Doping im Radsport:Warten auf den Sturm

Französische Dopingfahnder wollen auffällige Blutproben von der Tour 2008 nun prüfen. Zu erwarten ist ein Erdrutsch, der im Herbst noch ausgeblieben war.

Thomas Kistner

Blitzsauber war die jüngste Tour de France, es müssen nur die richtigen Leute kontrollieren. 2009 führte der Radweltverband UCI Test-Regie, während die Spielverderber von der französischen Anti-Doping-Agentur AFLD, die 2008 viel Wirbel mit ihrem Cera-Testverfahren machten, nicht mal Laborresultate studieren durften, beklagt deren Chef Pierre Bordry. Die UCI, assistiert von der Veranstalterorganisation A.S.O., hatte bei der Tour alles zurück auf Anfang gedreht - hat diese Restauration den Zorn des kaltgestellten Bordry so entflammt, dass er nun zurückschlägt?

Doping im Radsport: Der deutsche Radprofi Stefan Schumacher wurde 2008 positiv auf Epo getestet.

Der deutsche Radprofi Stefan Schumacher wurde 2008 positiv auf Epo getestet.

(Foto: Foto: dpa)

"Im September", sagt AFLD-Sprecherin Delphine Saint-Laurent, "werden etwa 15 Proben der Tour 2008 auf das Epo-Mittel Cera nachuntersucht." Die 2008-Proben gehören der AFLD, im Verdacht stehen Topfahrer - zu erwarten ist der Erdrutsch, der vergangenen Herbst noch ausgeblieben war. Damals wurden, neben den bei der Tour geschnappten Cera-Sündern Riccardo Ricco und Leonardo Piepoli, nur Stefan Schumacher und Bernhard Kohl erwischt, zwei Gerolsteiner-Profis, deren Team vor der Schließung stand. Weitere auffällige Blutproben blieben auf Eis. Wie jedoch die belgische Tageszeitung Le Soir Ende September 2008 unter Verweis auf "seriöse Quellen" gemeldet hatte, soll es sich bei den weiteren auffälligen Tourstartern um den damaligen Sieger Carlos Sastre, den Schweizer Fabian Cancellara, den Luxemburger Frank Schleck und den Australier Stuart O'Grady gehandelt haben - allesamt vom CSC-Team (jetzt Saxo) um den umstrittenen Chef Bjarne Riis.

Von alledem war ein Jahr nicht mehr die Rede. Doch jetzt räumt Saint-Laurent ein: "Es wurde aus Zeitmangel nicht weiter getestet." Das ist pikant. Zumal die Akten zu Schumachers Dopingverfahren den Verdacht nähren, dass sich bei den damaligen Vortests weitere Dopingfälle angekündigt hatten - die nun mit Verspätung ausgetestet werden.

Der Vorgang hilft ein anderes Rätsel lösen. Ende September 2008 hatte Bordry laut Gazzetta dello Sport mit etwa 14 weiteren Fällen gerechnet und gesagt, bei der (damaligen) WM in Varese müssten einige Teilnehmer "schlecht schlafen". Das trat in der Szene Debatten los, die auf Team CSC und Olympiasieger Fabian Cancellara zielten, die jedoch jeden Verdacht zurückwiesen. Tage später verkündete die AFLD ihre Funde: Nur zwei böse Gerolsteiner, Ende der Tests.

Nun also startet Runde zwei, und die signalisiert höchste Alarmstufe für den Velo-Zirkus. Aber warum erst jetzt? Offenbar soll die neue Cera-Welle der AFLD aus der Bedrängnis helfen. Dafür nimmt sie sogar in Kauf, dass ihre Cera-Nachtests im Herbst 2008 selektiv erscheinen, gezielt auf schwache Kandidaten wie die zwei Gerolsteiner, die einem untergehenden Team angehörten. Anwalt Michael Lehner, der energisch für Schumacher kämpft, verweist in seinen Klageschriften immerzu auf die Laborpapiere: Die ließen "keinerlei Zweifel", dass Schumachers Analysen "im Wissen um dessen Identität vorgenommen wurden".

Den Schluss lassen sie in der Tat zu. Den im August 2008 entwickelten Cera-Test darf erst seit einigen Wochen jedes IOC-akkreditierte Labor anwenden. Zuvor mussten Positivfälle von den Labors in Paris und Lausanne bestätigt werden. In deren Schriftwechsel zu Schumachers Tour-Proben, die Paris den Lausanner Kollegen im September 2008 zukommen ließ, sind auch die Codenummern der übrigen drei Sünder aufgelistet. "Die vier wurden aus verschiedenen Testreihen zusammengefügt", sagt Lehner. Aber wie konnte Paris zu dem Zeitpunkt aus hunderten Proben wissen, wer alles gedopt sein würde - wenn nicht über Vortests? Bei diesen Vortests dürften sich Verdachtsmomente gegen ein gutes Dutzend Fahrer ergeben haben, auf die Bordry damals ja auch verwies - die aber erst jetzt enttarnt werden sollen. "Da wird ein Sturm kommen", glaubt Lehner.

Eine Erklärung für die Verspätung findet sich im sportjuristischen Hickhack rund um Schumachers zwei Sündenfälle bei der Tour 2008 sowie wenig später bei Olympia. Und auch bei den Peking-Nachtests, im März 2009, geriet ein Gerolsteiner Ex-Kollege mit in die Cera-Testmühle: Davide Rebellin. Daneben andere Athleten wie 1500-m-Olympiasieger Rashid Ramzi (Bahrain). Juristen argwöhnen, auch bei den Peking-Nachtests sei selektiert worden; es heißt, die Fachverbände hätten eine Auswahl treffen dürfen aus den 814 A-Blutserum-Proben und 343 A-Blutproben. Geht es nach Lehner und dessen Kollegen, die Ramzi und Rebellin gegenüber dem IOC vertreten, wird der gesamte Cera-Komplex den Betreibern auf die Füße fallen. Denn das Verfahren, mit dem Schumacher und Co. 2008 gesperrt wurden, ist erst seit 1. Juli von der französischen Akkreditierungsbehörde Cofrac zugelassen. "Ein Analyseverfahren kann aber erst rechtswirksam angewandt werden, wenn es endgültig validiert und in Form eines technischen Dokuments der Wada freigegeben ist", heißt es in Lehners Klage von Ende Juli.

Und das ist der Kern seiner Verteidigungsstrategie: Schoss die AFLD, als sie 2008 die ersten Fälle ermittelte, im Fahndungseifer übers Ziel hinaus? Wurden deshalb zwei unspektakuläre Fahrer ausgesucht? Kohl war geständig, Ricco und Piepoli ebenfalls - nur Schumacher spielte nicht mit. Und im Verlauf des Rechtsstreits, so Lehner, sei dann der Groschen bei der AFLD und der zuweilen überforderten Welt-Anti-Doping-Agentur gefallen: "Oh, wir haben ja noch keine Validierung für diesen Test". Der liegt nun vor, aber im Fall der Schumacher-Proben könnte das zu spät sein. Die alten Befunde, so Lehner, seien rechtsunwirksam.

Es ist einiges krumm gelaufen mit den Cera-Tests von 2008. Wenigstens aber bedeutet das nichts Gutes für die 15 Nachtests, welche die AFLD nun ankündigt. Denn jetzt ist der Test wasserdicht. Und die AFLD hat gute Gründe, sich selbst, die Wada und das IOC mit einer Reihe neuer, unanfechtbarer Befunde aus der Schusslinie zu bringen.

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