Doping im Radsport und in den Medien:"Wahrscheinlich ist die Tour nicht sauber"

ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender und ARD-Programmdirektor Günter Struve hoffen, dass der Druck ihrer Sender die Drogen aus der Tour de France presst. Illusionen geben sie sich dabei nicht hin.

Hans Leyendecker

Mit einstündiger Flugverspätung erreicht ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender, 58, das Büro seines Kollegen Günter Struve, 67. Brender, der in seiner journalistischen Jugend für Struve gearbeitet hatte, war noch nie in dessen Büro im 15. Stock des Bayerischen Rundfunks. Er habe, sagt Struve zur Begrüßung, nichts verändert. Die Möbel stammten noch von seinem Vorgänger Dietrich Schwarzkopf (1978 - 1992). Nur der Schreibtischstuhl sei ausgetauscht worden: "weil der unter mir zusammengekracht ist". Seine Garnitur beim ZDF, kontert Brender, sei noch von Vor-Vorgänger Reinhard Appel (1976 bis 1988): "Die ist noch älter. Und mein Stuhl ist auch zusammengebrochen. Ich habe mir aber keinen neuen erlaubt, sondern einen aus dem Vorzimmer geben lassen." - "Wir haben uns entschlossen", eröffnet Struve dann und zeigt auf Brender, "das Thema Doping als Ehepaar durchzustehen."

Doping im Radsport und in den Medien: Günter Struve und Nikolaus Brender: Quoteneinbruch bei der Tour de France.

Günter Struve und Nikolaus Brender: Quoteneinbruch bei der Tour de France.

(Foto: Foto: dpa, ddp)

SZ: Herr Struve, die Quoten der ersten Tour-de-France-Woche waren so schlecht, dass man meinen könnte, dem Zuschauer sei nicht egal, ob im Sport betrogen wird.

Günter Struve: Die Quoten waren in den vergangenen zehn Jahren nie schlechter: unter zehn Prozent Marktanteil. Erstaunlicherweise hat Eurosport zugelegt. Die sprechen kaum über Doping.

SZ: Sind Zuschauer beim Thema Radsport überhaupt noch enttäuschbar?

Nikolaus Brender: Der Zuschauer macht sich vom Sport seine Illusionen. Das spüren wir. Das härteste Radrennen der Welt mit den übermenschlichen Leistungen steckt im kollektiven Gedächtnis. Und nun wird bei jeder Tour-Etappe Aufklärung geliefert, die klar macht, dass alles ganz anders, vieles Betrug war.

SZ: Das muss der Zuschauer eigentlich gewusst haben.

Günter Struve: Er hat es gewusst, aber nicht begreifen wollen.

SZ: Haben es die Berichterstatter gewusst?

Nikolaus Brender: Wenn jemand behaupten würde, er hätte es nicht gewusst, lügt er oder wollte es nicht wissen.

SZ: Auf der Pressekonferenz, in der die ehemaligen Telekomfahrer Rolf Aldag und Erik Zabel Dopinggeständnisse ablegten, wirkten einige Tour-Berichterstatter sehr enttäuscht.

Nikolaus Brender: Sie hätten es wissen müssen und können.

(Struves Sekretärin bittet Brender ans Telefon. Es sei dringend, der Herr Bellut, Programmdirektor des ZDF, sei dran. Brender geht)

Günter Struve: Noch einmal zu den Zuschauern. Wenn wir die erste Tour-Woche nehmen - in diesem Jahr: 8,7 Prozent Marktanteil, 2006 13,7 Prozent, 2005 23,1 Prozent - so handelt es sich um einen Zusammenbruch, wie ich ihn in den 22 Jahren, in denen ich Programmdirektor bin, noch bei keiner anderen Sportart erlebt habe. Die Tour ist ja ein Ereignis, das immer zur gleichen Zeit stattfindet, das immer im gleichen programmlichen Umfeld bei nahezu gleichen Konkurrenzverhältnissen übertragen wird. Diese Daten sind signifikant.

(Brender kehrt zurück.)

Nikolaus Brender: Ich fädele mich ein bei der Frage: Mussten die Journalisten nicht annehmen, dass es ein Dopingsystem gibt. Die Tour de France ist ein Produkt der Industriegesellschaft des vorletzten Jahrhunderts. In ihr galt das Prinzip Fairness ebenso wenig wie im Sport. Aus dieser Geschichte heraus hätte jeder wissen müssen, mit was wir es zu tun haben. Insofern sind die Berichterstatter Teil der Gesamtgesellschaft, die das nicht wahrhaben will.

SZ: Es hat Journalisten gegeben, die Doping zu allen Zeiten enthüllt und kritisiert haben.

Nikolaus Brender: Es gab auch bei ARD und ZDF immer wieder Berichte über Doping - die allerdings nicht integriert waren in die Tour-Berichterstattung. Das war ein Fehler. Wir sind Ende der 90er Jahre Teil des Medien- und Wirtschaftsbetriebs Tour de France geworden.

SZ: Während der großen Jan-Ullrich-Erfolge. Das galt für das ZDF wie für die ARD?

Nikolaus Brender: Für die ARD galt das noch ein bisschen mehr, weil man die Eins auf den Telekom-Trikots sehen konnte.

Günter Struve: Bei ARD und ZDF ist es sehr viel nachdenklicher geworden, und es wird nachdenklich bleiben. Aber es gab eine kollektive Begeisterung für Radsport, die zwar nicht jeden erfasst hat.

SZ: Sie nicht?

Günter Struve: Ich bin kein Radfan, ich gebe aber zu, dass ich es gerne übertragen habe an den Nachmittagen. Ich habe mich mit dem ZDF gestritten, als das ZDF nach Jahren, in denen wir die Tour alleine übertrugen, dabei sein wollte. Und das ZDF hat mitgestritten, lieber Herr Brender, wer welche Bergankunft zeigen durfte und wer nicht.

Nikolaus Brender: Und die ARD hat, obwohl sie sich das Tour-Recht mit uns teilte, einen zweiten Exklusiv-Vertrag mit Ullrich abgeschlossen. Das war nicht kooperativ.

Günter Struve: Die ARD war bei dem Vertrag mit der Eins auf der Brust des Teams Telekom vorsichtiger als bei anderen Verträgen. Der Vertrag hatte eine Dopingklausel, auch der mit Jan Ullrich.

"Wahrscheinlich ist die Tour nicht sauber"

SZ: Wenn Sie jetzt eine journalistische Beurteilung der Tour de France fordern, muss das doch für alle Sportwettbewerbe gelten, die sie übertragen?

Doping im Radsport und in den Medien: Die Zuschauer zeigen wenig Interesse an der Tour.

Die Zuschauer zeigen wenig Interesse an der Tour.

(Foto: Foto: AFP)

Nikolaus Brender: So ist es. Misstrauen und Zweifel sind für Journalisten Normalität. Beim Sport haben wir dieses Kriterium jahrelang nicht mehr ernstgenommen. Wenn Misstrauen wieder alltäglich zur Sportberichterstattung zählt, werden die Zuschauer das kapieren. Weil der Journalist zum Fan wurde, weil die Rollen nicht mehr klar verteilt waren, entstand diese Krise.

SZ: War der Rollenkonflikt eine Mode oder können Sportjournalisten nicht mehr anders?

Günter Struve: Sportjournalisten werden nicht als Sportjournalisten geboren. Sie sind Journalisten und können es prinzipiell schon. Sport ist immer auch Unterhaltung gewesen. Ob Olympia oder das Kleinstturnier in Süd-Dänemark: Die Leute schauen zu, weil sie sich unterhalten wollen. Die Wettkampfspannung, die Emotionen der Sieger und Verlierer, das alles wird es weiter geben. Das Bunte, die privaten Infos über Stars und Sternchen, das wird zurückgefahren.

SZ: Finden Sie es nicht seltsam, wenn Journalisten, die vorher jeden duzten, plötzlich das "Sie" betonen?

Günter Struve: Das ist sicher ein bisschen artifiziell. Aber wir werden sachlicher.

(Struve wird von seiner Sekretärin ans Telefon gebeten. Der ARD-Vorsitzende Fritz Raff warte: Es sei dringend. "Grüßen Sie ihn", ruft Brender. Struve geht.)

Nikolaus Brender: Print hat es bei Themen wie Doping ein bisschen leichter als die Kommentatoren oder die Berichterstatter einer Live-Sendung. Außerdem wurde den Öffentlich-Rechtlichen vor ein paar Jahren vorgeworfen, sie würden zu langweilig über Skispringen berichten, deswegen seien die Rechte an RTL gefallen. Die Folge war, dass wir uns für eine offenere, sicher weniger journalistische Form der Übertragung entschieden haben. Bei privaten Sendern höre ich über Doping nicht sehr viel.

(Struve kehrt zurück. Er gratuliert Brender, da das ZDF, das an diesem Tag über die Tour berichtet, 50 Minuten im Programm hänge. Brender betont, dass es eine Verschiebung von Heute um 19 Uhr nie geben werde. Er sagt, das Tour-Feld gondele bisher 40, 50 Minuten pro Etappe hinter der bisherigen Zeit her: "Es ist wohl die langsamste Tour aller Zeiten." Struve nickt.)

SZ: Gibt es Kumpanei nur im Sportjournalismus?

Nikolaus Brender: Da ist sie augenfällig. Es war gesellschaftlich akzeptiert, dass der Akteur mit dem Beobachter zusammen sitzt, gemeinsam auf den Sieg hofft. Auch im politischen Journalismus gibt es Kumpanei, Seilschaften zwischen Politikern und Journalisten. Und Wirtschaftsjournalisten stehen ebenfalls unter Interessenbeeinflussung.

Günter Struve: Da ist es mir nicht so aufgefallen. Ich war ja einige Jahre Sprecher einer Regierung (Struve war 1973 bis 1977 Senatssprecher des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Klaus Schütz). Ich hätte mir einen Journalisten als Kameraden gewünscht.

SZ: Das ist lange her.

Günter Struve: Es waren die siebziger Jahre, und wir sind hart bis unfair rangenommen worden, von morgens bis abends.

Nikolaus Brender: Das Prinzip ist überall gleich: Ich gebe dir eine Plattform, und du gibst mir Informationen. Die Gefahr, missbraucht zu werden, ist groß.

SZ: Was muss passieren, damit ARD und ZDF die Tour-Übertragung abbrechen? Das ZDF hat am Mittwoch dokumentiert, dass die Doping-Kontrollen zu lasch durchgeführt werden.

Günter Struve: Das sind hoffentlich Nachlässigkeiten. Wir haben uns abgesichert wie nie, sowohl gegenüber den deutschen Rennställen, als auch gegenüber dem Veranstalter.

SZ: Damit ARD und ZDF über Nacht aussteigen können?

Günter Struve: Damit wir ein Netz an Sicherheiten unter uns haben, das beispiellos ist. Wir haben Forderungen und Fragen gestellt, die wir vor Sportveranstaltungen noch nie gestellt haben.

SZ: Zum Beispiel?

Günter Struve: Was habt ihr im vergangenen Jahr, im vergangenen Monat, in der vergangenen Woche gemacht, um sicherzustellen, das nicht manipuliert wird? Ist jeder Fahrer ungemeldet getestet worden? Hat jeder Fahrer seine Unterschrift unter ein Ethik-Papier geleistet? Die Weigerung von ARD und ZDF, eine Option zu ziehen für weitere Radsport-Wettkämpfe - das betrifft auch die WM in Stuttgart - ist für die Veranstalter eine wirkliche Bedrohung. Es zeigt sich, dass man Fahrer und Veranstalter nur über das Geld einschüchtern und bedrohen kann. Dass ARD und ZDF sich bisher nicht bereit gefunden haben, Radsport automatisch in gleichem Umfang zu zeigen wie bisher, hat dazu geführt, dass die Veranstalter die Sicherungen eingebaut haben, die ihnen der Rechtsstaat gestattet.

"Wahrscheinlich ist die Tour nicht sauber"

SZ: Gehen Sie davon aus, dass die Tour sauber läuft?

Günter Struve: Bezogen auf die bekannten Dopingmittel ist sie sauberer als jede andere seit 20 Jahren. Ich weiß nicht, ob es nicht schon wieder neue, erstmal nicht nachweisbare Dopingmittel gibt.

Nikolaus Brender: Durch den Druck, den wir ausüben, haben wir erreicht, dass es Überprüfungsverfahren gibt, die es in der Dichte noch nie gab. Das ist ein Anfang. Wahrscheinlich ist die Tour nicht sauber, sie ist sauberer. Wir fordern eine systematische, ganzjährige, lückenlose Überprüfung durch eine unabhängige Agentur. Wir bleiben dabei, weil wir von unserem Einfluss überzeugt sind.

SZ: Hätte es einen Einfluss auf die Tour-Berichterstattung, wenn in zwölf Monaten bekannt würde, dass während dieser Tour de France gedopt worden wäre?

Günter Struve: Hätte es, ohne Zweifel. Aber wir haben eine Sensibilität geschaffen: Rennställe, die nicht sauber sind, werden für große Wettbewerbe nicht mehr zugelassen. Die Macht des Marktes Deutschland, das zeigt sich, darf nicht unterschätzt werden. Wir sorgen für Verbreitung, die im Interesse der Sponsoren liegt. Genau da liegt übrigens der Unterschied zwischen TV und Print.

SZ: Wie groß ist Ihre Furcht, aussteigen zu müssen? Um danach wahrhaftig zu bleiben, müssten Sie 2008 vermutlich teilweise auf eine Berichterstattung von den Olympischen Spielen in China verzichten. Die Chinesen sind bislang nicht als Doping-Jäger aufgefallen.

Nikolaus Brender: Wenn man konsequent handelte, müsste man bei einem Ausstieg aus einer Doping-verdächtigen Disziplin wie Radfahren keinen Live-Sport mehr im Fernsehen anbieten.

SZ: Auch Fußball nicht?

Nikolaus Brender: Wenn ich Fußball als Doping-gefährdeten Sport definiere, ja. Ich kann das nicht beurteilen, wir recherchieren in allen Sportarten. Das Interessante ist doch, dass man nun beobachten kann, wie eine große Sportart auf den Druck zweier großer Sender reagiert. Ist da etwas machbar, veränderbar? Einen absolut sauberen Sport wird es nicht geben, da müssen wir nicht nach China fahren, um das festzustellen.

SZ: Sie können doch bei der Wettbewerbslage mit den vielen privaten Sendern und am Tor der digitalen Zukunft gar nicht mehr auf bestimmte attraktive Sportrechte, auf Sport live, verzichten?

Nikolaus Brender: Ich wehre mich gegen eine doppelgesichtige Diskussion. Das Thema Doping wird gerade nur fürs Fernsehen verhandelt. Sorry, aber an der Akzeptanz des Dopingsystems ist die Wirtschaft beteiligt, sind die Sponsoren beteiligt, ist die Politik beteiligt, sind Zeitungen und Zeitschriften beteiligt, das Fernsehen und nicht zuletzt die Sportler .

Günter Struve: Auch die Betreuer und Ärzte.

Nikolaus Brender: Eine Gesellschaft, die glaubt, Leistung mit unzulässigen, unfairen Mitteln erreichen und Konkurrenz nur so ertragen zu können, ist krank. Diesen Krankheitsverlauf müssen wir zeigen, und natürlich gehören auch ARD und ZDF zu diesem Krankheitsbild. Das ist eine Gesellschaftskrankheit, nicht eine spezielle Radsport-Krankheit. Da trifft uns die Verantwortung eines öffentlich-rechtlichen Systems, dies klar zu machen und dagegen vorzugehen.

Günter Struve: Die Krankheit ist keine deutsche Krankheit. Im europäischen Vergleich sind die Deutschen ziemlich weit in der Bekämpfung dieses Übels. Bei Doping schlägt die Globalisierung gnadenlos zu. Selbst wenn Deutschland eine Insel der Glückseeligen wäre, würde das am System nichts ändern. Die französische Dopingbehörde, die unabhängig sein soll, hat Sportarten auf Doping untersucht. Das Ergebnis: Radfahren kommt an der sechsten Stelle, ganz vorne liegt Hallenhandball. Da werden schmerzunempfindlich machende Mittel vor jedem Spiel eingenommen, in der Regel stehen diese Beigaben nicht mal auf der Dopingliste.

SZ: Die ARD hat zwar keine ehemaligen Radprofis als Experten mehr, doch ihre Meinung dürfen die gefallenen Helden immer noch live verbreiten. Ist das Ihr Resozialisierungsprogramm?

Günter Struve: Dass man sie interviewt, dass man ihr Wissen abfragt, halte ich für eine journalistische Tugend und nicht für eine Verfehlung.

Nikolaus Brender: Wir halten es so, dass Experten unterschreiben müssen, dass sie nicht gedopt haben. Diese Erklärung gilt auch für Sportjournalisten und Moderatoren, die früher selbst aktive Sportler waren.

SZ: Hat Kristin Otto unterschrieben, die als Schwimmerin der DDR bei den Olympischen Spielen in Seoul so viele Goldmedaillen gewonnen hat?

Nikolaus Brender: Frau Otto hat unterschrieben, und zwar, dass sie willentlich und wissentlich nicht gedopt hat.

Günter Struve: Auch in der ARD müssen Experten eine solche Erklärung unterschreiben.

"Wahrscheinlich ist die Tour nicht sauber"

SZ: Fürchten Sie, dass einer wie der in der Schweiz lebende Andreas Klöden plötzlich vorne in Gelb strampelt?

Günter Struve: Alles wird schwieriger, wenn ein Deutscher vorne liegt.

SZ: Weil Sie in die allgemeine Freude hinein ständig fragen müssten: Geht das mit rechten Dingen zu?

Günter Struve: Auch Klöden hat persönlich und mit dem Team das, was die Tour-Veranstalter verlangt haben, unterschrieben. Da hängt ein ganzer Sanktionsapparat dran.

SZ: Könnte man die Tourberichterstattung mit Klöden in gelb so weiter fahren wie bisher in der ersten Woche?

Nikolaus Brender: Das Problem bei Klöden ist doch nicht, dass er Deutscher ist, sondern dass er unter einem konkreten Verdacht stand.

SZ: Das stimmt, aber die Heldenverehrung beginnt doch, wenn ein Deutscher vorne ist.

Nikolaus Brender: Wenn wir versuchen, im Sport wieder ein normales journalistisches Niveau zu erreichen, dann gehört doch auch die anerkennende Beschreibung von körperlicher und geistiger Leistung zu. Nicht dazu gehört eine Sprache, die der Heroisierung dient. Ich zitiere jetzt mal die Süddeutsche Zeitung.

SZ: Gerne.

Nikolaus Brender: "Jan Ullrich auferstanden aus den Ruinen seines Lebens". Oder die FAZ: "Der Mensch auf der Tour - eine Maschine auf Hochtouren". Noch andere: "Einsame Helden von einem anderen Stern", "Der Außerirdische", "Die Rückkehr des Wunderkindes". Oder die taz: "Dem Unbesiegbaren ganz nah". Solche Überschriften führen zur Überhöhung eines Menschen und seiner Leistung, die man sportlich normal einschätzen sollte. Dazu müssen alle beitragen. Ich würde, sollte sich im Radsport auf Dauer systematisch nichts ändern, bei einem allgemeinen Medienboykott mitmachen.

SZ: Wie sähe so ein Boykott aus?

Nikolaus Brender: Über die Tour de France würde ein Jahr nicht geschrieben, nicht gesendet, nicht gefunkt.

SZ: Wäre die ARD dabei?

Günter Struve: Keine Frage.

SZ: Mit dabei, aufzurufen?

Günter Struve: Ich bin ein anderer Typ als Brender, ich würde seinem Aufruf folgen, und so etwas organisiert sich dann von selbst.

Nikolaus Brender: Ich wäre begründet für den Boykott, genauso, wie ich derzeit begründet für die Berichterstattung bin.

Günter Struve: Wenn jetzt was passiert, wären wir noch deutlicher betrogen als früher. Früher gab es immer einen Verdacht, wir haben ARD-Brennpunkte gemacht über Doping. Aber es gab kein Wissen. Jetzt haben wir Wissen.

SZ: Herr Brender, stört es Sie, dass sich der Dopinggeständige Rolf Aldag als Sportdirektor der Telekom-Mannschaft an die Spitze der Aufklärungsbewegung gesetzt hat?

Nikolaus Brender: Beim ersten Runden Tisch 2006 war Aldag dabei, und er hat mir gesagt, dass er nicht hätte schlafen können, wäre er gedopt gewesen. Zwölf Monate später erfährt man das Gegenteil, er hat sich zwar bei mir entschuldigt, aber ich meine, dass zur Resozialisierung auch eine Strafe und eine Sühne gehört, eine aktive, sichtbare Distanzierung. Das scheint mir bei Telekom sehr schnell zu gehen.

Günter Struve: Wenn sie jeden rausschmeißen, der gestanden hat, gibt es bald keine Geständigen mehr.

SZ: Noch einmal: Was brauchen Sie, um auszusteigen? Einen niederländischen Sprinter mit Eigenblut oder einen Kolumbianer auf Epo?

Günter Struve: Einer wird immer so was anstellen. Das System muss sich reinigen.

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