf, der BKA-Chef Helmut Greiner aus einer früheren Dopingvernehmung bereits wohlbekannt ist. "Es ist in Zusammenhang mit den Ermittlungen um Humanplasma zu einer Einvernahme des Herrn Matschiner gekommen", bestätigte Greiner der SZ.

Rad-Affäre erschüttert Wintersport

Matschiner, ein auch in der Leichtathletik ziemlich umtriebiger Sportmanager, war schon im Zentrum der Blutbeutelaffäre um Österreichs Skandaltrainer Walter Mayer und die Langläufer bei den Winterspielen in Turin 2006 lokalisiert worden - was er selbst als rein geografisches Phänomen abtat. Matschiner sagt, in Turin sei er nur als "Gast von Walter Mayer" gewesen. Neben den BKA-Leuten interessierte sich auch die Dopingkommission des nationalen Skiverbands für ihn. Was ihnen der Name Stefan Matschiner sage, wurden Auskunftspersonen wie der lebenslang gesperrte Langläufer Johannes Eder bei ÖSV-Anhörungen gefragt. So steht es Medienberichten zufolge in Protokollen des Verbandes.

Aber nicht nur die Turiner Spiele 2006 und der Cera-Fall Kohl 2008 markieren Berührungspunkte Matschiners mit dem Pharmabetrug. Bis 2004 führte der Manager laut Wiener Presse mit Manfred Kiesl eine Sportagentur; dieser Kompagnon war schon 2001 wegen Handels mit Anabolika finanzstrafrechtlich verurteilt worden. Im Kühlschrank seiner Gattin, der 1500-m-Olympiadritten von 1996 in Atlanta, Theresia Kiesl, waren Wachstumshormone und Anabolika gefunden worden. Und erst im Juli diesen Jahres, während Schützling Kohl fleißig Punkte auf den Tour-Bergpässen sammelte, war für Matschiner "eine Welt zusammengeborchen" - da war einem anderen Klienten, dem niederländischen 3000-m-Hindernis-Europarekordler Simon Vroemen, ein anaboles Steroid nachgewiesen worden.

Auch für Kohl gilt bis zur Auswertung der B-Probe, die Matschiner umgehend beantragen will, die Unschuldsvermutung. Allerdings hat die Jury für die nationale Auszeichnung Sportler des Jahres, die ihr Ergebnis nächsten Mittwoch anlässlich einer Gala bekannt geben will, den Radprofi nun von der schon veröffentlichten Nominierungsliste ihrer Top-5-Kandidaten gestrichen.

Am nächsten Samstag aber wird der gestrauchelte Sportheld der Nation noch einmal im Fernsehen zu bewundern sein. Bei der "Millionenshow", einem österreichischen Pendant zur deutschen Rateshow mit Günther Jauch, hat er sich den Fragen des Moderators gestellt - mit einem klugen Kopf in petto, als Helfer für die sogenannte Telefonjoker-Frage. Es soll sein alter Teamchef Michael Holczer sein.

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